Das Betreuungsgeld ist kontrovers und die Debatte hitzig. So verlief auch die Abstimmung darüber am Freitag in Berlin im Bundestag.
Hamburg/Berlin. Irgendwann, wenn das Kind die Hände ausstreckt, in der Wohnung umherkrabbelt oder auf den eigenen Füßen steht, Schränke und Schubladen öffnet, dann ist das ein Signal. Ein Zeichen, dass das Kind neugierig ist auf Fremdes. Das Kind zeigt, dass es die Welt da draußen erkunden will. Sarah Jungmann, Mutter von zwei kleinen Kindern, sagt: "Es ist ein Signal dafür, dass ein Kind die Krippe besuchen sollte."
In Deutschland debattieren Ministerinnen, Kirchenvorsitzende, Ökonomen und Pädagogen seit 2008 über ein Thema: das Betreuungsgeld. Für die einen steht es für den Weg zurück in die Vergangenheit, in der "Mutti an den Herd" gehört. Für die anderen sind die 150 Euro ein Teilstück auf dem Weg zur Selbstbestimmung der Eltern, ihr Kind zu Hause zu erziehen, bis es drei Jahre alt ist und in den Kindergarten kommt. Das Betreuungsgeld ist kontrovers. Und genauso hitzig wie die Debatte der vergangenen Jahre lief in Berlin auch die Abstimmung am Freitag im Bundestag ab. Acht Koalitionäre verweigerten beim Betreuungsgeld die Gefolgschaft. Am Ende reichte es dennoch für Schwarz-Gelb. Von August 2013 an erhalten nun Familien für ihre Kinder im Alter von 15 Monaten bis drei Jahren, die nicht in einer öffentlichen Kita betreut werden, monatlich zunächst 100 Euro. Ein Jahr später steigt dieser Betrag auf 150 Euro.
Die Debatte um die beschlossene Förderung polarisiert - vor allem deshalb, weil es jeden jungen Menschen irgendwie betrifft. Aber auch, weil jeder eine Familie hat.
Sarah Jungmann ist 46 Jahre alt und lebt mit ihrem Partner und den beiden Kindern in Nienstedten. Ihre Tochter ist vier Jahre alt, ihr Sohn zweieinhalb. Beide haben die Krippe besucht. "Das viele Geld für die Betreuung zu Hause sollte lieber in neues Personal für die Kinderkrippen und Kindergärten investiert werden", sagt Jungmann. Für sie ist das Betreuungsgeld ein Rückschritt, weil es den Blick darauf versperrt, wie wichtig der Austausch mit anderen für Kinder in ganz jungen Jahren ist. Nabelt sich ein Kind früh von den Eltern ab, sei es besser vorbereitet für die Kita und die Schule. Zudem könnten Eltern sich nicht um alles kümmern. "Im Haushalt ist mehr zu tun als nur Babysitten." In der Krippe arbeiten Erzieher - Profis.
Manchmal, sagt Claudia B. (Name geändert), fühle sie sich schon fast wie eine Rabenmutter. Wenn sie mit anderen Eltern spricht - und wenn die wieder einmal erzählen, was ihre Kinder so alles Spannendes in der Kita erleben. "Dann schäme ich mich schon fast und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mein Kind zu Hause behalte."
Und doch ist B. überzeugt, dass es richtig ist, ihre jetzt neun Monate alte Tochter bis zum Alter von drei Jahren zu Hause zu betreuen. "Ich bin auch erst mit drei Jahren in den Kindergarten gekommen und kann nicht behaupten, dass es mir geschadet hätte." Sie hat hat Germanistik und Italienisch studiert. Ihr Mann ist Beamter. Vom Gehalt ihres Mannes und dem Elterngeld können sie knapp ihr Familienleben bestreiten. Denn: "Kinder sind Luxus, dessen sind wir uns bewusst. Aber wir bekommen das hin, weil wir keine großen Ansprüche haben."
Frühförderung, auch so ein Wort, das B. oft von den anderen Eltern hört. "Natürlich ist das wichtig, aber man sollte es auch nicht übertreiben." Sie stellt sich die Frage, wann ein Kind denn dann noch Kind sein darf.
Der Deutsche Frauenrat, das Kinderhilfswerk und der Deutsche Gewerkschaftsbund fürchten, dass eben diese Chancen zur Frühförderung verpasst werden. Gegner des Betreuungsgelds sehen falsche Anreize für ärmere Eltern und Migrantenfamilien, ihre oft besonders auf Hilfe bei der Sprache angewiesenen Kinder nicht in eine Kita zu schicken. Gerade das ist aber wichtig, um vergleichbare Deutschkenntnisse in allen Milieus zu etablieren.
