Hamburg braucht dringend Plätze für Flüchtlinge, die Stadt sucht händeringend. Städte wie Leverkusen zeigen: Private Wohnungen sind mehr als eine Notlösung. Aber das birgt auch Risiken.
Hamburg. Faiz A. führt durch sein Wohnzimmer. Der Weihnachtsbaum ist an diesen letzten Dezembertagen geschmückt, draußen im Garten nieselt der Regen auf das Kinder-Trampolin. Festtagsruhe im Einzelhausalltag des Hamburger Westens. Doch Faiz A.s Gedanken an seinen Cousin und dessen Familie stören die Ruhe. Sie sind Christen, hoffen im Norden Syriens auf Asyl. Flucht vor Krieg, Islamisten, dem unberechenbaren Militär. Ein Leben in permanenter Angst, sagt Faiz A. Zwei Jahre schon versucht er seine Familie nach Hamburg zu holen. „Sie können hier bei uns im Haus leben.“ In der Not sei genug Platz da. Wenn das helfe.
Mehr als 6000 Flüchtlinge hat Hamburg 2014 aufgenommen. 200.000 Menschen baten in Deutschland um Asyl. Mit steigenden Flüchtlingszahlen wird die Frage drängender, ob Behörden alleine die Unterbringung leisten können. Wie viel privates Asyl ist möglich? Und ist es sinnvoll, diese staatliche Aufgabe an Bürger zu übertragen?
300 Familien sind derzeit in Hamburg privat untergebracht. Mal haben Studenten ein WG-Zimmer frei, mal eine Familie ein Gästezimmer, mal bietet ein Eigentümer sein Wohnhaus an. Doch es sind Einzelfälle. Im Dezember meldeten sich sechs Menschen bei der Sozialbehörde. Dabei engagieren sich mehr als 1000 Hamburger in den 70 Flüchtlingsunterkünften. 50.000 Menschen sollen es laut Stichproben in Deutschland sein. Nutzt der Staat die Kraft seiner Bürger nicht richtig?
Hamburgs CDU-Landeschef Marcus Weinberg sagt, die private Hilfe der Bürger solle besser genutzt werden. Auch hier gebe es Bereitschaft. „Der Senat muss endlich reagieren und Umsetzungen anleiten.“ Berlins Senat investiert 20.000 Euro in 800 Plakate für U-Bahnhöfe. Der Titel: „Vermieten Sie Wohnraum – helfen Sie Flüchtlingen“. Doch kapituliert der Staat mit solchen Kampagnen vor seiner Aufgabe, Menschen in Not zu versorgen?
Wer mit Fachpolitikern spricht, hört nicht Berlin oder Hamburg als Vorbild für Integration von Flüchtlingen in den Alltag. Sondern Leverkusen. Seit zwölf Jahren quartiert die Stadt Asylsuchende nicht mehr in Sammelunterkünfte ein. In Leverkusen ziehen Menschen mit einer Duldung bereits nach wenigen Monaten in eine eigene Wohnung. Das sei menschenwürdiger und kostengünstiger, sagen sie dort. Aber funktioniert in der Metropole Hamburg, was in Leverkusen Schule macht?
Enger Kontakt für schnelle Integration
Durch den Kontakt zur Nachbarschaft würden Flüchtlinge schneller die deutsche Sprache lernen und Kontakte zu Sportvereinen oder Kirchengruppen knüpfen, sagt Hamburgs Grünen-Politikerin Antje Möller. Zudem seien die Kosten der Stadt für die Unterstützung von privaten Unterkünften günstiger, als würde die Behörde beispielsweise Hotelzimmer für Flüchtlinge anmieten. Auch Möller fordert von der Stadt, private Vermieter stärker einzubinden.
Die Sozialbehörde informiert bisher nur knapp im Internet, vor allem darüber, dass Menschen mit schweren Erkrankungen berechtigt sind, aus einer Sammelunterkunft in eine Wohnung zu ziehen. Auch wer länger als sechs Monate in öffentlichen Einrichtungen lebt und noch mehr als ein Jahr Asyl in Deutschland genießt, darf umziehen. Bei jungen Flüchtlingen macht die Stadt ebenfalls Ausnahmen.
