Guido Westerwelles Nachfolger als Parteichef der FDP soll auch Vizekanzler werden. Das hat der Außenminister auf einer Präsidiumssitzung gesagt.
Berlin. Der scheidende FDP-Chef Guido Westerwelle will den Posten des Vizekanzlers an seinen Nachfolger an der Spitze der Partei abgeben. "Es ist völlig klar, dass der nächste Parteivorsitzende, wenn er dem Kabinett angehört, auch Vizekanzler wird“, sagte Westerwelle am Montag in Berlin nach Angaben von Teilnehmern bei einer Präsidiumssitzung. Das Gremium berät über einen Nachfolger Westerwelles. Dieser hatte erklärt, nach seinem Rückzug vom Parteivorsitz Außenminister bleiben zu wollen. (reuters)
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Guido Westerwelle bleibt sich treu. Auch jetzt bei seinem Rücktritt. Um Punkt 18 Uhr steht er kerzengerade in der Berliner Parteizentrale der FDP vor der Presse. Er kommt sofort zur Sache. "Ich werde mich auf dem kommenden Bundesparteitag im Mai nach zehn Jahren als Parteivorsitzender nicht erneut für das Amt bewerben", sagt er. Die Entscheidung habe er sich gut überlegt. Zwei Minuten dauert sein Auftritt. Alles läuft geordnet.
Doch Westerwelle sieht abgespannt aus. Die Augen sind rot, das Gesicht blass. Der Jetlag und der Stress der letzten Tage stecken ihm in den Knochen. Sieben Stunden Zeitunterschied sind es bis nach Tokio, wo er bis vor Kurzem noch gewesen ist.
In den vergangenen Tagen hatte Westerwelle in Asien ganz den Außenminister gegeben. Und zum Machtkampf in seiner Partei geschwiegen. Beim Abschluss seines China-Besuchs im Pekinger Nationalmuseum kamen Studenten mit einem Wahlplakat der FDP von 2009 zu ihm. Es zeigte das Porträt Westerwelles und den Slogan "Arbeit muss sich wieder lohnen". Das Versprechen hatte die Liberalen in die Koalition mit der Union katapultiert. In den Jahren zuvor hatte Westerwelle die FDP von Sieg zu Sieg in Ländern und Kommunen geführt - und sich selbst zum Außenminister.
Am Freitag tummelten sich Fotografen im Saal des Pekinger Museums um Westerwelle, das Plakat und die Studenten. Er machte Smalltalk, lächelte höflich, kritzelte ein Autogramm auf das Papier. Westerwelle wirkte wie ein Polit-Star. Für den Moment.
Dieser Moment endete gestern Morgen um kurz vor 6 Uhr. Die Regierungsmaschine des Außenministers landete wieder in Berlin. Westerwelles Demontage hatte da längst neue Höhepunkte erreicht. Die Hessen-FDP drohte ihm im Falle einer Hängepartie um die Parteiführung mit einem vorgezogenen Bundesparteitag. Auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ging auf Distanz.
Und die verbalen Schläge auf Westerwelle hatten nach der krachenden Wahlniederlage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz enorm an Härte gewonnen. Der Kämpfer Westerwelle strauchelte. Bis er gestern fiel.
Als sich der Parteichef über seinen Rückzug im Klaren war, rief er die FDP-Ehrenvorsitzenden Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher an, danach die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Später teilte er den Landeschefs und Präsidiumsmitgliedern mit, dass er sich zurückziehe. Nach fünf Minuten beendete er die Schaltkonferenz mit den Worten "Alles Gute und gemeinsam viel Erfolg."
Schon vor drei Monaten war es einsam um Westerwelle geworden. Die Welle der Rücktrittsforderungen aus der Partei hatte im Winter einen ersten Höhepunkt erreicht. "Ich verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt", verkündete Westerwelle trotzig. Seine Reden wirken. Damals half ihm das noch.
Doch er ist nicht nur einer der besten Redner der Republik. Er ist auch provokant, egozentrisch, populistisch. Mitten in der Finanzkrise beharrte er auf Steuersenkungen. Er stieß eine Debatte über die Hartz-IV-Empfänger an und wetterte gegen ihre "spätrömische Dekadenz". Westerwelle billigte Steuergeschenke für Hoteliers. Einige davon standen auf der Spenderliste der FDP. Das Etikett "Klientel-Partei" ist sie bis heute nicht losgeworden.