Wie Sarah Jungmann nennt auch Peer Steinbrück das vom Bundestag beschlossene Betreuungsgeld einen Rückschritt. Der ehemalige Finanzminister und designierte SPD-Kanzlerkandidat kündigte an, eine rot-grüne Regierung würde als eine der ersten Amtshandlungen das Betreuungsgeld wieder rückgängig machen. Das Gesetz werde daher die kürzeste Halbwertszeit in der Geschichte der Bundesrepublik haben.
Linken-Chefin Katja Kipping greift die Bundesregierung stark an. "Das Betreuungsgeld ist nichts anderes als eine illegale Parteispende an die CSU, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler", sagte Kipping dem Hamburger Abendblatt. Die Abschaffung nach der Wahl hänge davon ab, dass es eine Wechselmehrheit jenseits der Union gibt. "Es ist wirklich fraglich, ob die SPD in einer Großen Koalition die Courage dazu hätte."
In der schwarz-gelben Koalition kamen drei der acht Abweichler aus Hamburg: die FDP-Politiker Sylvia Canel und Burkhardt Müller-Sönksen und Jürgen Klimke von der CDU.
Seine Parteikollegin, die zuständige Familienministerin Kristina Schröder, meldete sich in der hitzigen Debatte im Bundestag nicht zu Wort. Andere Verfechter der Fördermaßnahme sprangen in den Ring. Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär nannte das Betreuungsgeld zusammen mit dem Kita-Ausbau ein "wunderbares Gesamtpaket". Ihre Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt ergänzte: Mütter sollten sich nicht für ihre jeweilige Biografie und ihren Weg bei der Kindererziehung rechtfertigen müssen. "Die Opposition disqualifiziert Eltern als Amateure, wenn sie allein staatlicher Betreuung den Vorzug gibt."
Claudia B. sagt: "Dass das Betreuungsgeld jetzt kommt, ist ein Segen für sie und ihre Familie." Eine Familie, zu der seit ein paar Wochen auch noch ein sechs Jahre altes Pflegekind gehört. Mehrmals im Monat spricht sie mit den Behörden darüber, wie sich das Pflegekind im neuen Heim macht, das Jugendamt kontrolliert die Entwicklung des Kindes. "Wie ich mein leibliches Kind großziehe, dafür interessiert sich jedoch niemand", sagt B. Das ärgert sie.
Und noch etwas macht sie wütend. In Neu Wulmstorf, wo die Familie vor einer Woche hingezogen ist, lehnte die Kita vor Ort einen Platz für die Tochter ab. Aus Kapazitätsgründen, hieß es. "Dann kann der Staat doch froh sein, dass ich mein Kind zu Hause erziehe", sagt B. In Altona, wo sie vorher gelebt hatten, sei es kein Problem gewesen, einen Platz zu bekommen. Außerdem hätte die Familie 400 Euro im Monat zahlen müssen, um ihre Tochter in Neu Wulmstorf in der Kita betreuen zu lassen. "Ein Grund mehr, das Betreuungsgeld zu wählen."
Wenn die Familie kein Elterngeld mehr bekommt, seien die 100 Euro Betreuungsgeld das Zünglein an der Waage, ob sie einen Halbtagsjob annimmt oder ob ein sogenannter Mini-Job für ihren Beitrag zum Familieneinkommen ausreicht.
Sarah Jungmann kam vor 25 Jahren nach Deutschland. Davor hat sie in Frankreich gelebt, wo sie auch geboren ist. "Bei uns in Frankreich ist es völlig normal, dass Mütter drei Monate nach der Geburt wieder zur Arbeit gehen - und das Kind in eine Krippe kommt." Eigentlich müsste es in Deutschland Pflicht sein, das eigene Kind mit spätestens drei Jahren in eine Betreuungseinrichtung zu geben. Nicht nur weil beide Eltern dann wieder arbeiten könnten - sondern vor allem weil das Kind davon profitiere.
Jungmann selbst ist noch nicht wieder zurückgekehrt in ihren Job. Ihr Partner arbeitet als Rechtsanwalt, sie selbst wolle die Zeit mit ihren Kindern verbringen. Weil sie es genießt.
Genauso wie Claudia B. Emanzipation bedeutet für sie, dass Frauen die Wahl haben sollten, ihren Lebensweg selbst zu bestimmen. "Ich bin froh, dass ich mich nicht zwischen Arbeit, Haushalt und Kind aufteilen muss, sondern die Zeit mit meiner Tochter sehr intensiv genießen kann", sagt B.
Da sein, sich kümmern, genießen, aber trotzdem loslassen können - es ist ein schmaler Grat, den Väter und Mütter bei der Kindererziehung beschreiten. "Mir ist es viel schwerer gefallen, mich von meinem Kind zu trennen, als es in die Krippe kam", sagt Sarah Jungmann. Für ihr Kind sei es gar nicht schlimm gewesen.