„Wir erleben den Anfang vom Ende der Euro-Krise“, sagt der FDP-Chef. Philipp Rösler über Wahlchancen, Bürgerrechte – und seine Chefin.
Hamburg. Manch großer Konzern in Amerika habe sich vom Prinzip des Primats der Politik entfernt, meint Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. In der globalen Welt des Internets reichten die herkömmlichen juristischen Instrumente nicht mehr aus. Da wollten sich die Liberalen als Bürgerrechtspartei einmischen. Denn zur Marktwirtschaft gehörten immer auch Regeln. Beim Thema Mindestlohn sollten die aber die Tarifparteien finden – nicht der Staat.
Hamburger Abendblatt: Herr Rösler, haben Sie nach dem doch sehr harmonischen TV-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinbrück Angst vor einer Großen Koalition?
Philipp Rösler: Es wird für Schwarz-Gelb reichen. Abgesehen davon haben die beiden sich ja nach dem TV-Duell ordentlich gestritten. Unter anderem in der Frage der Verlässlichkeit beim Thema Euro hat man gesehen, dass Merkel und Steinbrück nicht miteinander können. Die Debatte zeigt, dass eine Große Koalition eher Stillstand bedeutet.
Was hat sie am meisten überrascht beim TV-Duell?
Rösler: Die Aufmerksamkeit, welche die schwarz-rot-goldfarbene Kette von Frau Merkel erregt hat.
Und wie fanden Sie das Duell inhaltlich?
Rösler: Ich fand Angela Merkel sehr stark, weil sie souverän war, ohne arrogant zu wirken. Es ist ja oft so, dass Amtsinhaber auf ihren Amtsbonus setzen und dann angeberisch wirken. Das hat sie vermieden.
Für die FDP wird es eng: auf der einen Seite eine Kanzlerin als Sympathieträgerin, auf der anderen ein erstarkter Steinbrück.
Rösler: Aus meiner Sicht ist Herr Steinbrück keineswegs gestärkt. Für uns gilt: Nicht hektisch werden und nach einem spektakulären Thema suchen, nur damit man auf die Titelseiten kommt.
Die Nerven liegen also blank?
Rösler: Im Gegenteil. Die Union wandert inhaltlich nach links in Richtung SPD. Da bleibt für uns viel Platz in der Mitte.
Wo grenzen Sie sich denn am stärksten von der Union ab?
Rösler: Wir werden 2015 erstmals seit 50 Jahren ohne neue Schulden auskommen. Die Union war davon zu Anfang nicht begeistert. Die FDP ist die treibende Kraft in der Koalition für einen ausgeglichenen Haushalt. Denn es war die FDP, die Druck ausgeübt und sich durchgesetzt hat.
Und Merkel wirbt damit im TV-Duell, ohne die FDP zu erwähnen.
Rösler: Dass sie jetzt damit wirbt, zeigt, dass wir die Union ja schon überzeugt haben. Davon abgesehen sieht das Wahlprogramm der Union zusätzliche Sozialleistungen vor, und die ziehen für die Bürger weitere Steuerbelastungen nach sich. So hat etwa die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent ins Gespräch gebracht. Und den Soli will die Kanzlerin dauerhaft behalten. Wir wollen ihn abschaffen.
Sind die Unionsleute also schlechte Haushälter?
Rösler: Wir haben das Thema Haushaltskonsolidierung erfolgreich in die Koalition eingebracht. Es ist gut, dass es uns in der Koalition gibt, denn wir haben aus der Euro-Krise gelernt. Wir wissen, dass man die Gefahr, die von einer übermäßig hohen Staatsverschuldung ausgeht, niemals unterschätzen darf.
Welche Unterschiede gibt es noch zwischen Ihnen und der Union?
Rösler: Abgesehen davon, dass wir sehr gut zusammenarbeiten, haben wir inhaltlich eine andere Auffassung beim Thema Bürgerrechte, zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung.
Ein klares liberales Statement hätte man sich gewünscht, als Innenminister Hans-Peter Friedrich vom „Super-Grundrecht Sicherheit“ gesprochen hat.
Rösler: Das Statement gab es umgehend: von unserer Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und auch von mir – mehrmals. Als Bürgerrechtler sagen wir: Es gibt kein Supergrundrecht auf Sicherheit. Als liberale Partei müssen wir aber nicht nur an den Staat denken, sondern darüber hinaus auch daran, wie man dem Einzelnen Abwehrrechte gegenüber globalen Konzernen verschafft. Bei meinen Reisen ins Silicon Valley hatte ich ein ungutes Gefühl, als wir die großen IT-Firmen dort besucht haben.
Wobei hatten Sie ein ungutes Gefühl?
