Bei der Stippvisite des französischen Premierministers Valls in der Hansestadt stehen wirtschaftliche Beziehungen im Vordergrund. Deutschland und Frankreich seien der Motor der europäischen Entwicklung.
Finkenwerder. Als das offizielle Foto gemacht werden sollte, standen sie plötzlich etwas steif da. Der französische Premierminister Manuel Valls, sein Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, Airbus-Chef Fabrice Brégier, Bürgermeister Olaf Scholz und all die anderen wichtigen Personen, so verloren mitten in dieser riesigen Halle, vor diesem unlackierten Flugzeug. Doch dann hatte eine Mitarbeiterin des Protokolls die rettende Idee und brachte ein A380-Modell. Großes Hallo. „Das ist aber ein großes Modell“, freute sich Brégier. Nun klappte es mit dem lockeren Lächeln in die Kameras.
Wäre ja auch noch schöner gewesen. Europa hat schon bessere Zeiten erlebt, die deutsch-französischen Beziehungen auch. Doch auf Airbus, dieses europäische Vorzeigeunternehmen, ist immer Verlass. Und so ließ Valls den innenpolitischen Ärger wie die Pilotenstreiks bei Air France vermutlich gern in Paris und besuchte die erfolgreiche Flugzeugfertigung auf Finkenwerder.
„Hier“, sagte der Premierminister mitten in der Montagehalle für die A320-Linie, „ist der perfekte Ort, um die Botschaft auszusenden, dass wir in einer globalisierten Welt leben.“ Das deutsch-französische Unternehmen zeige, wie Staaten gemeinsam Herausforderungen meistern können. Deutschland und Frankreich, das werde am Beispiel Airbus deutlich, seien der Motor der europäischen Entwicklung.
„Es ist sehr beeindruckend zu sehen, was aus dieser Zusammenarbeit gelingen kann“, sagte Scholz dem Abendblatt, nachdem er mit Valls den Innenausbau eines gigantischen A380 für die Fluglinie Emirates besichtigt hatte. „Ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert, und der Premierminister bestimmt auch.“ Der Bürgermeister erinnerte daran, dass erst 2013 Valls’ Vorgänger Jean-Marc Ayrault Gast in Hamburg war: „Airbus ist ein großes Gemeinschaftsprojekt, nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich, aber vor allem zwischen diesen beiden Nationen. Daher bin ich froh, dass in so kurzen Abständen französische Regierungschefs hier gewesen sind.“
Am Morgen war der seit März amtierende Premierminister Valls zunächst zum Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Das Datum war mit Bedacht ausgewählt worden: Auf den Tag genau vor 30 Jahren, am 22. September 1984, hatten der französische Staatschef François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sich auf dem Soldatenfriedhof von Verdun die Hände gereicht – diese Geste steht wie kein zweite für die Versöhnung der einstigen Kriegsgegner.
Von Berlin aus flog der Premierminister gemeinsam mit Bürgermeister Scholz nach Hamburg, wo sie direkt auf dem Airbus-Gelände landeten. Worüber wird auf so einem Flug gesprochen? „Wir haben uns über die industriellen Beziehungen zwischen Frankreich und Hamburg unterhalten, die ja wesentlich durch Airbus geprägt werden, aber auch durch die Windkraftindustrie und die Messe, die wir veranstalten“, sagte Scholz dem Abendblatt. „Und es ging darum, wie wir Wirtschaftswachstum entwickeln können, was ja in Frankreich momentan eine große Frage ist.“ Benötigt werde Wachstum, das allen Ländern Aufschwung bringt, so Scholz: „Das ist nicht die Aufgabe des einen oder des anderen, sondern von uns miteinander. Der Besuch des Premierministers zeigt das hier.“
Airbus gilt nicht nur als Vorzeigeprojekt für die deutsch-französische Zusammenarbeit, sondern hat als Unternehmen große Bedeutung für Hamburg. Mit seinen rund 13.300 Arbeitsplätzen ist der Flugzeugbauer der größte Arbeitgeber der Stadt, und er trägt maßgeblich dazu bei, dass Frankreich der größte Außenhandelspartner der Stadt ist. Waren im Wert von knapp 14 Milliarden Euro wurden 2013 aus dem Nachbarland nach Hamburg geliefert – das machte gut 20 Prozent des Gesamtimports der Hansestadt aus. Auf Platz eins steht Frankreich auch bei den Ausfuhren: Die Güter im Wert von 13,9 Milliarden Euro machten 28 Prozent des Exportvolumens aus. Beide Werte haben sich seit 2004 etwa verdoppelt, und in beiden Kategorien machten „Luftfahrzeuge“ mit rund 90 Prozent den Löwenanteil aus, gefolgt von Duftstoffen und Körperpflegemitteln (2,2 Prozent der Einfuhren), beziehungsweise Maschinen (ein Prozent der Ausfuhren).
Die Zahl der Hamburger Firmen, die Kontakte nach Frankreich unterhalten, ist mit rund 1200 relativ konstant. Knapp 200 von ihnen sind sogar vor Ort vertreten. Schwankend, aber mit einem positiven Trend, ist dagegen die Zahl der in Hamburg lebenden Franzosen: War sie von 2000 bis 2008 von 4562 auf 3756 zurückgegangen, stieg sie seitdem auf 5103 an. Eine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte kann die Tourismuswirtschaft vermelden: Die Zahl der Übernachtungen von Franzosen in Hamburg hat sich seit 2001 von damals 47.357 auf 113.966 im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.
Möglicherweise hängt das auch mit einem anderen historischen Datum zusammen: Denn im Jahr 1814, also vor genau 200 Jahren, hatten rund 25.000 französische Soldaten die Stadt verlassen. Damit endete die von Napoleon befohlene Besatzung Hamburgs, die nachhaltige Spuren in der Stadt hinterlassen hat. Möglicherweise bekamen Valls und seine Delegation etwas davon zu sehen: Denn von Airbus auf Finkenwerder fuhr die Delegation in schwarzen Staatskarossen quer durch die Stadt ins Rathaus, wo sich der Premierminister ins Goldene Buch der Stadt eintrug und ein Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf dem Programm stand. Die Übernachtungszahlen in der Hansestadt kurbelte Valls nicht an: Nach einem Empfang im Hotel Atlantic wollte er zurück nach Berlin fliegen – zu weiteren Terminen.