SPD-Chef Sigmar Gabriel über die Schwachpunkte der Grünen, die Stärken von Olaf Scholz und die Chancen rot-gelber Koalitionen.
Berlin. Nach der Pleite bei der Bundestagswahl 2009 und dem Überraschungserfolg im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen wird das Super-Wahljahr 2011 zeigen, in welchem Zustand sich die SPD wirklich befindet. Dem Parteivorsitzenden kommt die Bürgerschaftswahl da gerade recht: Hamburg könnte zu einem seltenen Erfolgserlebnis für die Sozialdemokraten in diesem Jahr werden.
Hamburger Abendblatt:
Herr Gabriel, in Hamburg kommt die SPD in Umfragen auf 43 Prozent, im Bund nur auf 24 Prozent. Können Sie uns das erklären?
Sigmar Gabriel:
Mal abgesehen davon, dass wir bei der letzten Umfrage der ARD bei 28 Prozent bundesweit liegen, ist die SPD im Norden traditionell stärker als im Süden. Dass wir in Hamburg vor einem Regierungswechsel stehen, hat natürlich auch mit der Unzufriedenheit mit der Regierung aus CDU und Grünen zu tun. Vor allem aber macht Olaf Scholz einen exzellenten Job. Er hat die SPD wieder zur Hamburg-Partei gemacht. Scholz steht für pragmatisches, gutes Regieren. Wie gut er regiert, hat er als Bundesarbeitsminister in der Wirtschaftskrise bewiesen.
Was ändert sich in Hamburg, falls Scholz die Wahl gewinnt?
Gabriel:
Die Hamburger werden eine stabile Regierung bekommen und keine, die den Menschen Dinge verspricht, die man nicht halten kann. Ich erinnere mich noch an das Wahlversprechen der Grünen: Niemals wird es mit uns Grünen das Kohlekraftwerk Moorburg geben. Jetzt wird es gebaut. Solche Versprechungen hat es von CDU und Grünen viele gegeben. Am Ende gab's wenige Ergebnisse, aber viel Streit.
Und was ändert sich in Berlin? Immerhin verlässt dann ein prominenter Fraktionsvize die Bundespolitik.
Gabriel:
Olaf Scholz ist schon heute einer der wichtigsten Vertreter der SPD auf Bundesebene, und natürlich wird seine Bedeutung noch wachsen, wenn er Erster Bürgermeister ist. Viel wichtiger aber ist, dass Hamburg damit wieder eine starke Stimme in Deutschland bekommt.
Sollte die SPD am 20. Februar stärkste Kraft werden, mit wem soll sie regieren?
Gabriel:
Olaf Scholz hat ja bereits gesagt, dass er mit den Grünen regieren will, wenn er einen Partner braucht.
Die Grünen müssten sich dann aber weiter auf Moorburg und die Elbvertiefung einlassen.
Gabriel:
Moorburg ist entschieden. Die Elbvertiefung muss kommen. Der Hafen ist das wirtschaftliche Zentrum der Stadt. Dass dabei Deichsicherheit und Umweltschutz gewährleistet werden müssen, steht außer Frage.
FDP-Chef Westerwelle hält ein sozialliberales Bündnis für denkbar. Sie auch?
Gabriel:
Die Not bei Herrn Westerwelle muss groß sein. Natürlich sind sozialliberale Bündnisse grundsätzlich denkbar. Aber wohl nicht in Hamburg, denn da wird diese zerstrittene und inhaltlich außerordentlich schwache FDP kaum ins Parlament kommen. Herr Westerwelle hofft offenbar, sich selbst und die schwache Hamburger FDP mit solchen Spekulationen zu stabilisieren. Aber das wird nicht gelingen.
Die FDP bietet sich auch in Nordrhein-Westfalen als Partner an, nachdem das Verfassungsgericht den Schuldenhaushalt der rot-grünen Minderheitsregierung gestoppt hat. Braucht Ministerpräsidentin Kraft jetzt eine stabile Mehrheit?
Gabriel:
Die von Hannelore Kraft geführte Regierung hat ja ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Das Verfassungsgericht hat auf ein Problem reagiert, dass ihr CDU-Vorgänger Jürgen Rüttgers Frau Kraft hinterlassen hat: Die mangelnde Absicherung der Bad Bank der WestLB. Nur darum geht es.
Haben Sie etwas gegen einen Wechsel zu einer Ampelkoalition?
Gabriel:
Das haben SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen zu entscheiden. Aber es ist ja schon ein bisschen putzig, dass jetzt ausgerechnet der FDP-Fraktionschef Papke in die NRW-Landesregierung will. Er war es doch, der das Angebot von SPD und Grünen auf eine gemeinsame Regierung mit der FDP vor einem Dreivierteljahr brüsk abgewiesen hat. Das zeigt: Ideologische und parteipolitische Scheingefechte helfen nicht, sondern nur das gemeinsame Handeln im Interesse des Landes.
Wann wären Neuwahlen die beste Lösung?
Gabriel:
CDU, FDP und Linkspartei in Düsseldorf scheuen Neuwahlen wie der Teufel das Weihwasser. Herr Röttgen hat keine Lust, die CDU-Opposition anzuführen, und FDP wie Linke fürchten völlig zu Recht, dass sie aus dem Landtag fliegen und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Hannelore Kraft hat bisher sehr erfolgreich alle Parteien eingeladen, nach gemeinsamen Mehrheiten zu suchen. Das wird sie auch in Zukunft tun. Und genau das wollen die Bürgerinnen und Bürger doch auch. Die politischen Parteien sollen sich um das Gemeinwohl kümmern.
