CDU-Chefin verurteilt auf dem Bundesparteitag die rechtsextremistische Mordserie als “Schande für Deutschland“. Die Energiewende verteidigt die Kanzlerin ebenso wie individuelle Lohnuntergrenzen.
Leipzig. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat ihre Partei und ganz Deutschland zu Veränderungswillen und Reformbereitschaft aufgerufen. "Wir leben in Zeiten epochaler Veränderungen“, sagte Merkel am Montag beim Bundesparteitag der Christdemokraten in Leipzig. Die CDU verliere dabei weder Fundament noch Kompass. Es könnten aber nicht die Antworten für richtig gehalten werden, die vor 30 Jahren gegeben wurden. Die Parteivorsitzende verteidigte die geplanten Änderungen etwa in der Bildungs-, Sozial- und Familienpolitik.
Die Christdemokraten müssten immer wieder alte Antworten überprüfen und neue geben. Das mache die CDU als große Volkspartei der Mitte aus. Sie sei eine Partei ohne dogmatische Ideologieverständnisse. "Das macht die Stärke der CDU aus. Das macht unsere Stärke für die Zukunft aus.“
Merkel verteidigt umstrittene Energiewende
Die innerhalb der Partei umstrittene Energiewende verteidigte Merkel. Das Restrisiko habe mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein neues Gesicht bekommen, sagte Merkel am Montag in ihrer Rede. Deshalb müsse man Konsequenzen ziehen, und das bedeute, die Energiewende in Deutschland schneller einzuleiten.
Für die CDU sei die Kernenergie schon lange eine Brückentechnologie gewesen. Es sei also nicht mehr um das Ob des Umstiegs gegangen, sondern um das Wie, "um einen Umstieg mit Augenmaß“, sagte Merkel. Dies bleibe natürlich "eine riesige Aufgabe“, aber die Welt habe sich durch Fukushima eben verändert. Die CDU stehe dabei nicht nur für den Ausstieg, die Partei sage auch, "wie wir das machen“.
Schuldenkrise "schwerste Stunde seit Zweitem Weltkrieg"
Angesichts der Euro-Schuldenkrise sagte die Kanzlerin, Europa sei vielleicht "in der schwersten Stunde seit dem Zweiten Weltkrieg“. Deutschland werde aber gestärkt aus der Krise herauskommen. Nun müsse es geschafft werden, dass auch Europa dies schaffe. "Es ist Zeit für einen Durchbruch zu einem neuen Europa.“ Merkel ergänzte: "Dieses Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft in der globalen Welt.“
Merkel mahnte ein verantwortliches Agieren der weltweiten Finanzbranche an. "Die Wirtschaft und die Finanzwirtschaft müssen den Menschen dienen und nicht umgekehrt.“ Leidenschaftlich setzt sich die Kanzlerin erneut für die gemeinsame Währung ein: "Der Euro ist weit mehr als eine Währung. (...) Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“
Merkel warb bei den rund 1000 Delegierten eindringlich für den am Vortag in letzter Minute ausgehandelten Kompromiss für die CDU-Forderung nach Mindestlöhnen. "Niemand von uns will einen flächendeckenden, einheitlich politisch festgelegten gesetzlichen Mindestlohn.“ Zur Realität in Deutschland gehöre aber auch, dass es längst nicht für alle Beschäftigungsverhältnisse Tarifverträge gebe. "Wir wollen dort eine Lohnuntergrenze, wo es keine Tarifverträge gibt.“ Die Höhe solle an allgemeinen Aussagen spezifischer Branchentarifverträge orientiert werden.
Merkel verurteilt Mordserie als Schande für Deutschland
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat die Mordserie an Ausländern in Deutschland als rechtsextremen Terrorismus verurteilt. "Das ist eine Schande, das ist beschämend für Deutschland“, sagte Merkel in ihrer Rede in Leipzig. Sie kündigte an, es werde alles getan, die Fälle aufzuklären.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, verlangte, jetzt müssten alle Fakten auf den Tisch. "Ich bin zutiefst bestürzt darüber, dass offenkundig rassistisch motivierte Serientäter jahrelang in Deutschland unerkannt Verbrechen begehen konnten“, erklärte die Staatsministerin in Berlin.
+++ Dossier zum rechtsextremistischen Terror +++
Oberste Priorität habe jetzt die lückenlose Aufklärung der Mordserie. "Wie konnte es passieren, dass das Trio über Jahre hinweg unbehelligt seine abscheulichen Verbrechen begehen konnte? Welche Rolle spielten die Sicherheitsbehörden? Gibt es größere Gruppen von Rechtsextremisten?“ Außerdem müsse zügig geklärt werden, ob die Gefahr rechtsextremistischen Terrors unterschätzt worden sei, verlangte die CDU-Politikerin.
Zugleich gelte gerade jetzt die Botschaft: "In Deutschland ist kein Platz für Fremdenfeindlichkeit, Hass und Gewalt.“ Die große Mehrheit in Deutschland setze sich für gegenseitige Toleranz und ein friedliches Zusammenleben aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft ein.
Bekenntnis zu Gymnasium und Hauptschule
Auch den demografischen Wandel thematisierte Merkel in ihrer Rede. Die CDU-Vorsitzende mahnte, Deutschland müsse sich intensiv mit seinem Wandel der Altersstruktur befassen. "Wir können nicht so tun, als hätten wir die Bevölkerung von 1950.“ Die Schülerzahlen würden in den nächsten Jahren um 30 Prozent sinken, die Zahl der Bürger insgesamt gehe drastisch zurück. "In der Welt passiert das Gegenteil. Die Weltbevölkerung niemand rasant zu.“
Merkel warb dabei für die in der CDU lange umstrittene neue geplante Schulpolitik der Partei, über die der Parteitag an diesem Dienstag abstimmen soll. Nach einem Zwei-Wege-Modell soll es künftig neben dem Gymnasium eine Oberschule geben, in der Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden. Inzwischen betont die Parteispitze aber, dass das keine Pflicht zur Abschaffung der Hauptschule bedeute, wo sie nach Ansicht kommunaler Politiker noch gebraucht werde.
Merkel sagte: "Wir bekennen uns ausdrücklich zum Gymnasium und gegen die Einheitsschule.“ Sie betonte: "Funktionierende Hauptschulen können und werden bestehen bleiben.“
Die Zahl alter Menschen nehme in Deutschland zu. Es müsse weiter gelten, "dass jeder Mensch die Gesundheitsversorgung bekommt, die er braucht“. Die steigenden Kosten für die Gesundheitsvorsorge müssten deshalb von den Lohnzahlungen abgekoppelt werden. "Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken.“ Für die Pflege gelte das gleiche.
Mit Material von dpa und dapd