Vor ihrem Abschied in den Urlaub bilanziert die Kanzlerin den Euro-Gipfel und zwei Jahre Schwarz-Gelb. Heiklen Themen weicht sie aus.
Berlin. Brüssel ist schön. Doch wirklich, sagt Angela Merkel grinsend, nur ihren Sommerurlaub, den werde sie in diesem Jahr trotzdem nicht in Europas Hauptstadt verbringen. "Es gibt keine konkreten Urlaubspläne für Brüssel", so die Bundeskanzlerin, die ohnehin erst seit wenigen Stunden wieder deutschen Boden unter den Füßen hat, als sie in Berlin zu ihrer traditionellen Sommer-Pressekonferenz antritt. Es ist der letzte Arbeitstag der Kanzlerin für drei Wochen. Fast zwei Jahre schwarz-gelben Regierens liegen hinter ihr, weitere zwei Jahre noch vor ihr, sofern alles läuft, wie geplant. Zeit für ein Zwischenfazit.
Geht es nach Merkel, fällt die Bilanz im Großen und Ganzen positiv aus. Vor allem auch wegen Brüssel, wo die Kanzlerin in der Nacht zu Freitag mit ihren europäischen Amtskollegen einen wichtigen Schritt zur Bewältigung der Euro-Krise getan hat - und dem Rettungspaket für das angeschlagene Griechenland auch eine klare deutsche Handschrift verliehen hat. Wenn sie jetzt also sagt, vorerst nicht wieder nach Belgien reisen zu wollen, heißt das auch, dass sie einen weiteren EU-Sondergipfel zur Rettung der Währung vorerst nicht für nötig hält. So seien die 17 Euro-Länder ein gutes Stück weitergekommen. "Wir wissen, was wir tun müssen, um aus der Krise herauszukommen." Das sei eine "gute Botschaft", sagt die Kanzlerin.
Wenn die CDU-Chefin jetzt also zunächst am Montag zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele reist und danach auf Wanderurlaub in die Südtiroler Berge geht, kann sie hinter dem Punkt Euro-Rettung vorläufig einen Haken machen. Auch die Wirtschaftskrise erklärt die Bundeskanzlerin für beendet: Das Wirtschaftswachstum sei "so hoch wie lange nicht", die Arbeitslosigkeit "so gering wie lange nicht", gleichzeitig steige die Erwerbstätigkeit auf Rekordniveau. "Deutschland hat die Krise hinter sich gelassen und steht besser da als zuvor", betont Merkel. Im Bereich Bildung und Forschung habe die Bundesregierung so viel Geld eingesetzt, wie es keine andere Bundesregierung je zuvor getan habe. Und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts werde durch das im Rahmen der Hartz-IV-Reformen beschlossene Bildungspaket für benachteiligte Kinder vorangetrieben und durch die Entlastung der Kommunen unterstützt. Fast klingt es so, als arbeite die Bundeskanzlerin die Leitbegriffe des im Herbst 2009 geschlossenen Koalitionsvertrags ab: "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt".
Ganz bewusst geht Merkel an diesem Tag in die Offensive - und dass sie für ihren Auftritt und ihre Zwischenbilanz nicht zu zurückhaltenden Pastelltönen, sondern zu einem grellroten Blazer gegriffen hat, dürfte kaum ein Zufall sein. Seit den anhaltenden schwarz-gelben Streitigkeiten der vergangenen Wochen und Monate hat sich die Koalition eine neue Kommunikationsstrategie verordnet: Das genüssliche Ausbreiten von Uneinigkeit und Zoff gerade zwischen CSU und FDP soll aufhören und dafür die Erfolge der Bundesregierung besser als solche verkauft werden. Und Merkel legt vor, bevor es in die zweite Halbzeit geht. Dass die Koalition bei der inneren Sicherheit etwa mit dem kürzlich gefundenen Kompromiss bei den Anti-Terror-Gesetzen eine Lösung gefunden habe, stimme sie "hoffnungsvoll, dass wir auch die anderen Dinge gut hinkriegen". Auf die Streitigkeiten und die noch vielen offenen Fragen geht sie nur am Rande ein.
