Lange sahen Behörden keine Hinweise auf „Rechtsterrorismus“ in Deutschland. Jetzt müssen sich Ermittler eine Niederlage eingestehen.
Berlin. Die Zäsur für die deutsche Sicherheitspolitik kam am 11. November als knappe Mitteilung des Generalbundesanwalts: Rechtsterrorismus stehe hinter einer rätselhaften Mordserie, die nun drei Neonazis aus Zwickau zur Last gelegt werde. Sie sollen neun Kleinunternehmer mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin erschossen, einen Polizisten und eine Jugendliche lebensgefährlich verletzt und mehr als ein Dutzend Banken überfallen haben. Deutschlands oberster Verfassungsschützer Heinz Fromm sprach von einer „Niederlage der Sicherheitsbehörden“.
Selbst nach wochenlanger Arbeit von mehr als 400 Ermittlern bleibt der Fall voller Rätsel und Spekulationen, vor allem über die Rolle von Nachrichtendiensten. Während die Ermittler zumeist schweigen, aber fast im Wochentakt mutmaßliche Helfer verhaften lassen, befeuert der Fall die Debatte über ein NPD-Verbot: Auch ein Ex-NPD-Funktionär ist unter den mutmaßlichen Helfern.
Die Terrorzelle flog am 4. November in Eisenach auf, als sich Polizisten auf der Suche nach Bankräubern einem Wohnmobil näherten. Sie hörten Knallgeräusche und sahen den Wagen in Flammen aufgehen. Wenige Stunden später flog in Zwickau eine Wohnung in einem Doppelhaus in die Luft. Wochen später stellt sich der Stand so dar: Die 1998 untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wollten mit einer Maschinenpistole die Beamten erschießen, doch sie versagte nach einem Schuss. Daraufhin erschoss Mundlos seinen Freund, zündete das Wohnmobil an und erschoss sich selbst. Ihre Komplizin Beate Zschäpe jagte die Wohnung in die Luft – wenige Tage später stellte sie sich der Polizei und schweigt seitdem.
Im Zwickauer Schutt fanden Polizisten die Pistole vom Typ „Ceska“, mit der von 2000 bis 2006 neun Männer getötet, ja geradezu hingerichtet worden waren. Mit Bildern der Leichen rühmten sich die Täter in einem menschenverachtenden Video zu Motiven aus der „Paulchen Panther“- Serie. Als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hätten sie „Taten statt Worte“ gezeigt.
Die drei stammen aus Jena, wo sie Ende der 90er Jahre Ermittler mit einer Bombenattrappe und zehn Gramm TNT auf ihre Spur brachten. Ende Januar 1998 wollte das Landeskriminalamt deshalb zwei Garagen durchsuchen. Nachdem die Ermittler in der ersten nichts fanden, stieg Böhnhardt in sein Auto und fuhr davon – mangels dringenden Tatverdachts lag kein Haftbefehl vor. Fast zwei Stunden später entdeckten die Polizisten in der zweiten Garage Rohrbomben und 1,4 Kilogramm TNT.
Doch es war zu spät: Alle drei waren untergetaucht. „Spurlos“, beteuerten die Behörden, ehe sie die Ermittlungen 2003 als verjährt einstellten. Erst jetzt sickern aus geheimen Ausschusssitzungen immer neue Details in die Öffentlichkeit über Observationen, abgehörte Telefonate und Spuren ins Nachbarland Sachsen. Zwar gab der Thüringer Verfassungsschutz den entscheidenden Tipp auf die Garage, doch trotz offizieller Dementis verstummen Verdächtigungen nicht, ein Nachrichtendienst habe ein Mitglied der Zelle abgeschöpft und womöglich sogar die Festnahme hintertrieben. Zusätzlich befeuert wurden die Spekulationen durch den Umstand, dass bei einem Mord in Kassel ein Verfassungsschützer am Tatort war – rein privat, wie er beteuerte. Hessische Ermittlungen ergaben keinen Verdacht gegen ihn.
Es bleiben auch so genug Fragen: Warum gab es trotz Spuren keine Festnahmen? Welche Beweise gibt es von den zwei Dutzend Tatorten außer den Indizien wie Tatwaffe und Planungsskizzen? Warum hatten die Männer in Eisenach zigtausend Euro dabei? Welches Motiv gab es für den Mord an der kurzfristig zum Dienst eingesprungenen Polizistin? BKA-Vermutungen, sie habe Kontakte zur rechten Szene in ihrem Heimatort Oberweißbach gehabt, erhärteten sich nicht. Was tat das Trio in der scheinbar verbrechenslosen Zeit von 2007 bis Ende 2011? Wieviel wussten Helfer, die Wohnungen, Papiere, Waffen beschafften? Gibt es einen Kontakt zur NPD, die sich von den „durchgeknallten Mördern“ offiziell distanziert?
Fest steht ein Termin: Am 23. Februar gibt es in Berlin eine zentrale Gedenkfeier für die Opfer. Viele Hinterbliebene hatten sich über für sie verletzenden Verdächtigungen von Ermittlern beklagt. Die Tochter des in Nürnberg erschossenen Blumenhändlers Enver Simsek sagte in einem Interview: „Mein Vertrauen ist weg. Das Vertrauen in das Land, in die Polizei.“
(dpa)