Politikwissenschaftler sieht klare Hinweise, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos nicht die einzigen Mitglieder der Terrorzelle waren.
Berlin. Die rechtsextreme Terrorzelle NSU war nach Überzeugung des Berliner Politikwissenschaftlers Hajo Funke kein Trio, sondern eine größere Gruppierung. „Es gibt klare Hinweise, dass der NSU aus mehr als drei Leuten bestand“, sagte Funke.
Als Beispiel nannte Funke den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn. „Mehrere Zeugen berichteten unabhängig voneinander von der hektischen Flucht zweier männlicher Personen mit blutverschmierter Kleidung sowie von drei weiteren Fluchthelfern.“ Funke begleitet seit einem Jahr die NSU-Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern. In den Gremien in Thüringen und Bayern trat er als Sachverständiger auf.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der „Nationalsozialistische Untergrund“ eine aus drei gleichberechtigten Mitgliedern bestehende Gruppierung war: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die Bande flog im November 2011 auf, die beiden Männer wurden erschossen in einem Wohnmobil entdeckt. Gegen Zschäpe soll bald vor dem Oberlandesgericht München der Prozess als mutmaßliche Mittäterin bei insgesamt zehn Morden beginnen. Vier weitere Personen sind als mutmaßliche Helfer der Gruppe angeklagt.
Gewiss seien die Übergänge zwischen Mittäter und Unterstützer fließend, sagte Funke. „Aber für Unterstützer oder Helfer ging die Rolle mancher Leute sehr weit.“ Der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben etwa sei für die Gruppe nicht nur „politischer Kamerad, sondern auch enger Freund“ gewesen. „Er sitzt nicht umsonst bis heute in Untersuchungshaft“, sagte Funke. Der Angeklagte André E. habe der Gruppe genauso nahe gestanden. „Er wurde immer wieder – über Jahre - von den sächsischen Behörden als Quelle abgeschöpft.“
Die Aufarbeitung der NSU-Mordserie droht nach Ansicht des Wissenschaftlers zu scheitern. Vor einem Jahr, am 26. Januar 2012, hatte sich im Bundestag der NSU-Untersuchungsausschuss konstituiert. Auch in den Ländern Thüringen, Sachsen und Bayern beschäftigen sich parlamentarische Gremien mit dem Fall. Das überparteiliche Bemühen der Politiker um Aufklärung ergebe zwar regelmäßig „Sternstunden der Demokratie“, sagte Funke. „Die Aufklärung scheitert aber an einer teils massiven Blockade durch einen Teil der Sicherheitsbehörden.“
„Das dunkelste Land ist Sachsen“, beklagte er. Dort stießen die Aufklärer auf die größten Widerstände. „Der Druck von Politik, Medien und Öffentlichkeit muss deutlich erhöht werden“, forderte Funke. Nur dann könne der „größte Sicherheitsskandal in der Geschichte der Bundesrepublik“ wirklich aufgeklärt werden.