Der ZDF-Staatsvertrag ist in Teilen verfassungswidrig, urteilte das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage der Bundesländer Hamburg und Rheinland-Pfalz. Die Länder haben bis Mitte 2015 Zeit, den Einfluss von Staat und Politik auf den Sender zu begrenzen
Es waren wohl wirklich „die richtigen Fragen“, die Rheinland-Pfalz und Hamburg gestellt haben, wie es Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach der Verkündung des Urteils formulierte. In einer gemeinsamen Klage haben die Bundesländer den zu großen Einfluss von Staat und Politik beim ZDF beklagt – und am gestrigen Dienstag vom Bundesverfassungsgericht recht bekommen. Der ZDF-Staatsvertrag, er ist in Teilen verfassungswidrig, so urteilten die Richter. Das sei „ein wichtiges und wegweisendes Urteil“, sagte Scholz, das den Weg eröffne, „die Legitimation des staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunks pragmatisch zu stärken.“
Denn mit der Staatsferne war es bislang nicht allzu weit her beim ZDF, auch wenn der Intendant Thomas Bellut noch vor wenigen Wochen betonte: „Wir sind unabhängig.“ Da hatte die SPD dem Sender nach einem Streit von Sigmar Gabriel mit der Moderatorin Marietta Slomka Parteilichkeit vorgeworfen. Und auch, wenn diese Auseinandersetzung wohl weniger mit politischer Einflussnahme und mehr mit der Schärfung der Profile auf beiden Seiten zu tun haben mag, ist der Einfluss der Politik auf dem Lerchenberg insgesamt deutlich zu groß. Stein des Anstoßes war vor allem der Fall Nikolaus Brender, dessen Vertrag als Chefredakteur auf Betreiben des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) 2009 nicht verlängert wurde.
Das Zweite Deutsche Fernsehen muss nun zwar nicht handeln, dafür aber die 16 Bundesländer, die bis Mitte 2015 Zeit bekommen haben. Bis dahin müssen sie die Verhältnisse im ZDF so weit neu regeln, dass gesichert ist, dass der Fernseh- und der Verwaltungsrat des Senders nicht länger von Regierung, Verwaltung und Parteien dominiert werden. Pikant dabei ist, dass die zu dem Urteil führende Klage vom Jahr 2010 ausgerechnet aus Rheinland-Pfalz kam, Hamburg schloss sich an. Mainz hat im Reigen der Bundesländer aber den Hut für die Rundfunkpolitik auf, seit 1999 schon ist der damalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) der Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats. Er hat sich sozusagen selbst verklagt – und nun also in weiten Teilen gewonnen.
Die Politiker konnten bislang wichtige Entscheidungen blockieren
Einerseits kommt das Urteil dem ZDF natürlich entgegen. Denn über Einflussnahme von außen respektive oben – es sitzt sogar jemand vom Kanzleramt im Fernsehrat – freut sich wohl kaum ein Intendant. Allerdings ist es dennoch eine Blamage für den Mainzer Sender, dass ihm nun qua Richterspruch ein wenig der Ruch des Staatsfunks anhaftet. In der Selbstdarstellung des Fernsehrats auf der ZDF-Webseite heißt es ausdrücklich: „Seit Jahrzehnten ist diese Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auch und gerade deshalb effektiv, weil die pluralistisch zusammengesetzten Rundfunkgremien bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in erster Linie Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit sind. Die Mitglieder des Fernsehrats sind an Weisungen nicht gebunden, die Erfüllung ihrer Aufgaben darf nicht durch wirtschaftliche oder sonstige Interessen gefährdet werden.“ Und Bellut höchstpersönlich hatte sich bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe, die dem Urteil vorausgegangen war, wortreich darum bemüht, jeden Eindruck von allzu großer Nähe des Senders zum Staat zu zerstreuen. „Zahllose Entscheidungen“ vor allem in Bezug aufs Programm würden Tag für Tag getroffen, ohne dass eines der mit Politikern bestückten Gremien mitwirke. „Ich kann aus meiner bisherigen Amtszeit sagen, dass die Unabhängigkeit der Programmverantwortung gewahrt ist“, sagte Bellut im November 2013. Das haben ihm die Verfassungsrichter offenkundig nicht abgenommen. Dennoch jubelt der ZDF-Intendant nun lautstark über die Entscheidung, und auch der Fernsehratsvorsitzende Ruprecht Polenz findet großartig, dass das Verfassungsgericht die Unabhängigkeit des ZDF von der Politik gestärkt habe. Wobei Polenz selbst nicht gerade für diese Staatsferne steht: Der Ex-Abgeordnete ist ein Urgestein der CDU. Dennoch zeigt er sich jetzt ausgesprochen zufrieden mit dem klaren Bekenntnis zur Binnenkontrolle. „Damit sollten die übergriffigen Versuche der Landesmedienanstalten, sich als Generalkontrolleure des Fernsehens in Deutschland zu positionieren, endgültig vom Tisch sein.“
Auch der ARD-Vorsitzende und NDR-Intendant Lutz Marmor lobt die gestärkte Unabhängigkeit der Öffentlich-Rechtlichen. Das einhellige Aufatmen mutet seltsam an, weil die Anstalten noch vor Kurzem allesamt von Einflussnahme nichts wissen wollten. Was das Urteil für die ARD-Anstalten bedeutet, muss nun geprüft werden. Auch hier stellt sich die Frage, ob Staatsverträge wie etwa der des NDR noch verfassungsgemäß sind. Für den NDR sehe er keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, sagte Marmor.
