Wirtschaftsminister rechnet mit starkem Wachstum und verspricht höhere Löhne
Hamburg. Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für 2010 auf 3,4 Prozent nach oben geschraubt. Das gab Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gestern in Berlin bekannt. Bislang war die Koalition davon ausgegangen, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 1,4 Prozent zulegt. Für 2011 rechnet die Regierung mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von 1,8 Prozent nach zuvor 1,6 Prozent. Brüderle sagte, er erwarte nun, dass die Löhne steigen werden. Auch Steuerentlastungen wollte er nicht mehr ausschließen.
Brüderle sagte zu den Wachstumszahlen: "Das ist ein XL-Aufschwung geworden." Dieser Aufschwung stehe inzwischen solide auf zwei Beinen. Nach wichtigen Impulsen aus dem Außenhandel habe auch die Binnenkonjunktur Fahrt aufgenommen. Nötig sei nun eine "konsequente und verlässliche Ordnungspolitik". Dazu gehöre, dass sich der Staat "geordnet aus Banken, Unternehmen und Konjunkturprogrammen zurückzieht".
Die Zahl der Arbeitslosen dürfte nach Schätzung der Regierung in diesem Jahr um 190 000 auf 3,2 Millionen und im kommenden Jahr um weitere 290 000 auf jahresdurchschnittlich 2,9 Millionen sinken. Der Minister warnte zugleich davor, dass die Wirtschaft inzwischen vor einem Fachkräftemangel stehe. Bessere Qualifizierung und Ausbildung der Menschen hierzulande reichten nicht aus. Es sei daher nötig, qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland zu bekommen.
Der Wirtschaftsminister setzte für die anstehenden Tarifrunden erneut die Arbeitgeber unter Druck. Zwar entschieden die Tarifpartner über Lohnerhöhungen, aber es gelte die Regel: "Leistung muss sich lohnen." Dies dürfe sich in guten Zeiten auch in den Tarifabschlüssen niederschlagen, betonte Brüderle. Ohne Ergebnisse der Verhandlungen vorwegzunehmen, wage er daher die Prognose: "Es wird für die Arbeitnehmer erfreuliche Tarifrunden geben." Trotz höherer Steuereinnahmen durch den kräftigen Aufschwung will Brüderle keine Abstriche am Sparpaket machen. "Die Sparpolitik wird fortgesetzt", sagte der Minister. Zugleich sprach er sich für Steuersenkungen aus, mit denen vor allem die Mittelschicht entlastet werden soll. "Ich gehe davon aus, dass wir noch in dieser Legislaturperiode dazu Beschlüsse fassen", sagte der Minister. Die Steuerentlastung bleibe auf der Agenda, sie verschiebe sich nur "auf der Zeitachse".
Der Ökonom Michael Bräuninger vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) sprach sich dagegen für eine gemäßigte Tarifpolitik und für eine strikte Beibehaltung des Sparkurses aus. Dem Hamburger Abendblatt sagte Bräuninger: "Auch wenn wir vom HWWI bei der Wachstumsprognose noch optimistischer sind als die Bundesregierung, muss der Konsolidierungsprozess fortgeführt werden." Das erzwinge schon die Schuldenbremse im Grundgesetz. Es sei zwar normal, dass es bei einem besseren Arbeitsmarkt zu höheren Löhnen komme, sagte Bräuninger. "Wir haben aber noch eine hohe Unterbeschäftigung, die höher ist als die aktuell drei Millionen Arbeitslosen." Denn viele Menschen befänden sich noch in Kurzarbeit, in Weiterbildungsmaßnahmen oder in Ein-Euro-Jobs. "Deswegen gilt es, jetzt eine Tarifpolitik mit Augenmaß zu machen."
Bedroht werden könnte die Konjunktur allerdings nach Ansicht Bräuningers noch von der wirtschaftlichen Schwäche der USA und den Strukturproblemen von Euro-Ländern wie Griechenland, Irland, Spanien und auch Portugal. Ernsthafte Probleme halte er zwar für möglich, allerdings nicht für wahrscheinlich.
Vor diesem Hintergrund bahnt sich ein Streit zwischen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über eine Abschwächung des Euro-Stabilitätspakts an. Westerwelle distanzierte sich von einer Abschwächung des Euro-Stabilitätspakts, auf die sich Kanzlerin Merkel mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy bereits am Montag verständigt hatte. Demnach fordert Deutschland nicht mehr, dass Defizitsünder automatisch bestraft werden sollen.
Westerwelle kritisierte die Einigung gestern in Berlin. Sanktionen dürften nicht der "politischen Opportunität" unterworfen werden. "Wer sich dauerhaft außerhalb seiner eigenen Verantwortung stellt, muss wissen, dass das auch gewisse Konsequenzen durch Sanktionen hat; deswegen sollten diese Sanktionen eindeutig sein", fügte Westerwelle hinzu. Er kündigte an, sich in den kommenden Wochen dafür einzusetzen, den harte Euro auch durch entsprechende Regeln zu schützen.