Vizekanzler Westerwelle spricht im Interview über die Hamburg-Wahl, den Zustand seiner Partei und seine eigene politische Zukunft.
Hamburg/Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle lässt den Hamburger Liberalen freie Hand, nach einem Einzug in die Bürgerschaft eine Koalition mit der SPD einzugehen. "Die FDP muss zum Schlüsselfaktor bei der nächsten Regierungsbildung werden", sagte Westerwelle im Abendblatt-Interview. "Ob Schwarz-Grün oder Rot-Grün - das ist die gleiche Staatsgläubigkeit und Bürgerentmündigung."
Auf die Frage nach einer sozialliberalen Koalition in der Hansestadt antwortete Westerwelle: "Das entscheiden die Hamburger Liberalen." Die FDP-Spitzenkandidatin für die Wahl am 20. Februar, Katja Suding, habe es "sehr gut auf den Punkt gebracht". Hamburg brauche "Gelb statt GAL". Westerwelle sprach von einer "Richtungsentscheidung": "Es geht darum, ob in Hamburg eine linke Mehrheit das Sagen bekommt - oder ob das mit der FDP verhindert wird." Bei vorangegangenen Wahlen auf Bundes- und Landesebene hatte sich Westerwelle strikt gegen Bündnisse mit den Sozialdemokraten gewandt. In Umfragen liegt die FDP derzeit knapp unter der Fünf-Prozent-Marke.
Westerwelle reagierte mit Unverständnis auf die Debatte über einen möglichen Wechsel an der Spitze der Liberalen: "Jahrelang kriegt man als Parteivorsitzender vorgehalten, die FDP sei zu sehr auf eine Person konzentriert. Jetzt zeigen wir eine Fülle von Talenten, und sofort wird eine eifersüchtige Konkurrenz konstruiert."
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Westerwelle: "FDP muss zum Schlüsselfaktor werden"
Die Hamburg-Wahl am 20. Februar markiert den Auftakt zum Superwahljahr 2011. Allein vier Landtagswahlen finden bis zum FDP-Bundesparteitag im Mai statt, der darüber entscheiden kann, ob Guido Westerwelle Parteivorsitzender bleibt. Im Abendblatt-Interview wirkt Westerwelle nachdenklicher als sonst.
Hamburger Abendblatt: Herr Westerwelle, das Dreikönigstreffen ist vorbei - und die FDP bleibt in den Umfragen unter fünf Prozent. Wird Ihnen langsam mulmig?
Guido Westerwelle: Wir wollen keine Umfragen gewinnen, wir wollen Wahlen gewinnen. Alles ist im Fluss.
In wenigen Wochen sind Wahlen.
Westerwelle: Umfragen sind Momentaufnahmen. Die Stimmung wendet sich, weil die liberalen Erfolge sichtbarer werden und die Alternative, nämlich linke Mehrheiten, nicht überzeugt.
Parteifreunde vermissen Selbstkritik. Wenn Sie etwas nachholen wollen - an dieser Stelle haben Sie dazu Gelegenheit ...
Westerwelle:Ich habe bereits im letzten Jahr bedauert, dass der Start der Regierungskoalition alles andere als optimal war. Zu Beginn eines neuen Jahres schaut man aber nach vorne. Parteien sollten sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern mit den Problemen der Bürger. Dreikönig war ein guter Start.
Welche Bedeutung hat die Bürgerschaftswahl in Hamburg?
Westerwelle: Das ist eine Richtungsentscheidung für die Hansestadt. Es geht darum, ob in Hamburg eine linke Mehrheit das Sagen bekommt - oder ob das mit der FDP verhindert wird. Die Stimme für die FDP entscheidet. Nach der Bruchlandung der Grünen beispielsweise in der Bildungspolitik ist das auch von der Sache her geboten. Ich freue mich sehr, dass die Hamburger FDP mit Katja Suding eine außerordentlich kompetente, frische Kraft an der Spitze hat. Sie wird mit ihrem sympathischen Wesen viel Schwung in die Hamburger Politik bringen. Da kommt was in Bewegung.
Würden Sie wetten, dass der FDP nach sechs Jahren wieder der Einzug in die Bürgerschaft gelingt?
Westerwelle: Ich wette prinzipiell nicht. Das hat mit meiner Großmutter zu tun. Sie hat mir als kleinem Jungen gesagt: Wer Lust hat zu wetten, hat Lust zu betuppen.
Nehmen wir mal an, Sie gewinnen. Können Sie sich vorstellen, mit Olaf Scholz zu koalieren?
