Kreuzzüge, Kopftuch und “Kampf der Kulturen“ - europäische Schulbücher stellen den Islam oft als vormodern dar und schüren Vorurteile.
Hamburg/Berlin. Das Bild zeigt zwei junge Frauen, sie sitzen an einer Straßenecke und unterhalten sich. Eine von ihnen trägt ein dunkles Kopftuch. "Fremd in Deutschland" lautet die Unterschrift unter dem Bild, "Mensch und Politik" heißt das Schulbuch, mit dem vor allem an Gymnasien in Baden-Württemberg und Niedersachsen unterrichtet wird. In einem spanischen Schulbuch heißt es, der Islam sei "autoritären und patriarchalischen Strukturen von Hirten und Bauern angepasst". Er grenze sich von der "westlichen, technisch weiterentwickelten Zivilisation" ab.
Wer in Europas Schulbüchern blättert und über den Islam liest, findet viele dieser negativen Beispiele. Fremdheit und Islam sind oftmals unlösbar verbunden. Bilder und Texte festigen Vorurteile gegen Muslime und stellen den Islam als vormodern und außereuropäisch dar. Dies ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag des Auswärtigen Amtes, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Für die Studie haben Wissenschaftler des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung (GEI) 150 Lehrbücher aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und England gesichtet und 27 genauer analysiert. Das sei zwar nicht repräsentativ, räumten die Forscher ein. Die Untersuchung zeige aber Tendenzen auf, die sich in Lehrbüchern aller EU-Länder glichen: Sie betonen eine Konfrontation des Islam mit Europa. Muslime, so die Forscher, stünden in den Darstellungen als "vormodernes, religiöses Kollektiv" den Europäern gegenüber. Gemeinsamkeiten kommen zu kurz. Schüler, die dieses Wissen vermittelt bekämen, "haben islamophoben Populismus nichts entgegenzusetzen", kritisierte Projektleiterin Susanne Kröhnert-Othman.
***Libyen auf dem Weg zu gemäßigtem islamischen Staat***
***Vier Millionen Muslime leben in Deutschland***
Die Geschichte des Islam ist in Europas Schulbüchern vor allem eine Geschichte des Mittelalters. Nach der "Blütezeit" des Islam und den Kreuzzügen springen viele Autoren sofort in die Gegenwart zu Kapiteln wie Migration oder islamistischen Terrorismus. Die Reformbewegungen dieser Religionsgemeinschaft seit dem 19. Jahrhundert fehlen oft völlig. Kultureller Stillstand seit dem Mittelalter - es ist eines der Klischees des Islam, die aus den Texten der Bücher in die Köpfe der Schüler getragen werden.
Zwischen den Ländern stellten die Wissenschaftler keine großen Unterschiede in den Schulbüchern fest. Vor allem eines fällt auf: Die Autoren der Bücher schreiben pauschal von "der islamischen Welt" oder "den islamischen Konflikten". Oftmals werden sogar die arabische und islamische Welt gleichgesetzt. Es fehle Trennschärfe, anders als bei der Darstellung des Christentums.
Und doch gibt es Beispiele für differenzierte Geschichtsbilder. In einem deutschen Buch ist das Osmanische Reich als Staat mit vielen Religionen beschrieben. Einige Autoren der untersuchten Werke unterscheiden immerhin zwischen Gruppen wie Schiiten und Sunniten. Vor allem eine Verbindung von Islam und Terrorismus versuchen die Autoren der Bücher offenbar bewusst zu vermeiden
Man bezwecke mit der Studie keine pauschale Schulbuch-Schelte, sagte die Leiterin des Georg-Eckert-Instituts, Simone Lässig. Schulbücher müssten sehr widerstreitende Erwartungen befriedigen. Es gehe jedoch darum, für die eingefahrene Wahrnehmung der Muslime in Europa zu sensibilisieren. Denn Schulbücher seien Medien, die Wissen kanonisierten und oft über Generationen festlegten, sagte Lässig.
Wie die Forscher sieht auch die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor durch das Pauschalurteil eines "vormodernen Islam" die Gefahr, dass muslimische Schüler im Unterricht benachteiligt werden. Abgrenzung in der Geschichte führt zur Abgrenzung im Klassenzimmer. Kaddor gilt als Streiterin für einen liberalen Islam und hat vor einigen Jahren "Saphir" herausgegeben - das erste Schulbuch für islamischen Religionsunterricht. Doch Bücher seien nur die eine Seite, sagte sie dem Hamburger Abendblatt. "Der Unterricht steht und fällt mit der Qualität der Lehrer." Und auch dort zeigt sich Kaddor besorgt. "Die Ressentiments mancher Lehrer gegenüber dem Islam haben in den vergangenen Jahren zugenommen." Es gehe in deutschen Klassenzimmern zu stark um den politischen Islam, die Unterdrückung der Frau und den Fundamentalismus. Kaddor fordert bei der Ausarbeitung von Lehrplänen und Schulbüchern eine stärkere Zusammenarbeit von muslimischen, christlichen und jüdischen Wissenschaftlern und Pädagogen. Auch die Autoren der Studie machen konkrete Empfehlungen für eine Überarbeitung der Schulbücher. Im Kapitel Migration dürften Muslime nicht länger als Sondergruppe präsentiert werden. In Südosteuropa leben Muslime bereits seit Jahrhunderten - auch dies dürfe bei der historischen Darstellung nicht fehlen. Zudem müsse der Islamismus in seinen verschiedenen Phasen erklärt werden - vom antikolonialen Widerstand über den politischen Islam bis zum Terror.
Memet Kilic sieht auch die Muslime in der Pflicht. Sie müssten an ihrem Image arbeiten, sagte der Sprecher für Integration bei den Grünen dem Abendblatt. "Der Islam ist nicht nur wunderbar. Muslime müssen gegen Fundamentalismus und Islamismus in den eigenen Reihen entschieden vorgehen." Lehrer müssten das Bild eines heterogenen Islam in den Unterricht tragen - mit Unterschieden "von Indonesien über die Türkei bis Saudi-Arabien".
Hamburgs CDU-Landeschef Marcus Weinberg fordert angesichts der großen Zahl muslimisch gläubiger Kinder in Deutschland eine "lückenlose kulturhistorische Betrachtung" des Islam in den Klassenzimmern. Ein vom Bund verordnetes und einheitliches Schulbuch für alle Bundesländer sei jedoch schwierig. Die Länder haben die Hoheit über die Bildung - und über ihre Schulbücher. "Deswegen kann der Bund den Kultusministern der Länder lediglich empfehlen, die Ergebnisse der aktuellen Studie zum Anlass zu nehmen, die Darstellung über den Islam an den Schulen zu überdenken", sagte Weinberg dem Abendblatt.