Wenn eine Wohnung privat vermietet wird, trägt die Stadt die Kosten für den Flüchtling: 350 Euro Kaltmiete als Obergrenze für einen Einpersonenhaushalt, 600 Euro bei einer vierköpfigen Familie. So sieht es das Sozialgesetzbuch vor, nach dem sich auch die Leistungen für Asylbewerber richten. Auch die Wohnungsgröße gibt das Gesetz vor: 50 Quadratmeter für einen Flüchtling, 120 für eine Familie mit sechs Personen. Die Behörde schaut sich nach eigener Angabe alle Wohnungen an, bevor jemand dort einzieht.
Der Cousin von Faiz A. lebt mit Frau und Kindern noch im Krieg. Als A. vor vielen Jahren zum Maschinenbau-Studium nach Deutschland zog, war in seiner Heimat noch Frieden. Vor A. auf dem Glastisch liegen Kopien der syrischen Ausweise der Familie. Vieles hat er schon versucht: A. beantragte ein Visum für ihren Besuch, er verpflichtete sich, alle Kosten zu übernehmen: Arztbesuche, Lebensmittel und Wohnraum. Der Staat will sichergehen, dass er nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Gerade bei Menschen aus Krisengebieten. Der Antrag auf ein Visum wurde abgelehnt.
Die Familie floh vorübergehend in den Libanon. In den Flüchtlingslagern dort verwaltet die Uno Listen für Asyl-Kontingente. Einige EU-Staaten verpflichteten sich zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Mit 20.000 Plätzen trägt Deutschland die Hauptlast. Noch immer zu wenig, sagen viele. Allein im kleinen Libanon leben mehr als eine Million syrische Flüchtlinge.
Wer in Deutschland Asyl erhält, entscheidet das Bundesamt. Die Unterbringung ist dann Sache der Länder und Kommunen. Gerade in Hamburg ist der Raum knapp, günstige Wohnungen sowieso. Hamburg bringt einige Flüchtlinge schon in Mecklenburg-Vorpommern unter. Privatquartiere können Sammelunterkünfte nicht ersetzen.
Und auch Befürworter sehen Risiken wie die Abhängigkeit der Flüchtlinge von ihren privaten Vermietern. „In einzelnen Fällen werden Flüchtlinge als billige Haushaltskräfte genutzt oder erhalten Zimmer ohne Fenster“, sagt Grünen-Politikerin Möller. In einem Fall hat die Behörde eine Wohnung abgelehnt, weil sie verwahrlost war. Standards, die der Staat in Heimen bietet, können privat nur durch Kontrolle eingehalten werden. Das bindet Personal.
Doch Heime stigmatisieren auch, manche Flüchtlinge berichten von Lärm und unfreundlichen Sozialarbeitern. In einigen Fällen sind sie Angriffsziele von Neonazis. Möller warnt zudem vor einer Isolierung der Flüchtlinge. Doch die Behörde sieht das anders. Auch Privatwohnungen könnten die Flüchtlinge abkapseln. In den Einrichtungen der Stadt dagegen unterrichten Nachbarn Deutsch, betreuen Kinder, singen gemeinsam. Doch es geht nicht nur um Freizeitangebote. Für den Staat ist in Heimen auch die Abschiebung einfacher, wenn Asyl abgelehnt wurde.
Doch die wachsenden Flüchtlingszahlen befeuern die Debatte über private Unterbringung. Der Brandenburger CDU-Abgeordnete Martin Patzelt startete einen Appell an die Bürger. Wer ein Zimmer frei habe, solle nachdenken, ob er nicht Flüchtlinge einquartiere. Patzelt erhielt viel Zuspruch – doch bundesweit einheitliche Regelungen für private Unterbringung fehlen bisher.
Faiz A. hätte ein Zimmer für seine Familienangehörigen, sie würden gemeinsam am Tisch essen. A. hatte sich zu allen Kosten verpflichtet. Doch ein Recht auf Privatasyl gibt es in keinem Staat. Und in den Kontingenten war für den Cousin von A. kein Platz. Mehrfach hakte A. nach. Kapazitäten ausgeschöpft, meldet das Innenministerium.
A. ist nicht wütend auf die Behörden. „Ich weiß, dass das auch für Deutschland eine heikle Situation ist.“ Und Deutschland leiste schon viel. „Mir bleibt nur die Hoffnung.“