Westerwelle: Das entscheiden die Hamburger Liberalen. Katja Suding hat es sehr gut auf den Punkt gebracht: Hamburg braucht Gelb statt GAL. Die FDP muss zum Schlüsselfaktor bei der nächsten Regierungsbildung werden. Ob Schwarz-Grün oder Rot-Grün - das ist die gleiche Staatsgläubigkeit und Bürgerentmündigung. Das hat man bei dem Versuch gesehen, die Einheitsschule einzuführen. Und die FDP hat sich in Hamburg als einzige Partei dagegen zur Wehr gesetzt. Zum Glück mit Erfolg.
Woran würden die Menschen in Hamburg merken, dass die Liberalen mitregieren?
Westerwelle: In erster Linie an einer zupackenden Wirtschaftspolitik, die sich auch, aber nicht nur um den Hafen kümmert, sondern um den breiten Mittelstand der Stadt. Da entstehen die Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
In Ihrem Weihnachtsgruß an die Parteimitglieder haben Sie geschrieben, 2011 werde für die FDP zu einem Jahr der Bewährung. Gilt das in besonderer Weise für den Vorsitzenden?
Westerwelle: Für den Parteivorsitzenden ist jedes Jahr ein Jahr der politischen Bewährung. Ein Parteivorsitzender kann und darf nicht hinter anderen in Deckung gehen - weder bei Sonne noch bei Regen, noch im Sturm.
Ihre Kabinettskollegin und Parteifreundin Leutheusser-Schnarrenberger hat im Abendblatt-Interview über Sie gesagt: "Wir sollten ihn ganz persönlich entscheiden lassen, ob er noch einmal als Vorsitzender antritt." Wie offen ist diese Frage?
Westerwelle: Ich habe Freude an meiner Arbeit für die einzige liberale Partei in Deutschland. Wer künftig in welcher Position zum Führungsteam der FDP gehören wird, das soll im April, also vier Wochen vor dem Bundesparteitag, zunächst mit den Landesvorsitzenden besprochen werden. Es ist eine Frage des innerparteilichen Respekts, solche Entscheidungen zuerst in den Gremien vorzubereiten - und nicht im Gespräch mit dem von mir sehr geschätzten Hamburger Abendblatt.
Wie müssen die vier Landtagswahlen bis zum Parteitag im Mai ausgehen, damit Sie FDP-Vorsitzender bleiben?
Westerwelle: Nun stellen Sie die Frage von einer anderen Ecke. Die Antwort bleibt trotzdem dieselbe. Im Übrigen erlaube ich mir den freundschaftlichen Rat im Interesse der Leserschaft: Beschäftigen wir uns lieber mit den Problemen der Bürger als mit Parteiinterna.
Unsere Leser interessieren sich auch für den Zustand der FDP.
Westerwelle: Unser Auftrag ist, die Probleme der Bürger zu lösen. Bei allem, was man an der Regierung kritisieren mag - Deutschland geht es heute besser als vor dem Regierungswechsel. Das hat auch etwas mit den Rahmenbedingungen zugunsten von Mittelstand und Mittelschicht zu tun, die die FDP in der Regierung gesetzt hat.
Ihre Parteifreunde machen sich Gedanken über die Führungsreserve der FDP. Entwicklungsminister Niebel rät dazu, den Jüngeren in der Partei noch etwas Zeit zu geben, "um ihre Fähigkeiten zu veredeln". Gefällt Ihnen die Formulierung?
Westerwelle: Das ist Ihr dritter charmanter Versuch, mit mir eine Personaldebatte zu führen. Noch einmal: Unsere Mannschaftsaufstellung besprechen wir am 11. April. Und im Mai entscheidet der Parteitag. Aber ich will Ihnen doch etwas zu den Jungen sagen: Ich war jahrelang das einzige Vorstandsmitglied der FDP unter 40. Das ist heute anders. Es ist doch ein großer Erfolg, dass wir in der Führung nicht nur aus erfahrenen Persönlichkeiten bestehen wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Rainer Brüderle. Es kommen sehr viele junge Persönlichkeiten dazu - neben Christian Lindner, Daniel Bahr und Philipp Rösler sind das auch junge Frauen wie Silvana Koch-Mehrin und Katja Suding.
Generalsekretär Lindner arbeitet an einem neuen Grundsatzprogramm. Lassen Sie ihm da freie Hand?
