Annette Schavan gibt sich nach dem Verlust des Doktortitels auf ihrer Dienstreise in Südafrika zum Durchhalten entschlossen
Johannesburg. Annette Schavan kommt mit schnellen Schritten aus dem Konferenzraum. Ein paar Schritte hinaus in die morgendliche Sonne, ein kurzes "Guten Morgen". Dann holt sie tief Luft und legt die Hände ineinander. Einen Moment hält die Bundesministerin für Bildung inne, nichts an ihr soll unkontrolliert oder unruhig wirken. "Die Entscheidung der Universität Düsseldorf werde ich nicht akzeptieren", sagt sie schließlich, "da ich in einer rechtlichen Auseinandersetzung mit der Universität bin, bitte ich um Verständnis, dass ich heute keinerlei weitere Stellungnahmen abgeben werde. Vielen Dank."
Schavan befindet sich seit Montag in Südafrika, am Dienstag hatte sie sich mit dem dortigen Minister für Wissenschaft und Forschung, Derek Hanekom, getroffen. Am Abend erreichte sie dann die Nachricht, dass die Universität Düsseldorf ihr wegen Plagiatsvorwürfen den Doktortitel entzieht. Der 5. Februar hatte länger als Tagungstermin für den Rat der Philosophischen Fakultät in dieser Angelegenheit festgestanden, die Entscheidung hatte sich angedeutet. Die CDU-Politikerin war dennoch mit einer Delegation von 25 Experten des deutschen Bildungswesens nach Südafrika gereist, das Programm war über viele Monate hinweg ausgearbeitet worden. Schavan hielt es für selbstverständlich, die Termine einzuhalten. Sie ist Ministerin und will es bleiben.
Doch ihre Mitarbeiter hatten diesen Vormittag in der südafrikanischen Zentrale des Softwarekonzerns SAP zumindest in Details anders geplant. Die 57-Jährige hatte nach der Besichtigung der Ausbildungsstätten des Unternehmens zum Pressegespräch geladen, SAP hatte im ersten Stock von "Haus 5" extra einen Raum mit SAP-Leinwänden ausgestattet. Das Logo sollte im Bild sein, wenn Schavan über die erfolgreiche Kooperation beider Länder bei der Berufsausbildung redet. Ein positiv besetztes Thema, mit dem sich jedes Unternehmen gerne assoziiert sieht.
Dann aber wurde der Ort für Schavans Statement im letzten Moment an die frische Luft verlegt. So ganz recht schien es einigen SAP-Managern nicht zu sein, dass ihre Firma nun im Kontext mit einer Plagiatsaffäre auftauchen könnte. SAP und das Thema Ausbildung erwähnt die Politikerin dann tatsächlich mit keiner Silbe. Exakt 23 Sekunden dauert ihre Kampfansage an die 8800 Kilometer weit entfernte Universität Düsseldorf, dann geht sie wortlos an den Mikrofonen vorbei und steigt in einen Geländewagen mit verdunkelten Scheiben. "Weiter geht's", sagt die Politikerin zu einer Mitarbeiterin, bevor der Fahrer die Tür zudrückt. Weiter im Programm, weiter im Amt.
Die SAP-Zentrale liegt im Norden von Johannesburg in einer der teuersten Gegenden des Kontinents. 30 Minuten dauert die Fahrt in den Südwesten der Stadt in die Kontrastwelt Sowetos, dem größten Township des Landes. Das Programm sieht einen Besuch im Builders Training Centre (BTC) der Deutschen Auslandshandelskammern vor. Seit 1986 fördert die Bundesregierung das Zentrum, ein Modellprogramm für die in Deutschland so erfolgreiche Duale Ausbildung. Südafrikas Arbeitslosenquote beträgt 26 Prozent, realistischere Berechnungen gehen von 40 Prozent aus, von den jungen Erwachsenen hat nur jeder Zweite einen Job.
