Kanzlerin und Premierminister treffen am Tag nach dessen Europa-Vorstoß beim Weltwirtschaftsgipfel aufeinander - fast harmonisch.
Davos. Es sollte in Davos der Tag Angela Merkels werden, aber es wurde der Tag David Camerons. Der 46-jährige Brite hat mit seiner Europarede die Neugier auf ihn weitaus stärker geweckt als auf Mrs. Europa. Der große Saal ist morgens bei Cameron zum Brechen voll. Bei Merkel sind kurz nach der Mittagspause einige Stuhlreihen leer. Vielleicht liegt es daran, dass eine Reihe wichtiger Firmenlenker, unter ihnen zwei deutsche Vorstandschefs, die Bundeskanzlerin bereits zum Mittagessen getroffen haben. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass so mancher Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels die Berliner Positionen zu kennen glaubt, während Londons Haltung in neuem Licht erscheint.
"Big David" spricht, und es klingt, als sei Britanniens Premier der Nachfolger George W. Bushs. Nicht mit Europa beginnt David Cameron seine Rede, sondern mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Denn London hat den Vorsitz der G8 inne, den Vorsitz der acht einstmals größten Industriestaaten der Welt. Im Juni lädt Cameron zum G8-Gipfel nach Nordirland, und Mali soll dort ein großes Thema werden. "Ich lege meine Karten offen auf den Tisch. Wir befinden uns inmitten eines langen Kampfes gegen mörderische Terroristen und eine toxische Ideologie, die sie trägt." Die Welt müsse "entschlossen, klug und geduldig" handeln. "Dies werde ich auf dem Gipfel vortragen."
Was übrigens auch nach Auffassung etlicher afrikanischer Davos-Teilnehmer sinnvoll ist, denn es werde Zeit, dass die Welt sich um den Subsahara-Terrorismus kümmere - und zwar langfristig. "Das", so ein kenntnisreicher Gast aus Afrika, "würde wirklich helfen."
So sagt es auch Cameron. Entschlossene Sicherheitspolitik, kluge politische Antworten, zum Beispiel "die regierungsfreien Räume schließen, in denen die Extremisten ihre Ideologie verbreiten" - was auch immer das heißt. Und ja, auch die sozialen Probleme anpacken, die den Terrorismus nähren. Dazu hatten die Teilnehmer einer Mali-Sitzung beim Forum allerlei Vorschläge - Teilnehmer aus Europa und Afrika, die samt und sonders die Intervention Frankreichs begrüßten.
Cameron brachte einen eigenen, anderen Vorschlag mit: Der Kampf müsse auf viele Schultern verteilt werden. Damit stellte der Brite indirekt die Frage: Wer zahlt? Dazu will Cameron auf dem G8-Gipfel eine Debatte eröffnen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Thomas de Maizière können schon mal anfangen zu rechnen. Denn man wird mit ihnen rechnen.
Cameron: „Europa wird weginvestiert“
Aber da war doch noch das Thema Europa. Kommt dazu von Cameron gar nichts in Davos? Doch, gleich anschließend, eingebettet in den Aufruf, den Westen wettbewerbsfähig zu halten. "Wir wollen Europa nicht den Rücken zukehren, sondern im Gegenteil ein Europa, das offener, flexibler, wettbewerbsfähiger ist." Nur die Hälfte der EU sei im Euro, aber dort bewege man sich in Richtung aller möglichen Instrumente - Bankenunion, Fiskalunion. Das habe Folgen für Länder, die nicht im Euro seien "und offen gesagt, ihm wohl auch nie beitreten werden". Die Union ändere sich, man könne das nicht ignorieren, "es findet statt, jetzt, in diesen Tagen" - Cameron ruft das so emphatisch aus, als spreche er über Krieg und Frieden. Eine "neue Übereinkunft über Europa" müsse her, in Britanniens Interesse, aber auch in Europas Interesse. Denn Europa werde "weginvestiert, weginnoviert, wegüberholt". Cameron möchte endlich eine transatlantische Freihandelszone haben und weitere bilaterale Handelsabkommen. Ähnlich sagt es später auch Angela Merkel. Sie sagt sogar, Deutschland werde "eine sehr proaktive Rolle bei diesen Abkommen spielen".
Cameron malt die wirtschaftlichen Vorteile in leuchtenden Farben an die Wand, er spricht wie ein guter FDP-Redner. Genauso stringent, genauso aufgeregt, genauso entschlossen, die eigene Angst vor der Randrolle durch klare Worte zu verdrängen. Aber er möchte nicht an Europas Rand landen. Es tritt deshalb auf: David Cameron, der Verteidiger eines fairen, mitfühlenden Kapitalismus. Es gebe da Firmen, die staatliche Steuersysteme umschifften, sogar solche mit extrem niedriger Steuerhöhe. Das gehe nicht. Die Zeit für ein faires Steuersystem sei reif. Man brauche "propere Firmen, propere Steuern, propere Regeln". Firmen, die glaubten, in Großbritannien Geschäfte machen und Steuerpflichten umgehen zu können, würden unsanft erwachen. "Und damit das klar ist: Dies festzustellen ist nicht antikapitalistisch. Es ist nicht firmenfeindlich. Wer niedrige Steuern haben will, muss Steuern fließen sehen." Cameron sucht auch mehr Transparenz bei Kapitalanlagen, gern auch in Drittweltländern mit ihren manchmal korrupten Eliten, sowie bei der Frage, wer weltweit Bodenschätze und Agrarland aufkauft.
War da was, mit Europa? Die Diskussion mit David Cameron im Davoser Kongresszentrum kreist prompt um die Steuergerechtigkeit. Angela Merkel verliert über Camerons Europa-Vorstoß nur vergleichsweise wenige Worte und über das angekündigte Referendum gar keines - beim Lunch mit den Wirtschaftsvertretern ebenso wie auf der Bühne. Es stimme, sagt sie, dass Europa Strukturreformen brauche. "Der britische Premierminister hat heute etwas gesagt, was wir schon öfter gehört haben: kein Euro-Beitritt." Wichtig sei, dass die Bestimmungen der Euro-Zone offen auch für andere seien. "Wir sollten unaufgeregt mit dem Thema umgehen. Und hoffen, dass möglichst viele dem Euro beitreten." Die EU stehe durchaus gut da. "Wenn Europa die Kraft hat über den eigenen Tellerrand hinaus zu beobachten, was in der Welt stattfindet, wird es Erfolg haben." Und fügte hinzu: "Schauen Sie es sich genau an, das Investitionsklima in Europa hat sich verbessert." Das gelte auch für die Rolle der EZB. Die Bank habe Nothilfe geleistet, und das sei richtig. "Wenn alle so handeln wie die EZB, dann hätten wir weniger Probleme." Aber sie dürfe nicht ständig Ausputzer politischer Versäumnisse sein.
Zwei Reden, zweimal Europa. Merkel wirkt im Vergleich zum federnd-energischen Cameron defensiv, aber auch sehr konzentriert - wie jemand, der mehr zu bedenken hat als seine eigenen Wünsche. Cameron sagte am Morgen sinngemäß, Großbritannien wolle ein Leuchtturm der Weltwirtschaft werden. Merkel prägt mit Blick auf China den Satz: "Wir dürfen es nicht als gegeben ansehen, dass die EU eine führende Rolle in der Welt spielen muss." Es klang wie ein Seitenhieb der amtserfahrenen Realistin auf den losstürmenden neuen Premier. Aber der, das war am Applaus zu spüren, hat in Davos neue Freunde gewonnen.