75 Jahre nach den Novemberpogromen von 1938 hat Bundespräsident Gauck gewarnt, dass Erinnerung alleine nicht reiche. Aus Betroffenheit müsse „waches Hinsehen“ für die Gegenwart erwachsen.
Frankfurt (Oder)/Eberswalde. 75 Jahre nach den antisemitischen Pogromen in Deutschland hat Bundespräsident Joachim Gauck die Zivilgesellschaft aufgefordert, es nicht beim Gedenken allein bewenden zu lassen. Die Erinnerung an Opfer und Täter sei wichtig – es komme aber auch darauf an, in der Gegenwart gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aufzustehen und aktiv zu werden, sagte er am Sonnabend in Frankfurt (Oder). „Wir müssen heute da hinschauen, wo es erforderlich ist.“ Das gelte für Institutionen wie für alle Bürger, sagte er mit Verweis auf die Morde des NSU.
Das Staatsoberhaupt hielt in der Oderstadt die Rede vor einem Gedenkkonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters. Zuvor hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke in Gaucks Beisein eine Ausstellung der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (Israel) eröffnet. Sie zeigt, wie Juden von muslimischen Albanern gerettet wurden. Woidke sagte: „Diese Menschen haben mitmenschlich gehandelt und sich nicht von einer Ideologie blenden lassen.“ Sie seien Vorbilder, an denen man sich orientieren könne.
Der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, erinnerte daran, wie „schnell und reibungslos“ eine Gesellschaft in die Barbarei abgleiten könne. Die Verfolgung der Juden habe – lange vor den Konzentrationslagern – vor der Haustür ihrer Mitbürger begonnen. Die Mahnung „Wehret den Anfängen“ sei nach wie vor aktuell.
Am Nachmittag hatte der Bundespräsident in Eberswalde (Barnim) an einem neuen Gedenkort für die in der Pogromnacht zerstörte Synagoge einen Kranz niedergelegt. Auf das Fundament des früheren Gotteshauses hatten Bürger Bäume gepflanzt.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 hatten Nationalsozialisten einen Großteil der mehr als 1200 Synagogen und jüdischen Gebetshäuser in Deutschland zerstört. Tausende andere jüdische Einrichtungen und Geschäfte wurden verwüstet und geplündert. Bei der Terrorwelle wurden nach Einschätzung von Historikern mehr als 1300 Menschen getötet und mehr als 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Die Pogromnacht gilt als Auftakt zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.
Gauck betonte, die Zukunft könne nur gemeinsam gestaltet werden. Das sei besonders wichtig, wenn es darum gehe, sich jenen entgegenzustellen, die Werte und Verfassung infrage stellten.