Hamburg. Initiative fordert Gedenktafel für zwei Vietnamesen. Sie wurden vor 35 Jahren im Stadtteil Billbrook getötet.
Sie haben Blumen niedergelegt und zusammen gesungen. Sie haben in Ansprachen und mit Fotos an die Toten erinnert und eine Tafel mit ihren Namen aufgestellt. Mit einer 90-minütigen Gedenkveranstaltung haben am Sonnabend rund 100 Hamburger an die beiden Vietnamesen Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô erinnert. Sie waren 22 und 18 Jahre alt, als sie vor 35 Jahren in einem Flüchtlingsheim an der Halskestraße in Hamburg ermordet worden sind.
Es ist der 22. August 1980. Um kurz nach Mitternacht fliegen drei mit Benzin gefüllte Saftflaschen durch die Scheiben eines Zimmers im Parterre der Flüchtlingsunterkunft. Sie landen zwischen den Metallbetten der beiden Männer. Die jungen Vietnamesen waren erst wenige Monate zuvor nach einer langen Flucht, bei der sie von der „Cap Anamur“ aus dem Chinesischen Meer gefischt worden waren, in Hamburg angekommen. Und hatten gehofft, hier in Frieden leben zu können.
Ngoc Chau Nguyên stirbt noch in der Nacht. Anh Lân Dô ringt neun Tage in der Unfallklinik Boberg mit dem Tod. Dann erliegt auch er den schweren Verbrennungen.
Heute steht an dieser Stelle in dem Industriegebiet ein Hotel. Nichts erinnert an die laut Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha „ersten dokumentierten rassistisch motivierten Morde in Deutschland nach 1945.“ Der Anschlag ist aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden. Eine Initiative will das ändern. Bereits vor einem Jahr wurde an der Halskestraße eine Gedenktafel aufgestellt, dann aber wieder entfernt.
Auch Gisela und Heribert von Goldammer haben sich der Initiative angeschlossen. Sie hatten vor 35 Jahren einen Aufruf im Hamburger Abendblatt gelesen und sich nach einer Info-Veranstaltung als ehrenamtliche Paten für die Flüchtlinge beworben.
„Wir wollten den Menschen helfen, sich hier in Deutschland zurechtzufinden“, sagt Gisela von Goldammer, 81. Sie lernten Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô bei einem Besuch an der Halskestraße kennen. Sie luden die
Vietnamesen zu sich nach Hause ein, machten eine Stadtrundfahrt und gingen Chinesisch essen. Sie verständigten sich auf Englisch oder Chinesisch. Gisela von Goldammer hatte ihre ersten zwölf Lebensjahre in China verbracht.
„Wir saßen bei uns auf der Terrasse zusammen, und manchmal halfen sie auch bei der Gartenarbeit“, sagt Heribert von Goldammer, 73: „Wir wollten einfach nur für die beiden da sein.“ Über ihre Flucht haben sie nicht gesprochen: „Bei den Vietnamesen geht es um die Zukunft, die Vergangenheit ist vorbei.“
Als das Ehepaar von Goldammer von dem Brandanschlag erfährt, mischen sich Trauer und Entsetzen. Lange können sie nicht darüber sprechen: „Wir haben das mit uns ausgemacht.“ Heute sagen sie, dass sie die beiden jungen Flüchtlinge leider nicht richtig kennenlernen konnten. Zu kurz sei die gemeinsame Zeit gewesen. Dafür haben sie zu vielen anderen Vietnamesen, denen sie später bei unzähligen Behördengängen geholfen haben, noch einen sehr engen Kontakt: „Manche sind sehr gute Freunde geworden.“ Sie werden zu Hochzeiten und Geburtstagen eingeladen. Auch die Mutter von Anh Lân Dô lebt in Hamburg, möchte aber mit den Morden nicht mehr konfrontiert werden.
Schon kurz nach dem Anschlag werden der Werksmeister Raymund Hörnle, 49, und die Radiologie-Assistentin Sibylle Vorderbrügge, 24, festgenommen. Sie sind Mitglied der rechtsradikalen Organisation Deutsche Aktionsgruppen des Altnazis Manfred Roeder. In Stuttgart wird ihnen 1982 der Prozess gemacht. Roeder bekommt als Rädelsführer 13 Jahre Haft, und wird nach acht Jahren wegen guter Führung entlassen. Er starb vor einem Jahr. Hörnle bekommt 17 Jahre, Vorderbrügge wird nach zwölf Jahren entlassen. Beide stellen sich im Prozess als Verführte dar. „Manfred Roeder war für mich der Führer, und ich habe nichts getan, was er nicht gewollt hätte“, sagte Sibylle Vorderbrügge.
Aus Mitläufern wurden Mörder. Und auch deshalb ist es wichtig, dass diese politischen Morde nicht in Vergessenheit geraten. „Wir fordern die Umbenennung der Straße nach Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô, eine entsprechende Umbenennung der Bushaltestelle und eine fest installierte Gedenktafel, auf der die Ereignisse von damals dokumentiert werden und an die beiden Opfer erinnert wird“, sagt der Rechtsanwalt Ünal Zeran. So könnten der Hamburger Senat und das zuständige Bezirksamt bundesweit ein ernsthaftes Zeichen gegen Rassismus setzen. Im Juli haben sie an den Bezirkschef geschrieben. Die Antwort von Andy Grote steht noch aus.