Elbphilharmonie, Flughafen BER, Stuttgart 21 – mit Gebäudedatenmodellierung wäre das nicht passiert. Der Minister fördert das neue Verfahren.
Berlin. Wäre alles gut gegangen, würden die Berliner seit zwei Jahren vom Flughafen BER in alle Welt starten, würden die Hamburger seit mehr als drei Jahren zu Konzerten in ihre Elbphilharmonie im Hafen gehen und wären die Stuttgarter nicht auf die Barrikaden gegangen, um mehr Mitsprache am gigantischen Bahnhofsbau Stuttgart 21 einzufordern. Es ging in allen drei Fällen nicht gut, wie man heute weiß. Und weil es so ist, gibt es seit gut einem Jahr ein prominent besetztes Gremium. Es nennt sich offiziell „Reformkommission Bau von Großprojekten“. Vertreten sind etwa Bahnchef Rüdiger Grube, BDI-Präsident Ulrich Grillo oder Bundesrechnungshof-Vize Christian Ahrendt, daneben Bauexperten und Vertreter der einst so gerühmten deutschen Ingenieurskunst.
Am Donnerstag kommt die Gruppe zum dritten Mal seit dem Frühjahr 2013 zusammen – und erstmals, seit CSU-Mann Alexander Dobrindt das Amt des Verkehrsministers übernommen hat. Das Gremium hat den Ehrgeiz, endlich wieder Vertrauen in öffentliche und private Großbauprojekte herzustellen. Eines Tages, so das gemeinsame Ziel, soll man bei neuen Leuchtturmprojekten nur noch über innovative Architektur und technische Revolutionen sinnieren – und sich nicht mehr über Kostenexplosionen und Terminprobleme ärgern.
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Die „Digitalisierung“ gilt als Zauberwort für die Zukunft des Bauens. Von einer neuen „Planungskultur“ ist gar die Rede. Gemeint ist eine moderne IT-gestützte Methode zur optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden: „Building Information Modeling“ (BIM) nennt sie sich, zu Deutsch: Gebäudedatenmodellierung. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Denn BIM steht für eine Bauplanung, die man sich wie eine gigantische Datenbank vorstellen muss und weitaus mehr beinhaltet als ein dreidimensionales Gebäudemodell. Auch Informationen zum Material, dessen Lebensdauer, zur Schalldurchlässigkeit oder zum Brandschutz und vor allem zu den Kosten gehören in die Datenbank.
Zumindest im Verkehrsministerium – auch zuständig für die digitale Infrastruktur – ist eine wahre BIM-Begeisterung erwachsen. Schließlich hat man es endlich mit einer „synchronisierten Datenbasis“ zu tun, „auf die alle am Bau Beteiligten zugreifen können“, heißt es im Dobrindt-Haus. Änderungen in einem Bereich des Projektes könnten damit in anderen Bereichen nicht mehr übersehen werden. BIM habe damit das Potenzial, entscheidend zu Kosten- und Terminsicherheit beizutragen, ist man überzeugt. Der zuständige Minister selbst klingt euphorisch: Die Digitalisierung des Bauens biete Chancen, „große Bauprojekte im Zeit- und Kostenrahmen zu realisieren“, sagt Dobrindt. Bessere Datengrundlagen für alle am Bauprojekt Beteiligten würden für „Transparenz und Vernetzung“ sorgen. „Dadurch können Zeitpläne, Kosten und Risiken früh und präzise ermittelt werden“, so der Minister.
Obwohl verschiedene BIM-Softwareprodukte in Deutschland entwickelt und angeboten werden, kommt diese Methode der Bauplanung hierzulande kaum zum Zuge. Im Verkehrsministerium erklärt man sich das damit, dass die deutsche Planungs- und Bauwirtschaft eher mittelständisch und kleinteilig geprägt ist. Da scheue man größere Investitionen. Denn die Methode BIM verlangt nach Experten, die sie durchschauen. Andere Länder sind längst weiter. In den USA, Dänemark, Norwegen, den Niederlanden und bald auch in Großbritannien wird die digitalisierte Rundumplanung öffentlich gefördert. Deutschland soll nun nachziehen.
Um die Digitalisierung des Bauens voranzubringen, „werde ich Pilotprojekte ins Leben rufen“, kündigt Dobrindt an. Für ihn heißt modernes Bauen: „Erst virtuell und dann real bauen.“ Die deutsche Bauwirtschaft plant bereits eine BIM Task Group. Dobrindt sieht schon darin einen Durchbruch, mit solch einer nationalen Plattform „aller an der Planung und dem Bau Beteiligten der Digitalisierung des Bauens den Weg zu ebnen“. Schließlich hinke die Baubranche bei der Digitalisierung anderen Branchen noch hinterher. Um Innovationspotenziale zu erschließen und vor allem auch international nicht abgehängt zu werden, müsse man hier eine Aufholjagd starten.
Auch der Bundesrechnungshof, der seinen Vizepräsidenten Christian Ahrendt in das Gremium entsandt hat, macht sich so seine Gedanken über die Zukunft des ganz großen Bauens. Ahrendt hat für die kommende Sitzung ein Thesenpapier entworfen. Es basiert auf einer Botschaft: „Erst planen, dann bauen!“ Ahrendt erklärt: „Man muss die Entscheidungen für Großprojekte künftig zweiteilen.“ Wie gesagt, erst planen, dann bauen. Erst müsse die Entscheidung für den Bau und den Kostenrahmen gefällt werden. „Wenn man dann eine Ausführungsplanung vorliegen hat und Angebote über die tatsächlichen Baukosten erhalten hat, dann sollte das zuständige Parlament noch einmal entscheiden, ob es wirklich bauen will. Bei einem solchen zweiteiligen Verfahren wären viele Probleme bereits frühzeitig gelöst“, ist der Rechnungshof-Vize überzeugt.
Auch in seinem Thesenpapier wird Ahrendt deutlich: „Kostensteigerungen bei Großprojekten beruhen häufig auf einer zu frühen Haushaltsentscheidung, bei der häufig keine ausreichende Planungstiefe und Risikoanalyse vorliegt, um die Kosten verlässlich zu ermitteln.“ Die Folge: Fehlentwicklungen wurden häufig zu spät offenbar und ein Projektausstieg zu teuer. Ahrendts „notwendige Konsequenz“: „Über Planung und Bau eines Großprojekts muss getrennt vom Haushaltsgesetzgeber entschieden werden!“
So hätte man aus seiner Sicht manch berühmt-berüchtigtes Pannenprojekt frühzeitig vermeiden können. „Man hat beim BER eine Bauplanung begonnen, ohne tatsächlich eine Ausführungsplanung zu haben“, sagt Ahrendt. Das gleiche Problem habe Hamburg mit der Elbphilharmonie. „Solche Fehler sind schlicht unnötig.“ Dafür gibt es nun ja auch die Kommission – mit all ihren Vorschlägen.