Es geht um eine ominöse CD, die beim Verfassungsschutz im Archiv entdeckt wurde. Die Grünen im Bundestag beantragen eine Sondersitzung der Geheimdienst-Aufsicht.
Berlin/Hamburg/München. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte schon mehrere Jahre vor dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) eine CD mit Hinweisen auf den Namen der rechtsextremen Terrorgruppe in seinem Archiv. „Im Rahmen der Aktensichtung für ein laufendes Ermittlungsverfahren wurde im BfV eine CD aus dem Jahr 2005 gefunden, die das Kürzel „NSU/NSDAP“ enthält“, bestätigte das Bundesamt einen Bericht der „Bild“-Zeitung. Eine Sprecherin erklärte, die CD sei aber erst am vergangenen Montag aufgefunden worden.
Etliche Mitglieder des Innenausschusses des Bundestages reagierten darauf mit Zweifeln oder Empörung. Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic erklärte: „Dieser Fund reiht sich ein in eine Serie von Pannen des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Aufarbeitung des Rechtsterrorismus.“ Man müsse sich fragen, ob es sich um einen Fall von Unfähigkeit oder um eine Verschleierungstaktik der Behörde handele, hieß es aus Kreisen des Ausschusses.
„Hier muss jetzt jeder Stein im Bundesamt für Verfassungsschutz umgedreht werden, damit Parlament und Öffentlichkeit erfahren, was sich tatsächlich ereignet hat“, erklärte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka.
Mit Empörung hat der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele auf die neuen Entdeckungen reagiert. Er erklärte: „Das totale Versagen von Verfassungsschutz und Bundesregierung im NSU-Skandal geht immer weiter. Ich habe zur Aufklärung heute eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums beantragt.“
Ströbele sagte weiter: „Alle Beteuerungen der Bundesregierung der letzten drei Jahre, dass die deutschen Sicherheitsbehörden von der Existenz des NSU bis zum Tod von Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 nichts wussten und nichts wissen konnten, waren danach falsch.“
Der Bundestag, der NSU-Untersuchungsausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG), das die Aufsicht über die Geheimdienste ausübt, seien dann falsch und unvollständig informiert worden.
Ströbele sagte: „Entweder hat die Bundesregierung das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nach wie vor nicht unter Kontrolle und weiß nicht, was dort vorgeht. Oder dieser Geheimdienst und Bundesregierung führen Öffentlichkeit und Bundestag in die Irre.“
Der Innenausschuss hatte in seiner Sitzung am 24. September zwar über die CD gesprochen, auf der das Kürzel NSU neben dem Namen der Partei von Adolf Hitler auftaucht war. Damals war aber noch nicht bekannt gewesen, dass der V-Mann Thomas R., der von den Verfassungsschützern unter dem Decknamen „Corelli“ geführt wurde, die CD bereits vor Jahren einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes übergeben hatte. „Corelli“, der an Diabetes litt, war am 7. April leblos in seiner Wohnung im Landkreis Paderborn aufgefunden worden.
Beim BfV in Köln heißt es jetzt, die ominöse CD habe zwar rechtsextremes Material und einen NSU-Schriftzug enthalten. Der Verfassungsschutz habe daraus jedoch nicht auf die „Existenz einer rechtsterroristischen Gruppierung namens NSU“ schließen können. Die CD sei inzwischen dem Bundeskriminalamt zur weiteren Auswertung übergeben worden.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) vor, neun Menschen türkischer und griechischer Herkunft ermordet zu haben. Außerdem soll das Trio aus Zwickau eine Polizistin getötet und zwei Sprengstoffanschläge verübt haben.
In München steht seit Mai 2013 Beate Zschäpe vor Gericht. Ihre beiden mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt starben am 4. November 2011 in Eisenach – kurz bevor die Polizei ihren Wohnwagen stürmte. Nach Aussagen von Rechtsmedizinern und Polizisten tötete Mundlos zuerst Böhnhardt und dann sich selbst.
Der Hamburger Anwalt und Nebenkläger im Münchener NSU-Prozess, Thomas Bliwier, hatte am Dienstag schwerwiegende Vorwürfe erhoben. Er erklärte, das Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sei „trotz Fahndungsmaßnahmen“ nie festgenommen worden. „Dies wurde verhindert durch die Aktivitäten des Landesamtes für Verfassungsschutz.“ Er bezog sich auf Aussagen des früheren V-Mannes und Neonazi-Anführers Tino Brandt an den vorangegangenen Prozesstagen.
Am Mittwoch wurde der NSU-Prozess wegen einer Erkältung des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl bereits nach gut einer halben Stunde abgebrochen worden. „Wir können in Hinblick auf meine Erkältung leider nicht weitermachen“, sagte Götzl vernehmbar heiser und vertagte die Sitzung auf die kommende Woche. Der Termin am Donnerstag wurde komplett gestrichen.