"Es gibt die Arbeitsplätze ja", sagt Heinrich Höse, der Direktor der Institution, "Südafrika hat Fachkräftemangel ohne Ende." Das BTC gilt als Vorzeigeprojekt der deutsch-südafrikanischen Kooperation. 3000 junge Männer und Frauen haben hier nach deutschem Vorbild Handwerksberufe gelernt, vier Tage im Betrieb, einen im BTC, drei Jahre lang. Helmut Kohl war in den 90er-Jahren zu Besuch, in einem Zimmer hängt ein Bild des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Vor einigen Monaten erst hat Höse Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) über das Gelände geführt.
Nun also Schavan. Sie läuft dem Zeitplan ein wenig hinterher, viel Raum bleibt nicht, denn am Nachmittag stehen noch Gespräche bei deutschen Firmen an. Höse spricht die Plagiatsaffäre nicht an, natürlich nicht. Er zeigt Schavan eine Werkstatt für Stahlverarbeitung, dann einen Ausbildungssaal für Installateure von Solaranlagen. Draußen, in der Mittagssonne, arbeiten Männer auf dem Dach eines kleinen Steinhauses, wie es sie inzwischen viele Millionen Mal in Südafrika gibt. In Soweto haben die rund 50 Quadratmeter großen Gebäude unzählige Blechhütten ersetzt, ihr Bau ist einer der Schwerpunkte des Instituts.
Schavan versucht sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen. Sie hat die Gabe, junge Menschen ihre Macht nicht spüren zu lassen, sich aufrichtig zu interessieren. Geduldig lässt sie sich von Mbulelo Hlazo die Arbeit an einer Schleifmaschine erklären. Der 17-Jährige hat vor längerer Zeit schon die Schule abgebrochen, seit drei Wochen lernt er am BTC, findet wieder Hoffnung. "Alles Gute wünsche ich dir", sagt Schavan nach ein paar Minuten lächelnd zum Abschied. Hlazo bedankt sich. Später sagt er, er habe nicht gewusst, wer die Frau sei, "aber nett war sie".
Nach einer knappen Stunde trägt sich die Ministerin in das Gästebuch der Einrichtung ein. "Das ist ein wirklich beeindruckendes Projekt", sagt sie, "die Betonung der praktischen Ausbildung ist für diese jungen Menschen eine wertvolle Erfahrung." BTC-Leiter Höse besteht noch auf ein Gruppenfoto zum Abschied, dann muss Schavan weiter.
Als sie gefahren ist, bleibt Höse noch ein wenig auf dem Hof stehen. Wie er Schavan erlebt habe? "Offen und interessiert", sagt er. Aber halt auch, fängt er an, na ja, wie soll er das jetzt sagen? "Ein wenig angespannt, die ganze Sache bleibt ja auch nicht in ihren Klamotten hängen." Sie selbst hatte Ende Januar erklärt, die Vorwürfe würden sie "ins Mark" treffen.
Eigentlich wollte er nur über die Initiative reden, aber diese Plagiatsaffäre bewegt ihn dann doch zu sehr. "Ich kann diesen Vorgang nur sehr schwer nachvollziehen", platzt es aus ihm heraus. Der gelernte Schreiner mag Menschen, die anpacken, und Schavan scheint ihm ein solcher Mensch zu sein. Höse hat jahrelang an Entwicklungsprojekten im Kosovo und Lesotho mitgearbeitet. Seit eineinhalb Jahren leitet er das BTC in Soweto. "Was mit Schavan passiert, ist doch menschenverachtend", sagt der 60-Jährige, "in Deutschland gibt es kaum noch Respekt vor der Leistung anderer. Man sucht nach solchen Sachen, stürzt sich darauf, und die Verdienste des Menschen werden dann einfach ignoriert." Im Alter von 48 Jahren hatte er noch einmal studiert, jetzt ist er Betriebswirt des Handwerks, aber für ihn zählt die Tat, nicht der Titel. Er hoffe, sagt er, dass Schavan nicht von ihrem Amt zurücktrete.
Heute wird die Bundesbildungsministerin in Kapstadt erwartet, dem letzten Stopp vor ihrer Rückreise in das kalte Berlin.