Man fragt sich, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass sogar die Politik selbst vors Verfassungsgericht ziehen musste, weil der Einfluss von Staat, Regierung und Parteien „dysfunktional“ groß sei, wie es in der Klage hieß. Im Verwaltungsrat betrage er 43 Prozent. Damit könnten wichtige Personalentscheidungen wie die Wahl des Intendanten, für die eine 60-Prozent-Mehrheit erforderlich ist, blockiert werden.
Die Richter haben durchgezählt und diesen Vorwurf bestätigt. Auch im Fernsehrat sind 43 Prozent der 77 Mitglieder von Bund, Ländern, Parteien und kommunalen Spitzenverbänden benannt. Das können die Richter offenbar beim besten Willen nicht mehr als „staatsfern“ anerkennen. Hinzu kommen weitere Vertreter, die eigentlich „gesellschaftlich relevante Gruppierungen“ wie Kirchen, Arbeitnehmer oder Bauern repräsentieren sollen, aber auch ein Parteibuch haben. Beispiele sind Rudolf Seiters von der CDU, der einst Innenminister war, heute als Vertreter der Freien Wohlfahrtsverbände im Fernsehrat sitzt, oder die Konservative Erika Steinbach (CDU) für den Vertriebenenbund. Auch Gewerkschaftschef Michael Sommer, SPD-Mitglied, sitzt in dem Rat.
Künftig, urteilte das Verfassungsgericht, darf nur noch ein Drittel des Fernsehrats aus Staat und Politik kommen. Doch wie soll das in der Praxis aussehen? Kann man einem Gewerkschafter den Zutritt ins Gremium verweigern, weil er Parteimitglied ist? Das Verfassungsgericht fordert „Inkompabilitätsregelungen“, um die Staatsferne von Mitgliedern „in persönlicher Hinsicht“ zu gewährleisten. Regierung oder Politik sollen auf die Auswahl der „staatsfernen“ Mitglieder im Verwaltungs- und Fernsehrat keinen bestimmenden Einfluss haben dürfen. Wie das verhindert werden soll, sorgt sicher noch für manche Auseinandersetzung. Oder, wie es Bürgermeister Scholz formuliert: „Wir werden nun im Länderkreis die Entscheidung des Gerichts genau analysieren und entsprechend der Hinweise zu den Gremien, ihrer Zusammensetzung und der Transparenz ihrer Arbeit die notwendigen staatsvertraglichen Änderungen zügig in die Wege leiten.“
Auf die Medienpolitiker kommen also heftige Debatten zu, umso mehr, als Beschlüsse in den 16 Ländern eigentlich einstimmig angenommen werden müssen. Die Frage wird auch sein, ob man sich bei dieser Gelegenheit auch Gedanken über das Zeitgemäße der gesellschaftlichen Vertretung machen sollte. Stichwort Vertriebene: Viele Beobachter kritisieren die Zusammensetzung des Fernsehrats mit Blick auf die Veränderungen in Deutschland. Als das ZDF 1963 gegründet wurde, waren Vertriebene noch eine wesentliche gesellschaftliche Gruppe, während von Muslimen nirgends die Rede war. Doch die alte Bundesrepublik existiert nicht mehr, die Verhältnisse haben sich massiv gewandelt. Im Fernsehrat jedoch sitzen insgesamt fünf Vertreter der christlichen und jüdischen Kirche, um darauf zu achten, dass das öffentlich-rechtliche Programm die gesellschaftliche Vielfalt spiegelt. Der Islam jedoch hat kein Sprachrohr. Und was ist mit den Parteien selbst? Die Liberalen dürfen mit Rainer Brüderle und Christian Lindner zwei Personen entsenden, dabei sind sie nicht mal im Bundestag. Auch das war offenbar seinerzeit beim Entstehen des ZDF-Staatsvertrags nicht für möglich gehalten worden.
