Umfrage zeigt, wie sehr Wunsch und Wirklichkeit bei der Bildungspolitik auseinanderklaffen. Lob für verbindliches Hamburger Konzept.
Berlin. Klaus-Peter Schöppner ist ein Mann, der die Deutschen kennt wie kaum ein anderer. Als Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts TNS-Emnid erfährt er jede Woche, was die Bundesbürger bewegt und was sie so denken. Über Politik, Wirtschaft oder Familienleben. Eine Sache aber, da ist sich Schöppner sicher, treibt sie am allermeisten um. "Kein Thema", sagt er, "ist für die Deutschen so interessant wie Bildungspolitik. Da kommt noch nicht einmal der Fußball mit."
+++ Eltern fordern Ende des Turbo-Abis +++
Das mag vor allem daran liegen, dass die Gruppe der Betroffenen so exorbitant groß ist. Zur Bildung kann im Grunde jeder was sagen, Lehrer und Schüler sowieso, aber auch alle die, die selbst einmal in der Schule oder auf der Uni waren und dort erfahren haben, was gut gelaufen ist und was eher nicht. Schöppner hat sich im Auftrag des Kinderausstatters Jako-o nun eine besonders wichtige Gruppe herausgesucht, um etwas über die Einstellung zur Bildungspolitik zu erfahren: die Eltern der schulpflichtigen Kinder in Deutschland. Und deren Urteil fällt in vielen Punkten verheerend aus.
So klaffen zum einen Wunsch und wahrgenommene Wirklichkeit darüber auseinander, was die wichtigsten Ziele der Bildungspolitik sein sollten. Jeweils 84 Prozent der befragten Eltern finden es demnach bedeutend, dass viel Wert auf soziales Verhalten gelegt wird und dass alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben. Nur 28 Prozent finden hingegen, dass Leistung bei der Bildungspolitik im Vordergrund stehen sollte. "Die Verwirklichung der Ziele steht den Wünschen jedoch diametral entgegen", betont Meinungsforscher Schöppner. So meinen 75 Prozent, dass vor allem der Leistungsgedanke zähle, nur 28 Prozent sehen gleiche Bildungschancen verwirklicht, mehr als die Hälfte der Eltern empfindet die Bildungschancen in Deutschland sogar als eher oder sehr ungerecht. "Hier besteht sehr starker Handlungsbedarf", so Schöppner. Auch das fast flächendeckend eingeführte Abitur nach acht statt neun Jahren Gymnasium lehnen fast 80 Prozent der Eltern ab. 60 Prozent fordern, die Lehrpläne an die verkürzte Zeit anzupassen. Nur 17 Prozent der 3000 befragten Eltern halten am Abitur nach zwölf Jahren fest.
Massiv gestiegen ist gleichzeitig der Wunsch nach mehr Ganztagsschulen. 70 Prozent der Eltern wollen für ihr Kind eine Einrichtung mit Ganztagsangebot, elf Prozentpunkte mehr als bei der letzten Bildungsstudie im Jahr 2010. Allerdings: Der Ausbau der Ganztagsschulen kommt hier nicht annähern hinterher. "Knapp die Hälfte der Eltern können den gewünschten Ganztagsplatz für ihr Kind nicht erhalten", so Bildungsforscher Klaus-Jürgen Tillmann von der Universität Bielefeld, der an der Studie mitgearbeitet hat. 2010 gingen 28 Prozent der Kinder in eine Ganztagsschule. Während es in Bayern aber nur elf Prozent waren, lag der Anteil in Berlin bei 48 Prozent. Die Unterschiede sind also groß. "Will man die Eltern nicht frustrieren, muss da noch mehr passieren", betonte Tillmann.
Auch die Beziehung zwischen Eltern und der Schule ihrer Kinder ist problembehaftet, wie die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Dagmar Killus herausgefunden hat. Zwar werden die fachlichen und sozialen Kompetenzen der Lehrer im Großen und Ganzen von den Eltern als sehr gut eingeschätzt, bemängelt wird allerdings etwa die Absprache der Lehrer untereinander, was dann nicht selten in einer Ballung von Klassenarbeiten oder Hausaufgaben münde. Zudem kritisiert etwa ein Drittel der Eltern, dass die Lehrer kaum etwas von ihnen über die Kinder erfahren wollten. "Das könnte auf eine gewisse Abschottung der Schule gegenüber dem Elternhaus hindeuten", sagte Killus. Die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule sei allerdings sehr wichtig.
Die Expertin lobte in diesem Zusammenhang die in Hamburg eingeführten verbindlichen Lernentwicklungsgespräche, bei denen Eltern, Lehrer und Schüler zusammenkommen. Zwar wurden diese erst kürzlich im Rahmen eines Entlastungsprogramms für Lehrer von zwei auf eines pro Jahr reduziert, allerdings sei dieses Format "ein guter Versuch der Stadt, Eltern als gleichberechtigte Partner zu sehen", so die Wissenschaftlerin.
Die meisten Eltern engagieren sich ohnehin stark. 77 Prozent helfen vor Klassenarbeiten und Referaten, 69 Prozent kontrollieren die Hausaufgaben, etwa ein Drittel ist nach eigenen Angaben in der Elternvertretung aktiv. Dabei geben 63 Prozent der Eltern an, dass ihre Kinder den schulischen Anforderungen im Prinzip alleine gerecht werden können, ein Drittel der Kinder braucht jedoch Unterstützung durch ältere Geschwister oder eben die Eltern. Nur acht Prozent der Schulkinder bekommen regelmäßige Nachhilfe.
Am differenziertesten ist das Bild bei der Frage, ob Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam in die Schule gehen sollten. Inklusion bei körperlichen Behinderungen unterstützen fast 90 Prozent der Eltern, 72 Prozent sprechen sich für gemeinsamen Unterricht mit Kindern mit Lernschwäche aus. Schwieriger wird es bei Kindern mit geistigen Behinderungen und solchen mit einer Verhaltensauffälligkeit - hier wird die Inklusion nur von jeweils 46 Prozent unterstützt.