Nach den Kommunismus-Äußerungen von Gesine Lötzsch haben Sie ein Bündnis mit der Linkspartei auf Bundesebene ausgeschlossen. Warum ist Rot-Rot in den Ländern erlaubt?
Gabriel:
Grundsätzlich besteht Die Linke aus zwei Parteien: einer pragmatischen und einer, die ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie und zu Menschenrechten hat. Solange die Linkspartei in diesem Spagat steht, wird sie sich nicht weiterentwickeln. Was die Bundespolitik angeht, ist Die Linke gegenwärtig politikunfähig. In den Ländern ist die Situation aber eine andere.
Und zwar?
Gabriel:
Im Osten gibt es bei der Linkspartei viele vernünftige Leute, die ganz pragmatisch Politik machen. In Berlin und Brandenburg gibt es ja stabile und erfolgreiche Koalitionen. Klar ist aber: Wer demokratische Politik als demokratischer Sozialist machen will, ist bei der SPD besser aufgehoben als in einer Partei, die versucht den Kommunismus wieder zu beleben.
Das Gedankengut bei der Linkspartei ist doch in den Landesverbänden nicht anders als auf Bundesebene.
Gabriel:
Das stimmt nicht. Gerade aus den ostdeutschen Landesverbänden hat Frau Lötzsch für ihre wirklich unsäglichen Äußerungen am meisten Kritik erhalten.
Die CDU schaltet eine Internetseite über die Grünen, die CSU befasst sich in einem Video mit der Partei. Neidisch?
Gabriel:
Ganz im Gegenteil: Damit ist klar, dass alle schwarz-grünen Spielereien vorbei sind. Es hilft den Wählern in der politischen Meinungsbildung, dass die Union diese Trennlinie wieder zieht.
Was machen die Grünen besser als die SPD?
Gabriel:
Nichts, sie machen vieles allerdings anders. Der programmatische Unterschied zwischen SPD und Grünen ist, dass wir Sozialdemokraten den gesellschaftlichen Fortschritt nicht auf ökologischen Fortschritt reduzieren. Man kann nicht so tun, als ob ökologisch saubere Autos ohne eine starke Automobilindustrie zu entwickeln wären. Man wird keine bezahlbare Häuserdämmung gegen Energieverluste erreichen ohne eine chemische Industrie, die die Dämmstoffe dafür herstellt. Und es wird keine wirtschaftliche Windenergie geben ohne Maschinenbau, Stahl und Elektrotechnik. Die Aufteilung in gute und schlechte Industrien ist nicht nur falsch, sondern für unsere Wirtschaft auch gefährlich.
Sie wollen den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent anheben, wenn Sie regieren. Mit Verlaub: Das hat auch Abschreckungspotenzial.
Gabriel:
Ganz im Gegenteil: Gerade diese Forderung der SPD hat in allen Umfragen eine sehr große Mehrheit, weil es doch auf der Hand liegt, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache. Wir wollen den Staat in die Lage versetzen, in Bildung zu investieren und die Kommunen vernünftig auszustatten. Wir haben im europäischen Durchschnitt eher moderate Steuern - aber sehr hohe Sozialabgaben. Da müssen wir vor allem für die kleinen und mittleren Einkommen für Entlastung sorgen. Übrigens war der Spitzensteuersatz unter Helmut Kohl sogar bei 53 Prozent.
In den Verhandlungen mit der Koalition über die Hartz-IV-Reform regiert die SPD derzeit de facto mit. Können Sie sich ein Scheitern der Verhandlungen überhaupt leisten?
Gabriel:
Wir regieren nicht mit. Das Problem ist: Die Bundesregierung ist da, wo sie schon im Frühsommer war. Sie streitet, statt zu regieren - und mit Peter Müller verlässt ein weiterer CDU-Ministerpräsident die Politik. Wir versuchen bei Hartz IV, einen schlechten Entwurf zu verbessern. Und dabei geht es nicht in erster Linie um die Höhe der Regelsätze, sondern darum, nicht noch mehr Geld für Miniförderungen auszugeben, sondern das Geld in die Ganztagsschulen und Kindergärten zu stecken. Damit helfen wir auch den Kindern von Hartz-IV-Empfängern mehr als mit zehn Euro pro Monat für Reit- und Geigenunterricht, wie Frau von der Leyen meint. Wir nehmen die Verantwortung, die wir über den Bundesrat haben, sehr ernst.
Die SPD könnte sich auch bewegen und von ihrer Maximalforderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn abrücken.
Gabriel:
Der Mindestlohn würde nicht nur Arbeitnehmer schützen, sondern auch die vielen fairen Unternehmen in Deutschland, die anständige Löhne zahlen und ab dem 1. Mai 2011 von einer großen Billigkonkurrenz aus Osteuropa bedroht werden. Im Hamburger Hafen weiß man, wie schlimm das werden kann. Die Bundesregierung muss erst mal klären, was sie selbst will, und dann mit einem Angebot kommen. Unsere Angebote liegen alle auf dem Tisch: gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei der Leiharbeit sowie Investitionen in Ganztagsschulen.
Allein die Schulsozialarbeiter würden zwei Milliarden Euro kosten.
Gabriel:
Wir haben einen realistischen Stufenplan vorgelegt. Es ist doch skandalös, dass wir sofort mehrere Milliarden auf den Tisch legen, um Spitzenforschung an Universitäten zu finanzieren, aber keine zwei Milliarden Euro haben, um Sozialarbeiter an die Schulen zu bringen.