Trotz Haushaltsstopps lehnt die rot-grüne Minderheitsregierung einen Kurswechsel ab. Union und FDP halten sich relativ zurück.
Hamburg/Münster. Es ist eine Entscheidung mit politischer Sprengkraft: Das Landesverfassungsgericht Nordrhein-Westfalens in Münster hat per einstweiliger Anordnung den Nachtragshaushalt der rot-grünen Landesregierung für das Jahr 2010 gestopp t. Das ist eine schwere Schlappe für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihre rot-grüne Minderheitsregierung.
Die Opposition, die gegen den Haushalt geklagt hatte, zeigte sich erfreut angesichts der Entscheidung. "Das Landesverfassungsgericht hat die massive Verschuldungspolitik der rot-grünen Regierung untersagt. Das ist gut für Nordrhein-Westfalen", sagte FDP-Landeschef Daniel Bahr gestern in Düsseldorf. "Ich erwarte jetzt einen klaren Kurswechsel von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft", fügte er hinzu. Ähnlich wie CDU-Landeschef Norbert Röttgen forderte Bahr aber nicht ausdrücklich Neuwahlen. Auf eine entsprechende Frage antwortete Röttgen stattdessen nur: "Wir stehen bereit." Selbstverständlich aber würde er als Spitzenkandidat antreten, so der CDU-Politiker.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Barthle, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Die Entscheidung ist schon ein Schuss vor den Bug, der vielleicht zur Umkehr zwingt." Es sei von der Landesregierung "völlig verfehlt" gewesen, die Nettokreditaufnahme zu erhöhen. Die Entscheidung der Richter sei "die Quittung für die unverantwortliche Schuldenorgie" der Landesregierung, betonte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. "Die Minderheitsregierung muss jetzt ihre Hausaufgaben machen und einen verfassungskonformen Nachtragshaushalt aufstellen." Dann werde erkennbar, Kraft "dafür dann noch eine Mehrheit im Parlament organisieren kann".
Die relative Zurückhaltung bei Union und FDP könnte darin begründet sein, dass Christdemokraten und Liberale vor Gericht nur einen Teilerfolg erzielt haben. Die Richter verboten zwar eine weitere Kreditaufnahme für das vergangene Jahr sowie die Schließung der Kassenbücher. Sie lehnten aber den Antrag der Oppositionsfraktionen ab, das Haushaltsgesetz komplett auszusetzen, um es anschließend für nichtig erklären zu lassen. Stattdessen setzten die Verfassungsrichter eine mündliche Verhandlung für den 15. Februar an.
Der Verfassungsgerichtshof beabsichtigt dem Urteil zufolge, "eine verbindliche Klärung der Verfassungsrechtslage innerhalb der nächsten drei Monate herbeizuführen". Bis dahin sei die Handlungsfähigkeit der Landesregierung durch den Rückgriff auf liquide Mittel sowie eine mögliche vorläufige Rückbuchung aus aktuell nicht benötigten Rücklagen gesichert. Die Gefahr eines etatlosen Zustands sei damit ausgeschlossen, so die Richter.
Regierungschefin Kraft will zunächst abwarten, was das Urteil bringt. "Da ist ja noch gar nicht entschieden worden", sagte Kraft. "Die Aufregung ist völlig unangemessen", erklärte die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann. "Sie zeigt nur den Zustand, in dem sich die Opposition befindet." Die einstweilige Verfügung des Landesverfassungsgerichts gegen neue Kredite bedeute "überhaupt nichts, außer dass wir selbstverständlich keine Kredite aufnehmen", so Löhrmann. Auch Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) versicherte bereits, der einstweiligen Anordnung Folge zu leisten und keine weiteren Schulden auf Basis des Nachtragshaushaltsgesetzes aufzunehmen.
Die Linke, von deren Stimmen die Minderheitsregierung Krafts abhängig ist, lehnt Neuwahlen ebenfalls ab. Die Festlegungen des Gerichts seien "völlig unschädlich" für die rot-grüne Minderheitsregierung, sagte Linke-Fraktionschef Wolfgang Zimmermann dem "Tagesspiegel". Auch der Entscheidung im Hauptverfahren sehe seine Partei gelassen entgegen. Zwar sei es vorläufig ausgeschlossen, zusätzliche Kredite auszuschließen, Löcher aber aus vorhandenen Mitteln zu stopfen bleibe ausdrücklich erlaubt. "Neuwahlen aus diesem Anlass würden beim Bürger nicht gut ankommen", sagte der Linke-Politiker. Sie seien teuer, die Wahlbeteiligung würde noch einmal sinken.
Der Düsseldorfer Landtag hatte im Dezember mit den Stimmen von SPD und Grünen sowie einiger Abgeordneter der Linken zusätzliche Kredite in Höhe von 1,8 Milliarden Euro genehmigt. Damit stieg die Neuverschuldung auf den Rekordwert von 8,4 Milliarden Euro. Finanzminister Walter-Borjans wollte daraus 1,3 Milliarden Euro für die angeschlagene WestLB zurücklegen. Nach Berechnungen von CDU und FDP würden allein die Zinsen für diese Kredite pro Jahr rund 73 Millionen Euro jährlich verschlingen.