Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) über Schachspielen im Landtag, seine Zukunftspläne, die Perspektiven von Schwarz-Grün und die Hartz-IV-Reform der Bundesregierung
Hamburg. Peter Müller könnte in diesem Jahr einen ähnlichen Weg nehmen wie Ole von Beust im vergangenen - und sich aus der Politik zurückziehen. Spekulationen, er strebe einen Wechsel zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe an, dementiert der Ministerpräsident und Jurist ausdrücklich nicht. Im Abendblatt-Interview macht er deutlich, dass die Jamaika-Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und Grünen im Saarland auch ohne ihn funktionieren würde. Lustlosigkeit will er sich allerdings nicht nachsagen lassen.
Hamburger Abendblatt:
Wie einsam fühlen Sie sich, Herr Müller?
Peter Müller:
Überhaupt nicht, warum?
Seit dem Ende der Koalition in Hamburg sind Sie der einzige CDU-Ministerpräsident, der mit den Grünen regiert ...
Müller:
Unsere Jamaika-Koalition ist intakt, die Zusammenarbeit zwischen CDU, Grünen und FDP funktioniert reibungslos. Was in Hamburg passiert ist, wirkt sich auf das Saarland nicht aus.
Woran ist Schwarz-Grün in Hamburg zerbrochen?
Müller:
Ich will nicht von außen den Besserwisser spielen. Es ist bedauerlich, dass die Grünen ausgestiegen sind. Jetzt gilt es, nach vorne zu blicken. Die Bürgerschaftswahl ist noch nicht entschieden. Ein gutes Ergebnis der CDU ist wichtig für Hamburg.
Hat Ole von Beust verantwortungsvoll gehandelt, als er sich aus der Politik zurückgezogen hat?
Müller:
Ole von Beust hat einen erheblichen Teil seines Lebens in den Dienst seines Landes und in den Dienst der CDU gestellt. Ich halte es für normal und legitim, wenn jemand irgendwann sagt: Ich will in meinem Leben auch noch andere Herausforderungen bestehen.
Wie sehr hängen gerade ungewöhnliche Koalitionen an der Persönlichkeit des Regierungschefs?
Müller:
Koalitionen hängen immer an den handelnden Personen und in besonderer Weise am Regierungschef. Christoph Ahlhaus war sehr um die Stabilität der Koalition bemüht. An ihm ist Schwarz-Grün in Hamburg nicht gescheitert.
Hätte Jamaika im Saarland ohne Peter Müller eine Chance?
Müller:
Peter Müller hat entscheidend zum Zustandekommen und zur Stabilisierung dieser Koalition beigetragen. Auf der anderen Seite halte ich es mit Papst Johannes XXIII., der gesagt hat: Giovanni, nimm dich nicht so wichtig. Dieses Prinzip hätte in der Politik durchaus stärkere Verbreitung verdient.
Wenn Jamaika auch ohne Sie funktioniert, steht einem Wechsel ans Bundesverfassungsgericht ja nichts mehr entgegen ...
Müller:
In dieser Sache gibt es gegenwärtig keinen Entscheidungsbedarf, und deshalb gibt es auch keinen Stellungnahmebedarf.
Seit Sie im saarländischen Landtag beim Schachspielen auf dem i-Pad fotografiert wurden, gelten Sie als amtsmüde - oder zumindest als gelangweilt. Ein falscher Eindruck?
Müller:
Ich war keine Sekunde amtsmüde. Ich bin fähig zum Multitasking. Wer den Ablauf von Parlamentsdebatten kennt, weiß, dass man an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich gefordert ist.
Ein nahtloser Übergang vom Ministerpräsidenten zum Verfassungsrichter - ginge das überhaupt?
Müller:
Ihr Versuch, eine Aussage zu einer Sache zu bekommen, zu der es nichts zu sagen gibt, ist ebenso legitim wie aussichtslos.
Welche Zukunft hat Schwarz-Grün in Deutschland?
Müller:
Im Bund ist eine schwarz-grüne Perspektive im Moment nicht erkennbar. Die Koalition in Hamburg ist gerade gescheitert. Gleichwohl ist die Frage einer Zusammenarbeit von CDU und Grünen nicht generell vom Tisch. Es muss immer wieder neu ausgelotet werden, ob es ein ausreichendes Maß an inhaltlicher Übereinstimmung gibt und was die Grundlage einer befristeten Zusammenarbeit in einer Koalition sein kann - egal auf welcher staatlichen Ebene.
Wo sehen Sie Übereinstimmung?
