Sozialverband spricht von “deutlichem Alarmzeichen“. Arbeitsministerium relativiert: Steigende Altersarmut durch Zahlen nicht gedeckt.
München/Berlin. Können sich Rentner in Deutschland den Ruhestand nicht mehr leisten? Das zumindest könnte man annehmen, wenn man die Zahl der Renter ansieht, die in einem Minijob beschäftigt sind. Die Zahl ist seit dem Jahr 2000 um knapp 60 Prozent auf rund 760.000 gestiegen. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf Zahlen der Bundesregierung. Die Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfragen der Links-Fraktion hervor. Das Bundesministerium für Arbeit spricht von einer Missdeutung der Zahlen.
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Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hatten Ende des vergangenen Jahres zudem etwa 150.000 Rentner eine sozialversicherungspflichtige Stelle, fast doppelt so viele wie Ende 1999. Der überwiegende Teil von ihnen, nämlich 80.000 Rentner, arbeite sogar Vollzeit. Selbstständige sind in der Statistik nicht berücksichtigt.
„Viele wollen arbeiten, weil sie sich noch fit fühlen“, sagte Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), der Zeitung. Untersuchungen zeigten, dass Menschen, die im Alter arbeiten, meistens relativ hoch qualifiziert seien. Das deute darauf hin, dass finanzielle Notlagen oft nicht das entscheidende Motiv seien.
Dem widersprach die Vorsitzende des größten deutschen Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher: Bei den 120.000 Minijobbern über 75 Jahre handele es sich kaum um Universitätsprofessoren, sondern um Menschen, die mit wenig attraktiven Jobs ihre karge Rente aufbesserten.
Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbandes Deutschland SoVD nennt die stark angestiegene Zahl von Ruheständlern mit einem Minijob sogar ein "deutliches Alarmzeichen". Es sei davon auszugehen, dass ein großer Teil der betroffenen Menschen zum Broterwerb im hohen Alter gezwungen sei. „Die ganze Tragweite der jahrelangen Kaufkraftverluste zeichnet sich immer stärker ab. Insbesondere durch Nullrunden und magere Rentenanpassungen sind die sozialen Abstiegsängste vieler Rentnerinnen und Rentner nun traurige Gewissheit“, erklärte Bauer.
Nach Berechnungen des SoVD liegt der Kaufkraftverlust bei den Renten seit 2004 bei bis zu zehn Prozent. Der SoVD-Präsident forderte die Bundesregierung zu wirksamen Gegenmaßnahmen auf und warnte davor, die rasch wachsende Gefahr einer zunehmenden Altersarmut zu unterschätzen. „Die bisher vorgelegten Maßnahmen sind unzureichend und werden nicht dabei helfen, die Ausbreitung der Altersarmut einzudämmen“, warnte Bauer.
Die Bundesregierung sieht das anders. Wie das Bundesarbeitsministerium am Morgen mitteilte, sei in der Antwort auf die Kleine Anfrage nirgendwo von „Rentnern“ in Beschäftigung gesprochen. Die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit weise lediglich das Alter aus. Unter den Menschen über 65 in Beschäftigung seien auch (Ex-)Selbständige und Freiberufler und Beamte.
Das Ministerium weist in seiner Stellungnahme darafu hin, dass Minijobs im Jahr 2003 grundlegend reformiert wurde. Es gebe nicht nur mehr Minijobs bei Älteren, sondern auch bei unter 65-Jährigen. Die Zahlen von vor 2003 würden sich daher nur bedingt mit spätere Zahlen vergleichen, heißt es aus dem Ministerium. So nahm nach der Minijob-Reform die Zahl der geringfügig Beschäftigten stark zu. Das Wachstum verlangsamte sich seit 2006 deutlich. Nach Angaben des Ministeriums sank 2010 die Zahl der über 65-Jährigen mit Minijob sogar.
Ein Sprecher des Ministeriums nannte es "verfehlt" in der Rückschau aufgrund von mehr Menschen, die älter als 65 Jahre sind und arbeiten, auf eine steigende Altersarmut zu schließen. Die Quote der Menschen im Alter von über 65, die Grundsicherung beziehen, sei seit 2007 konstant bei rund 2,4% (oder 400.000 Personen) - und das trotz fortschreitenden demografischen Wandels.
Es sei insgesamt ein Trend zu mehr Beschäftigung im Alter zu beobachten. Diesen gesamtgesellschaftlichen Trend, diese Dynamik und diese Entwicklungen habe die Bundesregierung im Bericht zur Rente mit 67 und im ersten Folgebericht minutiös nachgezeichnet, hieß es aus dem Ministerium.
Die stärkere Erwerbsorientierung fuße auch auf der durchschnittlich deutlich gestiegenen Lebenserwartung und der ebenfalls im Schnitt deutlich besseren Gesundheit im Alter. Die Menschen seien änger fit und aktiv. Sie wollten nicht mehr automatisch mit 60 oder 65 oder 70 aufs Altenteil, sondern eingebunden sein und sich einbringen. Die Wahrnehmung von Arbeit bzw. Erwerbstätigkeit als Last und möglichst früh zu beendendes Schicksal rücke zunehmend in den Hintergrund, so die Erklärung es Ministeriumssprechers.