Beleidigend, belästigend, berechnend: Seehofer ist zum Störfaktor der Koalition geworden. Dem CSU-Chef geht es allein um seinen Machterhalt.
Berlin. Nachtragend zu sein ist eine auffällige Eigenschaft in einem rasanten, mitunter hektisch von Debatte zu Debatte springenden und bisweilen vergesslich auftretenden Politikbetrieb. In der bayerischen Landeshauptstadt, wo man in besonderer Beharrlichkeit selbst zum Scheitern verurteilte Themen wie die Pkw-Maut verfolgt, gehört das methodische Nachtreten zum guten Ton politischen Handelns. Da kann sich das Berliner Geschehen in dieser Woche noch so sehr auf die Euro-Rettung fokussieren - in München hat man die Ereignisse des Donnerstags der vergangenen Woche noch nicht verdaut. Für die CSU und im Speziellen für Horst Seehofer sind die Tage der Rache angebrochen. Rache für die Nichtbeachtung des dritten Koalitionspartners. Der CSU-Chef kann nicht so schnell vergessen, wie man ihn demütigte, als am besagten Donnerstag FDP-Chef Philipp Rösler und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit dem ausdrücklichen Segen der Bundeskanzlerin ihre Steuersenkungsideen präsentierten. "Mit uns gibt es da keine Einigung", hatte Seehofer zwar noch in der Stunde der vermeintlichen Kränkung in Richtung Berlin gepoltert. Damit wollte und will es der CSU-Chef aber nicht belassen.
Auch eine Woche nach dem schwarz-gelben Kommunikationsdesaster ist der bayerische Partner der Bundesregierung tief gekränkt. Auf Glückwünsche zum Gipfelerfolg zur Euro-Rettung hat er demonstrativ verzichtet. Das Lob der CSU an die Kanzlerin musste seine Berliner Statthalterin, Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, überbringen. Seehofer ist momentan nicht in der Stimmung, positiv über Angela Merkel zu sprechen. Er feilt in diesen Tagen lieber weiter an seinem Projekt Rache. Dessen konkrete Ausgestaltung könnte am 6. November ihren Höhepunkt finden. Dann wollen sich die Spitzenvertreter der drei Regierungsparteien treffen, um den Steuersenkungskurs festzulegen. Und die Berliner Koalitionäre fürchten schon jetzt den Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten, der munter an einem eigenen Steuerkonzept arbeitet. An ihm könne derzeit jede Einigung scheitern, heißt es in Regierungskreisen. Gerüchte machen die Runde, Seehofer hätte auch nichts mehr gegen ein vorzeitiges Ende der Koalition. Allein aus landespolitischen Gründen wolle der Chef der kleineren Unionsschwester die Distanz zu CDU und FDP ausbauen.
Überlebt die Berliner Koalition, muss Seehofer seinen Landtagswahlkampf parallel zum Bundestagswahlkampf führen. Er könnte kaum schlechtere Voraussetzungen vorfinden, dem 43-Prozent-Tief der Landtagswahl 2008 zu entkommen. Schon das Zwangsbündnis mit der FDP in München hatte den über Jahrzehnte gepflegten Absolutheitsanspruch der CSU erschüttert. Nun aber muss Seehofer den Machtverlust als vorstellbares Szenario akzeptieren. Sollte es dem populären Münchner Oberbürgermeister Christian Ude als SPD-Spitzenkandidat gelingen, eine Koalition aus SPD, Grünen und Freien Wählern zu schmieden, müsste die CSU nach 54 Jahren des Herrschens in die Opposition. Und Seehofer wäre ein Fall für die Geschichtsbücher: der Mann, mit dem die CSU unterging.
