Geringer Nutzen, zu hohe Kosten: Die Ärzte wollen eine Prioritätenliste für Behandlungen, die die Kassen erstatten sollen. Gesundheitspolitiker Lauterbach winkt ab.
Hamburg/Berlin. Aqua-Jogging, Walking und Gesundheitskurse à la Wellness-Hotel sind in die Kritik der Ärzte geraten. Kaum Nutzen und zu hohe Kosten ist der Vorwurf der Mediziner. Der deutsche Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe dringt auf die Streichung von „Wunschmedizin“ aus dem Katalog der Krankenkassen und neue Prioritäten bei der Patientenversorgung. „Menschen, die in höchster Not sind und starke Schmerzen haben“, sollten im Gesundheitssystem „an erster Stelle bedacht“ werden, sagte Hoppe der „Frankfurter Rundschau“. „Die, deren Eingriff man planen kann und die weniger leiden, werden an die zweite Stelle gesetzt. Wellness und alles, was Wunschmedizin ist, wird dann nicht mehr erstattet“, sagte Hoppe.
Wunschmedizin sei, „wenn man beim Genuss von Speisen und Getränken keine Abstriche machen will, aber Medikamente braucht, damit die Magenschleimhaut das auch verträgt“. Dann müsse man dem Patienten sagen, „dass er das selbst bezahlen oder auf Alkohol und fettes Essen verzichten muss“. Die Menschen müssten bei der Erhaltung ihrer Gesundheit mitwirken, „damit das System möglichst wenig in Anspruch genommen wird“. Hoppe schlug einen Gesundheitsrat aus Ärzten, Ethikern, Juristen und Patientenvertretern vor, die der Politik Vorschläge für eine Prioritätenliste unterbreiten sollten.
In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ kritisierte Hoppe außerdem die Versorgung Behinderter. Menschen mit Behinderungen seien oft nicht in der Lage, sich auf eigene Kosten notwendige gesundheitliche Leistungen zu beschaffen. „Die Gesundheitsreformen der letzten Jahre haben die Situation weiter erschwert.“ So seien frühere Leistungen der Sozialhilfe fast ganz weggefallen Das widerspreche dem Grundgesetz.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dagegen der „Mitteldeutschen Zeitung“, Hoppes Vorschläge für einen Gesundheitsrat seien nicht sinnvoll. Und: Von einer Unterfinanzierung des deutschen Gesundheitswesens könne keine Rede sein. Nirgendwo in Europa gebe es eine so hohe Dichte an Fachärzten wie in der Bundesrepublik, jedes vierte deutsche Krankenhausbett stehe leer.
Nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat ein Drittel der Hausärzte in Deutschland Angst um die Zukunft ihrer Praxis. Wegen der Gesundheitsreformen in den vergangenen zwei Jahren halten es viele Ärzte kaum für möglich, in die eigene Praxis zu investieren oder Rücklagen zu bilden, heißt es im Ärzteklima-Index. Als schlecht bis sehr schlecht beurteilten die Ärzte vor allem die Behandlungsmöglichkeiten von Kassen-Patienten, die Arbeitsbedingungen als Arzt und die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens. Rund 40 Prozent der befragten Ärzte haben das Gefühl, ihre Patienten sind unzufrieden.