Die Kritik von Altkanzler Kohl an ihrem Regierungsstil weist Angela Merkel zurück. Aber bei der Euro-Rettung steht sie massiv unter Druck
Berlin. Angela Merkel will keinen Streit - schon gar nicht mit Helmut Kohl. Doch auf die harsche Kritik des Altbundeskanzlers musste die Regierungschefin dann doch reagieren. "Die Verdienste Helmut Kohls als Kanzler der deutschen Einheit und der europäischen Einigung sind nicht hoch genug einzuschätzen", lobte sie zunächst in der "Süddeutschen Zeitung". Fügte dann aber hinzu: "Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen. Die christlich-liberale Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen unserer Zeit zusammen mit unseren Partnern in Europa und der Welt entschlossen zu meistern."
Merkels Worte sind eine vorsichtige, aber durchaus klare Zurückweisung von Kohls Kritik. Und sie zeigen: Die Kanzlerin nimmt ernst, was ihr Vorvorgänger da sagt. Als sich Kohl Ende März kurz vor den wichtigen Landtagswahlen im Südwesten schon einmal gegen ihren Kurs wandte und vor einer "Rolle rückwärts" in der Energiepolitik warnte, war das noch anders und Merkel blieb ruhig. Jetzt aber steckt die CDU seit Wochen in einer Richtungsdebatte. Zudem steht die Kanzlerin mit der Euro-Rettung vor einer der wichtigsten Projekte in ihrer Amtszeit. Bis Ende September will sie die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF durch den Bundestag bringen, doch die Zustimmung ihrer Fraktion und des Koalitionspartners FDP sind ihr nicht gewiss. Wo immer die Kanzlerin dieser Tage spricht, tritt sie als vehemente Verteidigerin der gemeinsamen Währung und eines vereinten Europas auf. Kohls Kritik kommt für sie zur Unzeit.
Ohne die Kanzlerin direkt zu nennen, hatte er in einem Interview mit der Fachzeitschrift "Internationale Politik" beklagt, der Regierung fehle der politische Kompass. Indirekt warf er Merkel auch vor, keinen Führungs- und Gestaltungswillen zu haben. Er warnte vor einem Auseinanderbrechen Europas und forderte ein "beherztes Zupacken und ein Paket vorausschauender, klug gewogener und unideologischer Maßnahmen, mit dem wir Europa und den Euro wieder auf einen guten Weg bringen und für die Zukunft absichern". Sogar der Bundespräsident meldete sich in Sachen Euro zu Wort. Christian Wulff kritisierte die Europäische Zentralbank ungewöhnlich scharf dafür, dass sie zur Beruhigung der Märkte massiv Anleihen von Schuldenländern gekauft hatte.
Die Kritik hat in der Union zu Debatten geführt. Während sich die Spitzen der schwarz-gelben Koalition schnell hinter Merkel stellten und Kohl in die Schranken wiesen, warnte etwa Hamburgs CDU-Chef Marcus Weinberg davor, die Einlassungen zu ignorieren. "Wenn sich ein ehemaliger Verantwortungsträger und vor allem ein Altbundeskanzler mit Kritik zu Wort meldet, sollte man sehr sensibel darauf reagieren und sein eigenes Handeln auch hinterfragen", sagte er dem Abendblatt. Allerdings dürfe man dabei nicht außer Acht lassen, dass die Situation heute nun mal eine andere sei als früher. "Vor allem die Vorgänge um die Euro-Krise sind sehr komplex, dafür müssen auch Kritiker Verständnis haben", betonte er. Der Chef der CDU-Landesgruppe Schleswig-Holstein, Ole Schröder, sagte dem Abendblatt, er begrüße, "dass sich mit Helmut Kohl jemand zu Wort gemeldet hat, der dieses Europa mit aufgebaut hat." Er fügte jedoch hinzu, dass gerade die nicht mehr im Tagesgeschäft eingebundenen Staatsmänner in der jetzigen Situation verpflichtet seien, nicht nur Kritik zu üben, sondern auch Lösungswege zu erklären.
Für die Kanzlerin wird es auch in den kommenden Tagen nicht einfach werden. Merkel sagte gestern überraschend ihre für den 7. und 8. September geplante Russlandreise ab. Am 8. September werden die deutschen Regeln zur Reform des EFSF in den Bundestag eingebracht. Das Volumen des Krisenfonds soll von derzeit 440 auf 780 Milliarden Euro erweitert werden. Der deutsche Garantieanteil steigt von 123 auf 211 Milliarden Euro. Zudem soll der Fonds zusätzliche Befugnisse erhalten: Er soll Banken retten, Staatsanleihen am Kapitalmarkt aufkaufen und Vorsorgekredite an bedrohte Länder vergeben können. Viele Parlamentarier haben Sorge, dass der EFSF zu einer mächtigen, teuren Institution ausgebaut wird, die sie kaum kontrollieren können. Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach bemängelt, das Parlament werde so schleichend entmachtet.
CDU-Politiker Schröder sagte, weitere Kredite und Garantien dürfe es nur unter strengen Auflagen und einer ausreichenden Beteiligung des Parlaments geben. "Deutschland hat mit einer strikten Schuldenbremse seine Hausaufgaben gemacht. Dies erwarte ich auch von allen anderen Ländern der Euro-Zone." Die deutschen Steuerzahler dürften nicht dauerhaft für die Überschuldung in anderen Ländern aufkommen. Für Merkel wird bei der Abstimmung jede Stimme wichtig sein. Die SPD will ihr jedenfalls nicht aus der Klemme helfen, wenn sie keine eigene schwarz-gelbe Mehrheit erhält. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte im ZDF, gelinge Merkel dies nicht, seien sie und die Regierungskoalition "politisch gescheitert".