Die Umfragen sehen für die Partei weiterhin keinerlei Erholung. 43, vielleicht 44 Prozent würde sie momentan bekommen. Aber die Parteibasis nimmt ihren Chef inzwischen klaglos hin, wie er ist. Anders wäre es, gäbe es noch einen Karl-Theodor zu Guttenberg. Nun aber hat die CSU nur noch Seehofer. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Sein Finanzminister Georg Fahrenschon gilt zwar als geeigneter Kandidat für die Zeit nach Seehofer. Doch Fahrenschon liebäugelt derzeit mit dem Chefposten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Ohne Aufbruchssignale, ohne aufstrebendes junges Personal droht dem 62-jährigen CSU-Chef der härteste Wahlkampf seines Lebens.
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In Berlin wundert es daher niemanden, dass sich Seehofer längst in die innere Opposition zu Schwarz-Gelb begeben hat. So spricht er in der Euro-Krise ohne Umschweife vom Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, wohl wissend, dass er mit selbiger Aussage als Mitglied des Bundeskabinetts ein mittleres Erdbeben auslösen würde.
Gleiches gilt für seinen offenen Widerspruch gegen die Aussage der Kanzlerin, ohne den Euro scheitere auch Europa. "Nein. Diesen Zusammenhang sehe ich nicht", entgegnete Seehofer. Die europäische Idee sei sehr stark. "Sie lebt, sie ist unumkehrbar." Ginge es nach dem CSU-Chef, könnte Europa also auch sehr gut ohne den Euro und Deutschland wieder gut mit der noch vertrauten D-Mark leben. "Seehofer tut nichts mehr, was die Koalition stabil hält", sagt ein enttäuschter Unionspolitiker in Berlin. Ein anderer lässt wissen, nicht mehr die Liberalen seien Merkels größtes Problem, jetzt sei es der CSU-Vorsitzende.
Die Kanzlerin ist gewarnt. Sie weiß, wie Seehofer reagiert, wenn ihm die Lust auf Kooperation vergeht. Jahrelang hatte er innerhalb der Union als untragbar gegolten, als wankelmütig und unzuverlässig. Letztere Eigenschaften werden ihm weiterhin nachgesagt - nur dass sie, seit er als Profiteur der schweren Parteikrise von 2008 zum Parteichef und Ministerpräsident aufstieg, schwerer ins Gewicht fallen. Bald jähren sich zum zehnten Mal die dramatischen Tage, in denen Seehofer aufgrund einer Herzmuskelentzündung fast sein Leben verlor. Er werde sich nicht mehr verbiegen lassen und nie wieder "Mitglied des Nickerklubs" werden, hatte er gesagt, als er wieder gesund und angriffslustig war. 2004 wollte er die von der Union vorangetriebene Gesundheits-Kopfpauschale nicht mittragen und schmiss konsequenterweise seinen Posten als Fraktionsvize hin. Der Ingolstädter, der es aus einfachsten Verhältnissen bis zum Gesundheitsminister unter Helmut Kohl gebracht hatte, empfand das Dasein als nur noch einfacher Abgeordneter selbst als Tiefpunkt seiner Karriere. "Politisch tot" sei er gewesen, sagte er später. Aber ein Seehofer will lieber politisch tot als politisch verbogen sein.
In diesem Stil prägt er nunmehr die Außendarstellung der schwarz-gelben Koalition. Er, der noch 2008 behauptete, der CSU-Chef müsse in Berlin sein, genießt es, von München aus den Berliner Betrieb in seine Schranken zu weisen. Sein liebstes Opfer dabei: die FDP. Seine besondere Vorliebe: liberale Gesundheitsminister. Kurz bevor Daniel Bahr im September seine Pflegereform vorstellen wollte, veröffentlichte Seehofer ein CSU-Konzept. Seitdem liegt die Reform brach. Im Frühjahr 2010 wollte Bahrs Amtsvorgänger Rösler seine Gesundheitsreform persönlich von Seehofer in München absegnen lassen. Stattdessen bekam er eine politische Machtlektion erteilt. Seehofer schickte seinen eigenen Gesundheitsminister Markus Söder vor, der die Reformpläne zerlegte und dabei eine christsoziale Weisheit von sich gab: "Entscheidend ist nicht der Koalitionsfrieden." Der Satz könnte von Seehofer stammen.