Der Wohlstand in Deutschland ist kräftig gestiegen - aber zunehmend ungleich verteilt. Die Opposition ruft nach einer Vermögenssteuer.
Berlin/ Hamburg. Wenn es ein Bild gibt, das gern bemüht wird, um die unterschiedlichen Lebensstandards in Deutschland zu beschreiben, dann ist es das der sozialen Schere. Eine Schere, deren Schenkel immer weiter auseinanderstehen und so verdeutlichen sollen, dass der Abstand zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich immer größer wird.
Dieses Bild hat auch jetzt wieder seinen Weg auf die politische Agenda gefunden. Es geht um den vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Wie daraus hervorgeht, besitzen zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens, während die untere Hälfte gerade mal über rund ein Prozent des Wohlstands verfügt. Insgesamt hat sich der private Besitz zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro mehr als verdoppelt. Zugleich verkleinerte sich das Vermögen des Staates. Zwischen 1992 und 2012 ist es um mehr als 800 Milliarden Euro geschrumpft.
Hinter diesen Zahlen stecke jedoch auch "eine sehr ungleiche Verteilung der Privatvermögen", heißt es in dem Bericht. Noch 1998 besaßen die reichsten zehn Prozent der Haushalte 45 Prozent des Nettogesamtvermögens, zu dem Immobilien, Geldanlagen, Bauland oder Ansprüche aus Betriebsrenten zählen. 2008 waren es bereits mehr als 53 Prozent.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wertete den Bericht als Beleg dafür, dass es Deutschland insgesamt besser gehe. Sie räumte ein, dass hohe Einkommen von dem gewachsenen Wohlstand mehr profitiert hätten als geringe. Sie versprach bessere Chancen für Geringverdiener. "Das ist immer das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft gewesen, dass sie den kleinen Leuten Chancen gibt aufzusteigen, und daran wollen wir auch weiter arbeiten", sagte sie. Dazu gehörten neben dem Bildungspaket für Kinder auch faire Löhne und die Möglichkeit, für das Alter vorzusorgen und anzusparen.
Die Zahlen haben die Debatte um eine stärkere steuerliche Belastung von Wohlhabenden neu entfacht. "Statt das Auseinanderklaffen von Arm und Reich weiter zu befeuern, sollte die schwarz-gelbe Bundesregierung endlich wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Kreislaufes ergreifen", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. Er forderte eine einmalige und zeitlich befristete Vermögensabgabe, die stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen und eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 bzw. 45 auf 49 Prozent. Linken-Chefin Katja Kipping regte eine Koppelung von Vermögenssteuer und Schuldenbremse an. Alle Einkommen über einer Million Euro sollten ab sofort mit 75 Prozent besteuert werden, sagte Kipping dem Abendblatt. "Wenn der Schuldenstand um ein Prozent steigt, könnte auch der Spitzensteuersatz für Rieseneinkommen um ein Prozent steigen."
Die Parteichefin betonte, der Schuldenstand Deutschlands im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sei seit der Jahrtausendwende um 22 Prozentpunkte gestiegen. "Riesenvermögen und Schuldenberge gehören zusammen. Wir brauchen einen sozialen Lastenausgleich für den Schuldenabbau." Im Jahr 2011 belief sich die deutsche Staatsverschuldung auf 81,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Das Beratungsunternehmen Capgemini hat in seinem weltweit durchgeführten Wohlstandsreport 2012 festgestellt, dass auch die Vermögenden von der Finanzkrise betroffen waren. Allerdings stieg gleichzeitig in Deutschland die Zahl der Millionäre, wenn auch langsamer als zuvor. Hamburg, das als die Stadt mit den meisten deutschen Millionären gilt, hat auch von ihren Steuereinnahmen profitiert. Vor allem die Körperschaftssteuer wird 2012 nach der Schätzung der Finanzbehörde kräftig zulegen: plus 24 Prozent. Wegen der hohen Preise auf dem Immobilienmarkt, in den Häuslebauer und Anleger derzeit drängen, steigen die Einnahmen durch die Grunderwerbssteuer weiter.
Davon abgehängt sind die, die zur Miete wohnen. Allerdings, das lässt sich am Aufkommen der Lohn- und Einkommenssteuer für Hamburg absehen: Auch die Normalverdiener werden zwischen vier und neun Prozent mehr an den Staat zahlen. Heißt: Ihre Arbeit füllt auch das eigene Portemonnaie deutlich stärker als 2011.
Dabei sind offensichtlich die jungen Deutschen noch sparsamer als ältere. Nach einer repräsentativen Umfrage der Deutschen Bank legen 14- bis 25-Jährige etwa 28 Prozent des ihnen zur Verfügung stehenden Geldes auf die hohe Kante. Das wirkt sich aus bis zum Erbe. Eine Postbankstudie sieht in den kommenden Jahren einen weiteren Anstieg der Werte, die an die nächste Generation weitergegeben werden. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) sieht die Mitte der Gesellschaft deshalb recht stabil. Seit 1990 gehört etwa jeder zweite Deutsche zu denen, die zwischen 80 und 150 Prozent vom Durchschnittseinkommen verdienen. Das sind 1600 Euro netto im Monat. Es gebe zwar immer die Angst vor dem Abstieg, so das Wirtschaftsinstitut. Sie sei aber unbegründet.