Für die Bundeskanzlerin sind die Dinge im Fluss, inhaltliche Zäsuren sind nicht mehr vorgesehen. Ganz nach dieser Weiter-so-Devise soll es in den kommenden zwei Regierungsjahren zugehen. Man werde jetzt einfach mal weiter an den Projekten arbeiten, die man vorhabe. Sie nennt die Bundeswehrreform, die im Herbst auch mit der Nachricht über Standortschließungen konkrete Formen annehmen wird, sie erwähnt auch die Umsetzung der Hartz-IV-Beschlüsse und spricht die Hoffnung aus, dass die Bildungsgutscheine zukünftig besser angenommen werden. Doch Merkel lässt so manche Großbaustelle aus: Weder äußert sie sich zur Pflegereform, die die Beitragszahler bald deutlich stärker als bislang belasten könnte, noch beschäftigt sie sich mit dem koalitionären Dauerstreitthema der Vorratsdatenspeicherung zur Kriminalitätsbekämpfung. Die Frage, ob wieder ein Herbst der Entscheidungen anstehe, quittiert Merkel entsprechend mit einer lapidaren Feststellung: "Wir sind jetzt gerade im Sommer der Entscheidung, dann kommt der Herbst und dann der Winter der Entscheidung - jetzt kommen überhaupt nur noch Entscheidungen."
Nur noch Entscheidungen? Gerade in Sachen Steuersenkungen hatte die Kanzlerin in den vergangenen Wochen klare Entscheidungen vor sich hergeschoben. Zu mehr als zu einem schriftlich fixierten Beschluss, dass man zum 1. Januar 2013 die Bürger entlasten wolle, hat sich Schwarz-Gelb bislang nicht durchringen können. Nun spricht Merkel von der Möglichkeit für eine "maßvolle Steuerentlastung" und wiederholt das Wort "maßvoll" gleich mehrfach. Man müsse sich im Herbst zuerst die finanziellen Spielräume anschauen und dann entscheiden. Mit einem unvorsichtigen Satz, der eine neue Steuerdebatte lostreten könnte, will sich die Kanzlerin auf keinen Fall in den Urlaub verabschieden.
Das gleiche gilt für das Thema Pkw-Maut: Während die CSU immer deutlicher eine Einführung fordert, lässt sich Merkel nicht im Ansatz auf das Thema ein. Auf die Frage, ob sie eine solche Abgabe wie CSU-Chef Horst Seehofer für ein zentrales Projekt halte, sagt Merkel, sie habe die Pkw-Maut "mit Bedacht nicht erwähnt. Also zu meinen Projekten gehört sie nicht." Erst am Vortag hatte Seehofer dem Widerstand von CDU und FDP zum Trotz argumentiert, die Maut werde gebraucht, um einen "gigantischen Investitionsstau" zu vermeiden. Er werde deshalb "nicht lockerlassen". Merkel wird sich demnach noch öfter mit dem Herzensthema der bayerischen Parteischwester beschäftigen müssen, obwohl es 2009 gar nicht im Koalitionsvertrag verankert wurde. Den eigenwilligen CSU-Chef kennt die Bundeskanzlerin inzwischen gut, relativ frisch ist noch die Zusammenarbeit mit Vizekanzler Philipp Rösler. Merkel gibt sich diplomatisch: Sie habe mit dem ersten Vizekanzler Guido Westerwelle gut zusammengearbeitet, und sie arbeite auch gut mit dem zweiten zusammen. Da allerdings Ersterer weiterhin Außenminister sei und sie allein wegen seines Amtes eng mit Westerwelle zusammenarbeite, habe sich nun durch Rösler die Zusammenarbeit mit den Liberalen intensiviert.
"Wie Sie sehen, macht mir meine Arbeit Spaß", lässt Merkel dann noch die Öffentlichkeit wissen. "Und es ist nicht abzusehen, dass sich das kurzfristig ändert." Ein Signal, dass sie 2013 für eine dritte Amtszeit antreten will? Eine eindeutige Antwort bleibt die Kanzlerin schuldig. Aber ans Aufhören scheint Merkel erst recht nicht zu denken.