Der Kontaktmann in die rechte Szene übergab eine DVD mit dem Titel NSU/NSDAP. Können diese Daten im Prozess gegen Beate Zschäpe eine Rolle spielen?

Hamburg. Derzeit beschäftigt die Bundesanwaltschaft im Fall der NSU-Mordserie eine DVD, die offenbar von einer V-Person des Hamburger Verfassungsschutzes an die Behörden gelangt ist. Mehrere Medien berichteten, dass auf dem Datenträger Schulungspropaganda von Rechtsextremisten gespeichert ist. Brisant: Die DVD ist mit „NSU/NSDAP“ betitelt, und es soll auch eine Organisation namens „Nationalsozialistischer Untergrund der NSDAP (NSU)“ erwähnt sein.

Bisher gibt es nach Auskunft der Bundesanwälte abseits des verwendeten Kürzels „NSU“ keine „inhaltlichen Bezüge“ zur rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), der zehn Morde zur Last gelegt werden. Mehrere Beschuldigte stehen derzeit in München vor Gericht. Ihre Namen tauchen nach Informationen des Abendblatts nicht auf der vermutlich im Juni 2006 gebrannten DVD auf.

Fraglich ist jedoch, warum die V-Person des Hamburger Verfassungsschutzes den Beamten erst jetzt den Datenträger überreichte. Nach eigenen Angaben habe der Spitzel des Geheimdienstes die DVD bereits vor acht Jahren erhalten, heißt es dazu im „Spiegel“. Und zwar von dem vor wenigen Wochen plötzlich gestorbenen Thomas R. – ebenfalls langjährige V-Person des Verfassungsschutzes, Deckname „Corelli“.

Ende April ließ die Behörde nun „Corellis“ Wohnung in Paderborn durchsuchen und dessen Notebook sowie mehrere Speichermedien sicherstellen. Die Behörde prüft derzeit weiter, ob es inhaltliche oder personelle Verbindungen zur Terror-Gruppe NSU gegeben haben könnte. Der Hamburger Verfassungsschutz äußerte sich gegenüber dem Abendblatt nicht zu der DVD.

„Corelli“ – selbst viele Jahre überzeugter Neonazi – war nach dem zufälligen Auffliegen des NSU Ende 2011 als V-Person enttarnt worden. Er bekam eine neue Identität und wurde in ein Schutzprogramm der Sicherheitsbehörden aufgenommen. Die offizielle Todesursache, bestätigt durch eine Obduktion, lautet: unerkannte Diabetes. Die Ermittler der Bundesanwaltschaft hatten „Corelli“ im Zuge des NSU-Verfahrens mehrfach verhört.

Durch die aufgetauchte DVD ist die Rolle „Corellis“ für die Sicherheitsbehörden gestiegen. Das Kürzel „NSU“ auf dem Datenträger ist auffällig. Dennoch scheint es vorerst der einzige Hinweis auf mögliche Zusammenhänge zur angeklagten Terror-Gruppe zu sein. Weitere Bezüge in der Symbolik oder der Sprache etwa zum NSU-Bekennervideo, das die Ermittler 2011 in der abgebrannten Wohnung des Trios in Zwickau gefunden hatten, ließ sich offenbar bisher nicht finden.

Die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ soll zwischen 2000 und 2007 zehn Morde aus rassistischen Motiven begangen haben. Hamburg gedenkt des mutmaßlich von der rechtsextremen NSU-Terrorgruppe ermordeten Süleyman Tasköprü nun mit einer eigenen Straße. Ein etwa 300 Meter langes Teilstück der Kohlentwiete im Stadtteil Bahrenfeld werde am 26. Juni in „Tasköprüstraße“ umbenannt. Dies teilten die Fraktionen von SPD und Grünen im Bezirk Altona mit.

Tasköprü war am 27. Juni 2001 nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft im Alter von 31 Jahren von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Lebensmittelgeschäft seines Vaters mit mehreren Kopfschüssen erschossen worden. Es ist bundesweit die erste Straße, die nach einem NSU-Opfer benannt wird. Die Straße liegt unweit des damaligen Tatorts.

„Die Schützenstraße, in der Süleyman Tasköprü ermordet wurde, und die ein „Tor“ zu Altona ist, wurde von rechtsradikalen Verbrechern mit seinem Blut beschmiert. Mit der Umbenennung der Kohlenwiete setzen wir jetzt offiziell ein Zeichen gegen dieses Verbrechen und schaffen ein neues „Tor“ zum weltoffenen Altona“, erklärte der Grünen-Bezirksabgeordnete Yusuf Uzundag. Seine SPD-Kollegin Anne-Marie Hovingh hebt hervor: „Es ist unsere Pflicht, der Opfer und ihrer Angehörigen zu gedenken.“

Über mehrere Jahre konnte der rechtsterroristische NSU um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt offenbar unentdeckt morden. Wie in mehreren anderen Bundesländern, in denen die Gruppe ihre Opfer erschoss, ermittelte die Hamburger Polizei vor allem in Richtung „Organisierte Kriminalität“ oder im „türkischen Milieu“, weil sie beispielsweise einen politischen Tathintergrund etwa im Zusammenhang mit der kurdischen PKK vermutet hatte.

Aus den Ermittlungsakten der Jahre 2000 bis 2011, die dem Abendblatt vorliegen, geht hervor, dass die Hamburger Polizei auch nach mehreren Jahren erfolgloser Ermittlungen in mehrere Richtungen sich im Austausch mit Kollegen aus Bayern gegen eine Fallanalyse der dortigen Polizei wehrte, die auch das Motiv „Ausländerhass“ einbezog. Aus Sicht der Hamburger Beamten heißt es, man habe diese Fallanalyse vor allem aus methodischen Gründen nicht für plausibel erachtet.

Auch dem Hamburger Verfassungsschutz, der nun offenbar von einer seiner Quellen die DVD mit dem Titel „NSU/NSDAP“ überreicht bekam, sah damals keine Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund der bundesweiten Mordserie.