Schwarz-Gelb versucht, im Umfragetief Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Sonntag soll die Entscheidung über AKW-Laufzeiten fallen.
Berlin. Diese Ankündigung kam überraschend: Bereits für Sonntagnachmittag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Koalitionsgipfel zur Lösung des Streits um die längeren Laufzeiten der Kernkraftwerke einberufen. Bei dem Treffen werden neben Merkel auch die Parteichefs von FDP und CSU, Guido Westerwelle und Horst Seehofer, dabei sein. Ebenfalls mit am Tisch: die Fraktionsvorsitzenden der Koalition und die zuständigen Fachminister.
Die prominent besetzte Runde, in der keiner der Streithähne der vergangen Wochen fehlt, will bereits eine "abschließende Klärung der längeren Laufzeiten für die Atomkraftwerke und die Zusatzzahlung der Stromkonzerne erreichen" - und so allen weiteren Debattenbeiträgen aus den eigenen Reihen vorbeugen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass es jetzt an der Zeit zu demonstrieren ist, dass man noch zu Ergebnissen kommen kann. Bedarf besteht. Laut neuem ARD-Deutschlandtrend sind gerade mal 18 Prozent der Bürger mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Von den Unzufriedenen geben 86 Prozent als Grund für ihr Unbehagen mit Schwarz-Gelb an, dass "nicht erkennbar ist, was diese Regierung eigentlich will". Und 79 Prozent kommen zu dem Schluss, dass "die Bundesregierung mit den gegenwärtigen Problemen überfordert ist". 77 Prozent bemängeln, dass "es zu viel Streit in der Bundesregierung gibt". 68 Prozent mahnen an, dass "in der Regierung überzeugende Persönlichkeiten fehlen".
Keine deutsche Regierung ist jemals in so kurzer Zeit so tief gefallen, und eine echte Trendumkehr ist nicht in Sicht. 32 Prozent würden derzeit für die CDU/CSU stimmen - das ist gerade mal ein Punkt mehr als im vergangenen Monat. Die Liberalen bleiben bei fünf Prozent hängen. Die Lage sei "weiterhin extrem schwierig", heißt es deshalb unisono in den Führungszirkeln. Die nächsten drei Monate, diese Auffassung wird übereinstimmend geteilt, werden darüber entscheiden, welche Zukunft das einstige "Wunschbündnis" nach dem so krisenhaft verlaufenen ersten Regierungsjahr noch hat.
Dass es so weit nicht hätte kommen müssen, zeigt das Beispiel Großbritannien. Auch im Kanzleramt wurde aufmerksam registriert, dass der neue konservative britische Premier David Cameron nach 100 Tagen im Amt in Anlehnung an seine Vorgängerin Margaret Thatcher bereits als "Mister Thatcher" gefeiert wird und sich trotz - oder gerade wegen - der gewaltigen Reformwelle, die er auf der Insel gestartet hat, Zustimmungswerten von 55 Prozent erfreuen darf. Seine Koalition mit den Liberaldemokraten, viel mehr Notgemeinschaft denn Wunschbündnis, arbeitet nach Auffassung von politischen Beobachtern geräuschlos und mit professioneller Disziplin.
Da dürfte Merkel, die jüngst erst bekundet hat, noch viel Gestaltungslust zu verspüren, der Blick nach Italien nicht trösten. Dort beginnt man nach 16 Jahren, in denen Silvio Berlusconi die Politik des Landes bestimmt hat, über die Zeit danach nachzudenken - baldige Neuwahlen nicht ausgeschlossen. Ebenso dürfte es nur ein schwacher Trost sein, dass in Frankreich, wie die "Libération" gerade berichtete, 55 Prozent der Bürger gegen die Wiederwahl von Präsident Nicolas Sarkozy votieren. Zumal die Kanzlerin, wie der ARD-Deutschlandtrend besagt, bei einer Direktwahl des Regierungschefs mit 41 Prozent nur knapp vor SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier landen würde, den 38 Prozent bevorzugen.
Das Gegenmittel der Stunde, das Angela Merkel sich auch selbst verschrieben hat, heißt also: Handlungsfähigkeit beweisen. Die intern ausgegebene Marschrichtung lautet: Ergebnisse müssen her - und zwar schnell. So hatte Merkel die Öffentlichkeit bereits mit einer so früh gar nicht erwarteten Vorfestlegung im Streit um die AKW-Laufzeiten überrascht.
Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gab sie Rückendeckung für seine Pläne zur Aussetzung der Wehrpflicht. Der Streit um die vermeintlichen Schieflagen im Sparpaket scheint passé. Die Haushaltsexperten beider Regierungsfraktionen scheinen fest entschlossen zu sein, das 80-Milliarden-Ding ohne nennenswerte Änderungen durch den Bundestag zu bringen. Bereits abgeräumt wurde das wochenlange Gezerre um die Zukunft der Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter, unter tatkräftiger Mitwirkung der kompromissbewährten FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Doch Angst und Unsicherheit beherrschen weiter die Szene. Bei den Liberalen liegen wegen des rasanten Absturzes in den Umfragen immer noch die Nerven blank, auch wenn sich Parteichef Guido Westerwelle sich nun absprachegemäß auf seine Aufgaben als Außenminister zu konzentrieren beginnt. Großprojekte wie die drastische Verkleinerung der Bundeswehr sind zudem noch längst nicht in trockenen Tüchern. In der Unionsfraktion gibt es viele, die sich gegen die geplante Aussetzung der Wehrpflicht stemmen wollen. Und ob der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer dem Plan überhaupt seinen Segen gibt, gilt als offen.
Für zusätzliche Unruhe sorgt der Zeitdruck. Bereits für März sind in Baden-Württemberg Landtagswahlen angesetzt, die Schwarz-Gelb nach aktuellen Umfragen das nächste Desaster bescheren könnten. Dann, so heißt es, müssten sich beide, Merkel und Westerwelle, auf Debatten um die Neubesetzung der Parteiführung gefasst machen.