Das Gericht gab der Klage von CDU und FDP zum Nachtragshaushalt statt. Norbert Röttgen forderte aber zunächst keine Neuwahlen für NRW.
Münster. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat im Verfassungsstreit um den Nachtragshaushalt für 2010 eine Niederlage erlitten. Der Verfassungsgerichtshof des Landes in Münster gab am Dienstag einer Klage der Landtagsfraktionen von CDU und FDP statt. Nach Überzeugung der Richter ist das Gesetz zum Nachtragshaushalt verfassungswidrig, weil die Kreditaufnahme die Höhe der Investitionen überschreitet. Dies sei nur bei einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes gesetzeskonform. Der Gesetzgeber habe nicht ausreichend begründet, dass die höheren Schulden zur Stabilisierung der Konjunktur notwendig seien. Im Jahr 2010 sei Deutschland wieder im Aufschwung gewesen. Außerdem trage die Erhöhung der Rücklage für die angeschlagene WestLB um 1,3 Milliarden Euro aus Krediten dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend Rechnung.
CDU und FDP hatten vor dem höchsten Gericht des Landes geklagt, weil sie den erst im Dezember vom Landtag verabschiedeten Nachtragshaushalt für verfassungswidrig halten. Rot-Grün hatte die Verschuldung von 6,6 auf 8,4 Milliarden Euro erhöht. Nachdem das Gericht bereits im Januar eine einstweilige Anordnung gegen neue Kredite erlassen hatte, senkte die Minderheitsregierung die Neuverschuldung auf 7,1 Milliarden Euro.
Nordrhein-Westfalens CDU-Chef Norbert Röttgen fordert trotz des Gerichtsentscheids gegen den Landeshaushalt noch keine Neuwahl in dem Land. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) müsse sich nun zu dem „Scherbenhaufen“ ihrer rot-grünen Minderheitsregierung bekennen und einen verfassungsgerechten Haushalt vorlegen, sagte der Bundesumweltminister am Dienstag in Berlin. „Wenn sie das nicht schafft, sind Neuwahlen unvermeidlich.“ Röttgen, der derzeit wegen der Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung stark gefordert ist, sagte auf die Frage, ob er sich derzeit überhaupt in Nordrhein-Westfalen als Wahlkämpfer engagieren könnte, er sei dort seit vier Monaten Landesvorsitzender und dies seien mit die vier erfolgreichsten Monate in der Landesgeschichte der CDU gewesen. Nun sei Krafts Regierung am Zug. „Von der Reaktion der Regierung hängt unsere Reaktion ab.“ Er warf Kraft Dilettantismus und eine Politik auf Kosten der nächsten Generationen vor.
Nach der Gerichtsentscheidung strebt die rot-grüne Minderheitsregierung keine gravierenden Veränderungen am Etat für das laufende Jahr an. Aus dem Urteil ergäben sich „nach einer ersten Einschätzung keine direkten Folgen für den Haushalt 2011“, sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).. Die Landesregierung gehe unverändert davon aus, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht auch 2011 gestört sei. Dies ist die Voraussetzung für den Gesetzgeber, um mehr neue Schulden machen zu dürfen als das Land investiert. Im Haushaltsentwurf 2011 sind Kredite in Höhe von 7,1 Milliarden Euro vorgesehen. Die Investitionen belaufen sich nur auf etwa 3,8 Milliarden Euro. Ob die SPD-Fraktion eine Auflösung des Landtags beantragen werde, falls die Opposition auch gegen den Etat 2011 klage, ließ Kraft offen. „Das werden wir in Ruhe abwarten. Wir schauen uns jetzt das Urteil an. Wir sind der Meinung, dass wir einen verfassungskonformen Haushalt vorgelegt haben.“ Im weiteren Haushaltsverfahren für 2011 werde ihre Regierung die Störungslage konkreter begründen, sagte Kraft. Das Gericht hatte beanstandet, dass der Gesetzgeber beim Nachtragsetat 2010 keine plausible Erklärung für eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geliefert und nicht nachvollziehbar dargelegt habe, warum die zusätzlichen Schulden zur Abwehr geeignet seien. In diesem Jahr sei „für jeden erkennbar“, dass die wirtschaftliche Lage sehr instabil sei, sagte Kraft. Sie begründete dies mit den unabsehbaren weltwirtschaftlichen Folgen der Katastrophe in Japan, mit der nötigen Aufstockung des Eurorettungsschirms und mit der instabilen Lage im arabischen Raum. (dpa/dapd)
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16. Dezember 2010 – Der nordrhein-westfälische Landtag beschließt mit absoluter Mehrheit den rot-grünen Nachtragshaushalt 2010. SPD, Grüne und Teile der Linken stimmen für den Etat, mit dem die Nettoneuverschuldung von 6,6 auf 8,4 Milliarden Euro erhöht wird. CDU und FDP lehnen den Nachtrag ab und kündigen eine Klage an.