Müller:
Es gibt eine ganze Reihe von grundsätzlichen Auffassungen, die zwischen CDU und Grünen unstrittig sind. Ich denke da an die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen oder die soziale Marktwirtschaft. Und auch beim Schutz des Lebens - Stichwort Präimplantationsdiagnostik - gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Politikern beider Parteien.
Ein Hirngespinst ist Schwarz-Grün also nicht.
Müller:
Sie spielen auf die Äußerung der Parteivorsitzenden beim Bundesparteitag an. Die muss man im politischen Kontext sehen. Im Augenblick ist Schwarz-Grün im Bund unrealistisch. Aber ich sehe kein Thema, das eine Zusammenarbeit für alle Zeiten ausschließen würde.
Eine Frage an den Einserjuristen Müller: Hätten Sie das Hartz-IV-Urteil des Verfassungsgerichts auch so gefällt?
Müller:
Ich antworte als Politiker. Und Politiker sind gut beraten, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Bei Hartz IV sind wir im Verzug. Deshalb wäre es gut, wenn der Vermittlungsausschuss schnell zu Ergebnissen käme.
Fünf Euro mehr für Langzeitarbeitslose - ist die Reform der Arbeitsministerin gerecht?
Müller:
Die Regierung hat die Forderung des Gerichts, den Umfang der Leistungen nachvollziehbar zu berechnen, meines Erachtens erfüllt. Ich halte die neuen Regelsätze für richtig. Der Vermittlungsausschuss sollte sehr stringent daran festhalten, nicht zuletzt weil jede weitere Erhöhung mittelbar auch auf die Kommunen durchschlagen würde.
Wie sieht ein guter Kompromiss aus?
Müller:
Ein Vermittlungsausschuss erfordert die Bereitschaft, sich zu bewegen. Die Regierungskoalition könnte sich auf drei Feldern bewegen. Erstens: Das Bildungspaket sollte nicht nur den Kindern von Hartz-IV-Empfängern, sondern auch von anderen einkommensschwachen Eltern zur Verfügung gestellt werden. Ich denke dabei an Wohngeldempfänger. Zweitens sollte der Bund dazu beitragen, dass mehr Sozialarbeit an den Schulen stattfinden kann ...
... für drei Milliarden Euro, wie die SPD fordert?
Müller:
Der Umfang müsste deutlich geringer sein. Drittens bin ich dafür, dass außerhalb des Vermittlungsverfahrens über die Entlohnung der Zeitarbeit gesprochen wird. Nach der Öffnung des europäischen Arbeitsmarkts im Mai droht verschärftes Lohndumping. Dieser Gefahr sollten wir mit einer Mindestlohnregelung in der Zeitarbeit begegnen. Außerdem bin ich für das Prinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Zeitarbeiter und Festangestellte sollten - nach einer Einarbeitungsphase - auf gleiche Weise bezahlt werden. Eine solche Regelung müsste den Oppositionsparteien die Zustimmung zur Hartz-IV-Reform ermöglichen.
Herr Ministerpräsident, in welcher Verfassung ist die schwarz-gelbe Koalition zu Beginn des Superwahljahrs 2011?
Müller:
Wir haben eine gute Chance, dass die Stimmung im Lauf des Jahres deutlich besser wird.
Und zwar wie?
Müller:
Wir müssen den Weg der Reformen fortsetzen. Bei der Steuervereinfachung sollten wir uns an dem Leitgedanken orientieren: Alles, was in diesem Jahr verwaltungstechnisch noch umsetzbar ist, sollte nicht auf das nächste Jahr verschoben werden. Dazu scheint mir auch die erhöhte Arbeitnehmerpauschale zu gehören.
Finanzminister Schäuble bremst.
Müller:
Für Verzögerungen gibt es keinen Grund. Ich glaube nicht, dass der Finanzminister dies anders sieht.
Die CSU-Klausur in Wildbad Kreuth und das Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart galten als wichtige Weichenstellungen. Sind die Parteivorsitzenden Seehofer und Westerwelle gestärkt daraus hervorgegangen?
Müller:
Meine Wahrnehmung ist, dass die Vorsitzenden von CSU und FDP nicht infrage stehen. Bei der CSU habe ich überhaupt keinen Zweifel, dass sie Horst Seehofer mit großer Geschlossenheit trägt. Und die FDP täte sich einen Gefallen, es bei ihrem Vorsitzenden in gleicher Weise zu tun.
Sie scheinen da Ihre Zweifel zu haben.
Müller:
Wir haben in den vergangenen Wochen einiges an Turbulenzen erleben müssen. Ich hoffe, das ist vorbei.