Mehr als 16 Jahre hat Westerwelle diese Partei geprägt. Er holte junge Leute in die Spitze wie Christian Lindner, Philipp Rösler oder Daniel Bahr. Smarte, unaufgeregte Politiker in einer Partei, deren Wesenszüge in den lauten Tönen Westerwelles untergingen.
Die junge Garde hat jetzt genug von den Niederlagen bei Wahlen und dem Kurs der Partei. Westerwelles Erben bringen sich jetzt in Stellung.
"Guido Westerwelle hat sich in den vergangenen 17 Jahren große Verdienste um die FDP erworben", sagte der Generalsekretär Lindner auf dem FDP-Bezirksparteitag in Köln. Wer den Code der politischen Semantik beherrscht, konnte in den Worten Lindners vor allem eines lesen: eine Abschiedsrede auf Westerwelle. Aber auch eine Bewerbungsrede? Als Lindner mit 14 Jahren bei den Jungliberalen in Nordrhein-Westfalen eintrat, nannten sie ihn dort "Bambi". Jetzt ist er gerade einmal 32 Jahre alt. Viele halten ihn für zu jung für den Posten des Parteichefs.
Philipp Rösler ist nur sechs Jahre älter. Doch er gilt jetzt als der Favorit für das vakante Amt. Am Wochenende spielte der Gesundheitsminister schon einmal vorab den neuen Chef, als er von seiner Partei nicht weniger als einen Kurswechsel forderte. "Es kommt darauf an, die verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Daran müssen wir gemeinsam zum Wohl der Partei arbeiten", sagte er "Bild am Sonntag".
Wie Lindner zählt auch Rösler zur Generation der jungen Braven in der FDP. Der niedersächsische Landesvorsitzende gilt seit Langem als heißer Anwärter auf das höchste Parteiamt. Doch bis zuletzt war er loyal zu seinem Vorsitzenden. Der Putsch ist seine Sache nicht. Zumal es Westerwelle war, der ihn nach der Wahl 2009 überraschend zum Minister machte.
Der Nachwuchs probt die Harmonie - und setzt auf eine Teamlösung an der Spitze der FDP. Die Verantwortung könnte nun auf mehrere Schultern verteilt werden. Rösler deutete an, den Vorsitz zu übernehmen. Lindner soll ihn als Generalsekretär unterstützen, Bahr könnte vom Staatssekretärsposten im Gesundheitsministerium auf eine höhere Position aufrücken.
Rösler stammt aus Vietnam und wurde dort 1973 geboren. Schon im Alter von neun Monaten kam er aus einem katholischen Waisenhaus bei Saigon nach Norddeutschland und wuchs bei seinem Adoptivvater, einem Berufssoldaten, auf. Er komme ja nicht aus Hannover, sagte Rösler einmal auf einem FDP-Neujahrsempfang. Seine Heimat sei etwas weiter südlich. "Ich komme ja aus Bückeburg." Lachen im Saal.
Sogar über die Kanzlerin machte er sich auf einem bayerischen Volksfest lustig. "Angela Merkel gibt es jetzt auch als Barbiepuppe", witzelte der studierte Mediziner und Vater von zwei kleinen Zwillingstöchtern. "Die Puppe kostet nur 20 Euro. Aber richtig teuer werden die 40 Hosenanzüge."
Seit er den Freidemokraten mit 19 Jahren beitrat, machte er in der niedersächsischen FDP Karriere, wurde Generalsekretär, später Wirtschaftsminister. Und auch im undankbaren Job des Gesundheitsministers in Berlin hat sich Rösler im Wirrwarr zwischen Kassenbeiträgen, Ärztehonoraren und Pillenzuzahlungen Respekt erarbeitet.
Rösler ist jung - und doch ein Profi. Mit 45 Jahren, hat er immer wieder gesagt, sei Schluss mit der Politik.
Wenn er es damit ernst meint, könnte Christian Lindner danach Parteivorsitzender werden. Er wäre dann gerade 39 Jahre alt.
Von Nina Paulsen und Christian Unger