Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beharrt auf Rente mit 67 und warnt vor gewaltigen Mehrbelastungen. Forscher fordern höheres Eintrittsalter.
Hamburg. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat eindringlich vor einer Verschiebung der Rente mit 67 gewarnt. "Die Überlegungen in der SPD , die Rente mit 67 auszusetzen oder zurückzunehmen, verfolge ich mit großer Sorge", sagte Hundt dem Hamburger Abendblatt. Es führe kein Weg daran vorbei, bei steigender Lebenserwartung das Renteneintrittsalter nach oben zu verändern. Wenn die Rente mit 67 gekippt werde, seien "gewaltige Beitragserhöhungen zu erwarten - mit schweren Belastungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung".
Derzeit ist vorgesehen, das gesetzliche Renteneintrittsalter zwischen 2012 und 2029 in monatlichen Schritten von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Gewerkschaften und führende Sozialdemokraten stellen das maßgeblich vom früheren Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) in der Großen Koalition durchgesetzte Gesetz wieder infrage. SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, er wolle die Rente mit 67 aussetzen, wenn die Erwerbsquote der über 60-Jährigen so gering bleibe wie heute.
Hundt verwies dagegen auf die wachsenden Berufschancen älterer Arbeitnehmer. "Für Ältere gibt es immer mehr Jobs", betonte er. Im Jahr 2000 seien von den 55- bis 64-Jährigen 37 Prozent beschäftigt gewesen. Heute seien es 57 Prozent. "Wir sind in Zukunft auf die Mitarbeit, die Erfahrung und die Qualifikation Älterer sehr angewiesen", sagte er. Die Arbeit habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert und werde sich weiter verändern, fügte der Arbeitgeberpräsident hinzu. Die körperliche Belastung gehe zurück, die Menschen seien im höheren Alter gesünder und leistungsfähiger als noch vor zehn oder 20 Jahren. Wenn ein Dachdecker "mit 65 nicht mehr aufs Dach steigt, kann er für seine Firma durchaus noch Kunden beraten". Die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters sei "notwendig und angemessen", sagte Hundt. "Nur so bleibt die Rentenversicherung finanzierbar und der Rückgang des Arbeitskräftepotenzials begrenzt."
Ein Sprecher von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) teilte gestern mit, dass sich 21,5 Prozent der 60- bis 64-Jährigen in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis befinden. Von der Leyen hatte diesen Wert zuvor mit 40 Prozent beziffert und dabei auch Mini-Jobber, Aushilfen und Selbstständige einbezogen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf der Arbeitsministerin vor, die "Realitäten auf dem Arbeitsmarkt" für Ältere zu ignorieren und sich die Zahlen schönzurechnen.
Wirtschaftsforscher plädieren sogar für die Rente mit 70. "Wenn wir uns die höhere Lebenserwartung und die abnehmende Geburtenrate in Deutschland anschauen, wird die Rente mit 70 perspektivisch kommen müssen", sagte Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Nach Ansicht von DIW-Präsident Klaus Zimmermann belasten die steigende Lebenserwartung und die schrumpfende Bevölkerung die Rentenkassen so sehr, dass starke Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen drohen. "Eine langsame Lebensarbeitszeitverlängerung auf 70 Jahre ist der humanste Ansatz, mit der Herausforderung umzugehen", so der Berliner Forscher. Die EU-Kommission forderte wegen der demografischen Entwicklung längere Lebensarbeitszeiten in ganz Europa. Nur so könne das Rentenniveau angesichts der steigenden Lebenserwartung gesichert werden, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa. Derzeit gehen Arbeitnehmer in der EU im Schnitt mit 61,4 Jahren in den Ruhestand - obwohl das gesetzliche Rentenalter in vielen Ländern deutlich höher liegt.
Der Sozialverband VdK wies die Forderungen als "utopisch" zurück. Bereits die Rente mit 67 erhöhe das Risiko der Altersarmut, warnte Präsidentin Ulrike Mascher. "Wer künftig nicht bis 67 arbeiten kann, weil er zum Beispiel arbeitslos ist, muss für zwei Jahre vorzeitigen Rentenbeginn 7,2 Prozent Abschlag in Kauf nehmen." Eine höhere Regelaltersgrenze wäre für viele "ein reines Rentenkürzungsprogramm".
Hamburgs Wirtschaftssenator Axel Gedaschko (CDU) kritisierte die von der SPD angestoßene Rentendebatte. "Man hat den Eindruck, dass hier Populismus vor bittere Notwendigkeit gestellt wird", sagte er dem Abendblatt und rief zu einer differenzierten Betrachtung auf. "Sicher gibt es Berufsgruppen, die nicht durchgehend bis zum 67. Lebensjahr arbeiten können", so Gedaschko. "Aber am Ende geht hier grundsätzlich die pure Mathematik vor, um die Rentenversorgung der Bürger insgesamt zu sichern."