Aber: „Hinweise auf Anschlagspläne liegen uns derzeit nicht vor“, sagt der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes. Die Überwachung von Extremisten überfordert Behörden.
Hamburg. Der Terroranschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris hat nach Ansicht der Sicherheitsbehörden keine Auswirkungen auf die Menschen in Hamburg. „An der Sicherheitslage hat sich durch den Anschlag in Paris nichts geändert“, hieß es auf Nachfrage des Abendblatts aus der Innenbehörde. „In Deutschland haben wir eine abstrakt hohe Gefährdung, aber konkrete Hinweise auf Anschlagspläne liegen uns derzeit nicht vor“, sagte der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes Marco Haase.
Dass ein Terroranschlag wie in Paris jederzeit auch in Deutschland passieren kann, streiten die Sicherheitsbehörden nicht ab. Im Gegenteil: Auch in Hamburg wird bereits seit Monaten vor zumeist jungen Menschen gewarnt, die in einer Terrorgruppe in Syrien oder Irak gekämpft haben und nun nach Deutschland zurückkehren oder bereits zurück sind. Bereits mehr als ein Dutzend Ex-Kämpfer sollen wieder in der Stadt leben. Sie könnten sich weiter radikalisiert haben und möglicherweise Anschläge planen.
„Wir haben zwar derzeit keine konkreten Anschlagsdrohungen. Aber wir haben eine hohe abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit bis hin zu Anschlägen konkretisieren kann“, sagte der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes Torsten Voß bereits im August. Allerdings sind Informationen über die Aktivitäten der deutschen Dschihadisten im Ausland für die Sicherheitsbehörden nur schwer nachzuvollziehen. Oftmals enden Kenntnisse der Geheimdienste an der deutschen Grenze.
Mehr als 550 Islamisten aus Deutschland sollen seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs in die Region gereist sein. Aus Hamburg sollen es etwa 50 Personen sein, die nach Syrien oder in den Irak aufgebrochen sind. Mehrere Hundert Deutsche haben sich nachweislich der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) angeschlossen. Zehn dieser Dschihadisten sollen sich als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt haben, darunter auch junge Männer aus Nordrhein-Westfalen und Hessen.
Dass sich noch mehr radikalisierte Hamburger auf den Weg in die Kriegsgebiete machen werden, gilt als gewiss. Den Nährboden dafür bietet unter anderem das Wirken der stetig wachsenden salafistischen Szene in Hamburg. Der Verfassungsschutz rechnet ihr derzeit 400 Menschen zu. Von ihnen werden rund 240 als dschihadistisch eingestuft, das heißt, sie zeigen eine große Nähe zum Religionskrieg. Mitte August war die Zahl der Salafisten noch mit 240 angegeben worden. Salafisten lehnen westliche Demokratien ab und sehen eine „islamische Ordnung“ mit islamischer Rechtssprechung (Scharia) als einzig legitime Staats- und Gesellschaftsform an.
Bislang gab es in Deutschland nur einen Anschlag eines Dschihadisten
Das bislang einzige erfolgreiche Attentat eines Dschihadisten in Deutschland wurde mit einer Pistole verübt: Im März 2011 erschoss der Kosovare Arid U. am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere teils schwer. Zuvor hatten es Polizei und Nachrichtendienste meist mit selbst gebastelten Bomben zu tun. Mehrere Terrorattentate radikaler Islamisten, wie jene der „Sauerland-Zelle“ oder der Düsseldorfer Al-Qaida-Zelle, konnten die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren verhindern. Andere Anschläge missglückten, weil die Sprengsätze nicht zündeten oder zuvor entdeckt wurden. Wie am Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012.
Mittlerweile nehmen die Behörden das Risiko von islamistischen Anschlägen mit Schusswaffen sehr ernst. „Eine Waffe zu besorgen ist oftmals einfacher, als sich eine funktionsfähige Bombe zu bauen. Das wissen inzwischen auch Islamisten“, sagte ein BKA-Beamter der „Welt“. Deshalb beobachten Polizei und Verfassungsschutz sehr genau, wer versucht, an Pistolen oder Gewehre zu gelangen, sei es über Kontakte zur organisierten Kriminalität wie Rocker-Banden, sei es auf legale Weise wie etwa in Schützenvereinen.
Bewaffnete Terrorkommandos, das zeigt auch der Anschlag von Paris, sind nicht weniger gefährlich als Bombenattentäter. Insbesondere der Modus Operandi der Dschihadisten in Frankreich muss Sorge bereiten. Denn das Vorgehen der mit Kalaschnikows ausgerüsteten Täter legt nahe, dass sie über eine militärische Ausbildung verfügten und die Bluttat akribisch geplant hatten. Obwohl die Redaktion von „Charlie Hebdo“ unter Polizeischutz stand, gelang es den Tätern, in das Gebäude einzudringen. Sie hatten die Örtlichkeit offenbar gründlich ausgespäht. Eine weitere Herausforderung für die deutschen Sicherheitsbehörden ist die steigende Zahl von Extremisten, denen ein solcher Anschlag zugetraut wird. Von den bundesweit rund 7000 Salafisten gelten etwa 230 als sogenannte gewaltbereite Gefährder.
Die deutschen Sicherheitsbehörden sind personell am Limit
Bei der Überwachung dieser Extremisten arbeiten die Sicherheitsbehörden am Limit ihrer Kapazitäten. Es fehlt an Personal, um insbesondere radikale Islamisten rund um die Uhr zu beobachten. Sobald so ein Islamist von den Behörden als gewaltorientiert und gefährlich eingestuft wird, setzt ein „Beobachtungsplan“ ein. Speziell geschulte Observationseinheiten verfolgen den Verdächtigen heimlich, beobachten seine Wohnung, überwachen, mit wem sich die Person trifft und wo sie sich aufhält. Häufig werden auch Telefongespräche, Chats, E-Mails und Aktivitäten in sozialen Netzwerken beobachtet. Für eine solche 24-Stunden-Überwachung sind bis zu 25 Polizeibeamte im Schichtdienst notwendig. Beim Verfassungsschutz sind es bis zu 60 Agenten pro Woche. Ein immens hoher Aufwand, der kaum noch zu leisten ist. Selbst in den großen Bundesländern können daher maximal zehn Extremisten umfassend observiert werden.
Der nordrhein-westfälische Polizeigewerkschafter Arno Plickert spricht bereits von „tickenden Zeitbomben. Die Politik sollte der Bevölkerung sagen, wer auf die Leute aufpassen soll. Wir schaffen das nicht mehr.“ Auch der Chef des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, Uwe Jacob, äußerte sich besorgt: Seine Behörde könne nicht mehr jeden einzelnen Syrien-Rückkehrer überwachen und müsse daher priorisieren.
Wenn die Sicherheitsbehörden davon sprechen, dass es eine „unverändert abstrakt hohe Terrorgefahr für Deutschland“ gebe, aber „keine konkreten Bedrohungsfälle“, dann ist dies das Ergebnis einer individuellen, keiner umfassenden Überwachung. Ob und wann es auch in Deutschland zu einem Attentat wie in Paris kommen könne, könne niemand mit Sicherheit sagen, warnte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.