„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll die im Gemeinwesen vertretenen Meinungen facettenreich widerspiegeln. Er darf aber nicht zum Staatsfunk werden, der lediglich die Auffassung von Regierung und Exekutive verbreitet“, heißt es aus Karlsruhe. Das sind deutliche Worte. Die Gremienmitglieder dürfen keiner Weisung mehr unterstellt werden, abberufen werden können sie künftig nur noch aus einem „gewichtigen Grund“. Auch müsse die Arbeit der Räte transparenter werden. Die Ausgangsfrage war: Welche Macht hat die Politik im Sender? Ist das Zweite Deutsche Fernsehen ausreichend staatsfern – oder kungeln die Parteien nach Gusto und Eigeninteresse zentrale Posten hin und her, um damit Einfluss aufs Programm zu nehmen? Dieser Verdacht führte nach der Causa Brender, dem ehemaligen ZDF-Chefredakteur, zur Klage von zwei Ländern, Rheinland-Pfalz und Hamburg. Roland Koch, seinerzeit noch CDU-Ministerpräsident von Hessen, hatte im November 2009 im CDU-dominierten Verwaltungsrat des Zweiten Deutschen Fernsehens die Vertragsverlängerung von Brender torpediert. Weithin ging die Überzeugung um, dass Brender abgestraft wurde – weil er nicht nach der Pfeife der Politik hatte tanzen wollen.
Die Linkspartei in Hessen kommentierte das Urteil jetzt daher auch süffisant: „Und wieder ist eine Lex Koch verfassungswidrig.“ Von „Lex Koch“ kann indes aber nicht die Rede sein. Die Parteien mischen schon seit fünf Jahrzehnten in den öffentlich-rechtlichen Medien mit. Nur hat sich daran bisher keiner wirklich gestört. Anfang der 60er-Jahre hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) sogar noch mehr gewollt, eine Art von Bund und Ländern komplett kontrolliertes Deutschland-Fernsehen. Das scheiterte damals am Verfassungsgericht. Eine Bestückung der Gremien mit Politikern wurde dennoch ausdrücklich beschlossen. Lediglich der massive Durchgriff sollte keiner Partei oder politischen Richtung möglich sein.
Im Hinterzimmer des ZDF wirken die inoffiziellen "Freundeskreise"
Für die Öffentlichkeit, aber offenbar auch fürs Gericht brachte die mündliche Verhandlung im Herbst 2013 Überraschendes zutage: Im Hinterzimmer des ZDF wirken zwei zwar inoffizielle, aber überaus einflussreiche Zirkel: die Freundeskreise. Einer ist „rot“ und von der SPD-Politikerin Christine Bergmann organisiert, der andere nennt sich nach seinem inoffiziellen Kopf, dem Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), der „schwarze“ Jung-Freundeskreis. Am Vorabend von Entscheidungen treten die Runden gemütlich bei Rotwein und Häppchen zusammen. Dann werden Entscheidungen vorbereitet. Bei der mündlichen Verhandlung bemühten sich zwar Vertreter der Freundeskreise eifrig darum, die Treffen als harmonischen und harmlosen Gedankenaustausch zu beschreiben. Der langjährige ZDF-Intendant Dieter Stolte schrieb allerdings in seiner Biografie: „Die Mitglieder der Freundeskreise trafen sich – jeweils getrennt, aber häufig im gleichen Hotel – am Vorabend von Sitzungen, um sich zu beraten. Der Intendant, der bei den Sitzungen des CDU-Freundeskreises dabei war, sollte bei dieser Gelegenheit ,eingenordet‘ werden.“ Nach Staats- und Politikferne klingt das nicht. Und so sehen es auch die Verfassungsrichter.
Ex-Chefredakteur Nikolaus Brender freut sich sehr über das Urteil. „Ich glaube, die Auseinandersetzungen um meinen Fall haben sich gelohnt“, sagte der 65-Jährige. „Das Urteil des Gerichts ist relativ klar: Es erfordert eine Menge an Veränderungen in den Bundesländern, neue Staatsverträge. Und es zeigt deutlich den Politikern die Grenzen ihres Einflusses auf. Es sichert die Unabhängigkeit des Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und stützt die Freiheit des ZDF.“