Rösler: Als Vertreter der deutschen Politik wurden wir von manchen Konzernen behandelt, als wüsste man nichts mit uns anzufangen. Das sagt mir, dass solche Konzerne sich sehr weit vom Grundprinzip „Primat der Politik“ entfernt haben. Es zeigt sich, dass in der globalen Welt des Internets nicht mehr die herkömmlichen rechtlichen Instrumente allein greifen. Jeder deutsche Bürger kann vor Gericht ziehen und den Staat verklagen. Aber wie bekommt man etwa einen falschen Internet-Eintrag weg? Das ist völlig unklar. Als Bürgerrechtspartei muss sich die FDP da einmischen.
Ist das ein Vabanque-Spiel für eine Bürgerrechtspartei wie die FDP, die zugleich auch Wirtschaftspartei ist?
Rösler: Das ist kein Spiel, sondern ein ernstes Thema. Als Liberale wissen wir, dass zur sozialen Marktwirtschaft immer auch Regeln gehören – zunehmend auch international.
Wird es mit der FDP in einer Regierung mit der Union einen Mindestlohn geben?
Rösler: Die FDP ist klar gegen einen flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Wir setzen auf die Tarifautonomie. Sie hat die Rekordbeschäftigung von heute erst möglich gemacht. Dennoch wissen wir, dass es in einigen Regionen in Deutschland keine Tarifpartnerschaft gibt, weil es keine Tarifpartner gibt. Liberale sagen: Der Staat soll dich in Ruhe lassen – aber nicht im Stich. Deshalb fordert die FDP für diese Regionen eine Kommission unter anderem aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Diese Kommission soll dann regionalspezifisch eine Lohnuntergrenze aushandeln. Ein Geschäftsmodell, das auf Billigstlöhnen basiert, ist für uns nicht akzeptabel.
Ein Thema, das uns nach der Wahl beschäftigen wird, ist die Euro-Krise. Gibt es einen Punkt, an dem Griechenland die Euro-Zone verlassen muss?
Rösler: Die Debatte ist gar nicht notwendig, denn es gibt erste Fortschritte in Griechenland. Das Land erwartet einen leichten Überschuss im Haushalt, die Lohnstückkosten sind gesunken, die Exportbilanz verbessert sich. Eine neue Stabilität zeigt sich auch beim Wachstum in Portugal. Das sind erste Erfolge. Was wir jetzt in Griechenland oder Portugal erleben, ist nicht das Ende der Krise. Aber es ist der Anfang vom Ende der Krise.
Ist die SPD in der Europapolitik unzuverlässig?
Rösler: Bei der Frage der Euro-Bonds, also der gemeinsamen Haftung, und bei der Tilgung der Altschulden, hat die SPD öfter die Positionen gewechselt. Nur die FDP steht klar gegen Euro-Bonds und gemeinsame Schuldenhaftung.
Laut Greenpeace wurden 2013 Kohlekraft und Atomstrom mit 40 Milliarden Euro vom Bund durch „versteckte Subventionen“ wie Steuererleichterungen gefördert – mehr als doppelt so viel, wie die Verbraucher für die EEG-Umlage zahlen. Als liberale FDP müsste doch der Abbau von versteckten Subventionen oberstes Ziel sein?
Rösler: Ich kenne diese Zahlen nicht. Klar ist, dass die FDP für eine grundlegende Reform des Hauptkostentreibers beim Strom steht. Und das ist das EEG.
Sie kennen die Zahlen nicht. Reden Sie gar nicht mit Greenpeace und den Umweltverbänden über die Energiewende?
Rösler: In verschiedensten Gremien sind wir im Dialog mit allen Beteiligten. Auch mit den Umweltverbänden. Wenn uns Greenpeace die Studie schickt, schaue ich mir das gerne an.
Wie will die FDP den Strompreis drosseln?
Rösler: Zentral ist für uns vor allem das sogenannte Mengen-Modell für die erneuerbaren Energien. Die Politik gibt den Energieunternehmen vor, wie viel Strom sie aus erneuerbaren Energien einkaufen und ihren Kunden anbieten müssen. Derzeit wären das etwa 20 Prozent, der Anteil würde bis 2020 auf 35 Prozent steigen. Die Unternehmen würden aber künftig selbst entscheiden dürfen, wo sie welche Energieform einkaufen. Das schafft endlich Wettbewerb und hält Energie bezahlbar.
Sie haben gesagt, mit 45 Jahren ist in der Politik für Sie Schluss. Also eine Legislaturperiode noch als Vorsitzender der FDP?
Rösler: Jetzt konzentriere ich mich voll auf den Wahlkampf, denn wir wollen für die nächste Legislaturperiode eine Fortsetzung dieser erfolgreichen Regierungskoalition. Da gibt es für uns noch viel zu tun.
Gibt es auch in der Opposition noch etwas zu tun für Sie?
Rösler: Wir kommen nicht in die Opposition.