17. Dezember 2010 – Die Oppositionsfraktionen CDU und FDP reichen beim NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster inoffiziell die Dokumente für ihre Klage gegen den Nachtragshaushalt ein. Per Einstweiliger Anordnung soll das Gericht die „unnötigen Schulden“ im Etat stoppen. Die Opposition klagt unter anderem wegen der Überschreitung der Kreditverfassungsgrenze. Diese besagt, dass die Schulden die Investitionen im Haushalt nicht überschreiten dürfen. CDU und FDP beklagen auch die zusätzliche 1,3 Milliarden Euro hohe Risikovorsorge für WestLB-Altlasten.
21. Dezember 2010 – CDU und FDP reichen offiziell ihre Klageschrift ein. Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) teilt mit, dass die rot-grüne Landesregierung nun bis zum 5. Januar 2011 Zeit hat, gegenüber dem Gericht eine Stellungnahme abzugeben. Den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit weist er zurück. Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung sei verantwortlich für die höheren Kredite. CDU und FDP hätten im ersten Entwurf des Etats zu wenig Mittel für Kommunen, Kitas und WestLB-Altlasten eingeplant. Auch Schwarz-Gelb habe die Kreditverfassungsgrenze überschritten.
12. Januar 2011 – Das Gericht bittet die Landesregierung, bis zur Entscheidung in der Hauptsache in spätestens drei Monaten keine neuen Schulden aufzunehmen. Um eine Antwort wird bis Anfang kommender Woche gebeten. „Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine entsprechende Kreditaufnahme erfolgt“, schreibt Gerichtspräsident Michael Bertrams. Der Brief des Gerichts trägt die Überschrift: „Eilt sehr!“ Das Finanzministerium erwidert, der Haushalt sei „ordnungsgemäß, im üblichen Verfahren, bis zum Ende des Haushaltsjahres vollzogen“.
13. Januar 2011 – NRW-Verfassungsgerichtspräsident Bertrams schreibt erneut per Eil-Botschaft an die rot-grüne Landesregierung. Er bittet „um Klarstellung, ob auf der Basis des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 bereits Kreditaufnahmen erfolgt sind“. Das Finanzministerium teilt unter anderem mit: „Die Zuführungen zu den außerhalb des Haushalts stehenden Sondervermögen (WestLB, Pensionen) mussten, wie vom Gesetzgeber verlangt, bis zum Jahresende erfolgen.“
18. Januar 2011 – Per einstweiliger Anordnung untersagt das höchste Gericht des Landes vorerst die Aufnahme weiterer Kredite. Mit dem Erlass solle „die Schaffung vollendeter Tatsachen“ verhindert werden, teilt das Gericht mit.
25. Januar 2011 – Überraschend will die rot-grüne Landesregierung die Verschuldung doch geringer halten. Aufgrund steigender Steuereinnahmen und sinkender Etatausgaben könne die Nettoneuverschuldung wieder um 1,3 Milliarden Euro auf 7,1 Milliarden Euro gesenkt werden, sagt der Finanzminister. Die CDU fordert die Entlassung des Ministers. Auch FDP und Linke kritisieren Walter-Borjans. Unmut gibt es auch bei den Grünen.
2. Februar 2011- Finanzminister Walter-Borjans wusste doch früher von der verbesserten Kassenlage als bisher bekannt. „Ich wurde am 13. Januar telefonisch über die vorläufige Haushaltsverbesserung unterrichtet“, sagt er in einer Sondersitzung des Finanzausschusses im Landtag. Eine „Verpflichtung zur unverzüglichen Unterrichtung“ des Landtags leite sich daraus nicht ab, erklärt er.
15. Februar 2011 – Der Verfassungsgerichtshof in Münster verhandelt in der Hauptsache über die Klage von CDU und FDP. Die Richter löchern die Regierung mit kritischen Fragen.
23. Februar 2011 – In Düsseldorf berät der Landtag in erster Lesung über den Haushalt 2011, der im Mai verabschiedet werden soll. Auch in diesem Etat liegt die Neuverschuldung auf dem NRW-Rekordniveau von 7,1 Milliarden Euro. In den Folgewochen drohen sich CDU und SPD mehrfach gegenseitig mit Neuwahlen.
15. März 2011 – Der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof in Münster kippt den rot-grünen Nachtragshaushalt 2010. Der Etat sei nichtig, sagt Gerichtspräsident Bertrams. Das Gericht gibt damit der Verfassungsklage von CDU und FDP statt. (dapd)