Westerwelle: Es ist richtig, dass unser erfolgreicher Generalsekretär mit den frischen Ideen seiner Generation diesen Prozess intellektuell prägt. Jahrelang kriegt man als Parteivorsitzender vorgehalten, die FDP sei zu sehr auf eine Person konzentriert. Jetzt zeigen wir eine Fülle von Talenten, und sofort wird eine eifersüchtige Konkurrenz konstruiert.
Eifersüchtig?
Westerwelle: Ich freue mich als Parteivorsitzender einfach darüber, dass die FDP ein Team mit erfahrenen und einer großen Anzahl von jungen, erfolgreichen und hochbegabten Persönlichkeiten ist. Ob Christian Lindner oder Katja Suding, ob Philipp Rösler, Silvana Koch-Mehrin oder Daniel Bahr - das ist die Generation, von der wir noch viele Jahre hören werden. Ich freue mich von Herzen darüber. Andere Parteien wären doch froh, wenn sie nur die Hälfte dieser jungen Talente vorweisen könnten.
Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Bahr sagt: "Wir kommen häufig zu rational, zu kalt rüber." Nehmen Sie sich vor, mehr Gefühl zu zeigen?
Westerwelle: Daniel Bahr hat recht, wenn er sagt, dass der Liberalismus mehr sein muss als ein vernünftiges politisches Konzept. Für mich ist Liberalismus immer auch ein Lebensgefühl der Leistungsbereitschaft, Weltoffenheit und Toleranz. Ich habe das Andersdenken und das Anderssein immer als Erweiterung des eigenen Horizonts verstanden.
Das überraschende Ergebnis bei der Bundestagswahl holte die FDP auch mit dem Versprechen, die Steuern massiv zu senken. Die Wirtschaft boomt. Wie lange müssen die Bürger noch auf Entlastung warten?
Westerwelle: Die Steuerentlastungen sind bereits zu einem erheblichen Teil in Kraft gesetzt worden, auch wenn das von der Opposition kleingenörgelt wird. Alle 56 Einkommensgruppen haben heute mehr auf dem Lohnzettel als vor dem Regierungswechsel. Ich weiß: Das ist noch nicht genug. Aber alle anderen Parteien wollen oder würden die Steuern massiv erhöhen! Die FDP bietet das Kontrastprogramm zur Staatsgläubigkeit, zur Gängelung und grassierenden Umverteilerei.
Welche Entlastungen setzen Sie noch durch in dieser Wahlperiode?
Westerwelle: Unsere Aufgabe bleibt: Konsolidierung der Staatsfinanzen, und sobald sich Spielräume ergeben, werden wir zuerst die Mittelschicht weiter entlasten. Jetzt geht es aktuell um das Kapitel der Steuervereinfachungen. Was jetzt schon technisch möglich ist, muss in diesem Jahr umgesetzt werden - und nicht erst 2012. Die Beschlüsse der Koalition - zum Beispiel die Steuererklärung, die nur noch alle zwei Jahre abgegeben werden muss - sind erste Schritte in die richtige Richtung.
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Schavan hat Sie daran erinnert, dass Politik mehr ist als Steuerpolitik. Welche Schwerpunkte wollen die Liberalen in diesem Jahr setzen?
Westerwelle: Wir vertreten einen Politikentwurf: Freiheit statt immer mehr Entmündigung der Bürger. Leistung muss sich lohnen. Das ist mehr als Steuerpolitik. Da geht es zum Beispiel auch um die Treffsicherheit des Sozialstaats. Wir wollen Hilfe für die Bedürftigen, nicht für die Findigen.
Auf welchen Feldern ist es besonders wichtig, dass die FDP sich in der Koalition durchsetzt?
Westerwelle: Ein entscheidendes Thema ist die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Das zeigt sich auch bei der Vorratsdatenspeicherung. Es ist eine Illusion zu glauben, je mehr Informationen man sammelt, desto sicherer würde das Land. Wir sollten nicht ohne Anlass die Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürger speichern. Wir dürfen nicht jeden unter Generalverdacht stellen. Wer zu viele Daten sammelt, übersieht das Wichtige. Ich bin für Sicherheit, nicht für Scheinsicherheit.
Fühlen Sie sich in dieser schwierigen Phase von der Kanzlerin unterstützt?
Westerwelle: Wir Liberale gehen beharrlich und unbeirrt unseren Weg. Ich habe nicht erwartet, dass das erste Regierungsjahr mit der Union nach elf Jahren Opposition ein Zuckerschlecken würde. Wir sind für unseren eigenen Erfolg zuständig, und der wird endlich sichtbarer.