Regierungssprecher Ulrich Wilhelm kehrt nach München zurück und nennt Zusammenarbeit mit Kanzlerin “menschlich hervorragend“.
Berlin. Diese Frage musste noch kommen. Auch bei seinem letzten Auftritt als Regierungssprecher wurde Ulrich Wilhelm mit dem Zustand der Bundesregierung konfrontiert. Nach dem Motto: Ob er denn da nicht gerade ein sinkendes Schiff verlasse? Das zielte darauf, dass seit dem Morgen neue Forsa-Zahlen im Umlauf waren: CDU/CSU 29 Prozent, FDP fünf. Und damit nicht genug. Die Meinungsforscher hatten Rot-Grün sogar eine stabile absolute Mehrheit prognostiziert. Da lächelte Wilhelm erst einmal sein typisches freundliches Wilhelm-Lächeln und erklärte, diesen Eindruck habe er nicht. "Umfragen sind flüchtig", meinte der 49-Jährige und fügte hinzu, Umfragen würden dem politischen Stand der Dinge ja generell "hinterherhinken".
Ulrich Wilhelm ließ gestern kurz die Herkulesaufgaben Revue passieren, die in seiner vier Jahre und neun Monate dauernden Amtszeit zu bewältigen gewesen waren: Die EU- und die G-8-Präsidentschaft, der Nato-Gipfel und eine "epochale" Wirtschafts- und Finanzkrise. Nicht zu vergessen die Euro-Rettungsaktion. Das alles, so Wilhelm, werde die Bevölkerung schon zu würdigen wissen, wenn es darauf ankomme.
Es war dieselbe Gelassenheit, mit der auch die Kanzlerin aktuellen Umfragewerten zu begegnen pflegt. Und diese Gelassenheit ist wohl auch einer der Gründe gewesen, warum sich Angela Merkel und ihr wichtigster Öffentlichkeitsarbeiter so gut verstanden haben. Wilhelm, der jetzt auf eigenen Wunsch nach München wechselt, um dort Intendant des Bayerischen Rundfunks zu werden, war ja nicht nur der Mann, der für Merkel sprach, sondern auch einer aus dem engen Kreis, von dem sich Merkel beraten lässt.
Ulrich Wilhelm hat das Bild, das die Öffentlichkeit von der Kanzlerin gewonnen hat, entscheidend mitgeprägt. Die hat inzwischen mit dem ZDF-Moderator Steffen Seibert zwar einen populären Nachfolger engagiert. Aber daran, dass Wilhelms Abschied einen Verlust bedeutet, hat sie keinen Zweifel gelassen. Wilhelm, den Merkel nach ihrer Wahl zur Kanzlerin bei Bayerns damaligem Ministerpräsidenten Edmund Stoiber abwarb, hatte sich damals ausbedungen, bei jedem Termin der Kanzlerin mit dabei sein zu können. Das hat sich für beide ausgezahlt. Wilhelm hat sich durch große Loyalität und, wenn es sein musste, auch durch große Verschwiegenheit ausgezeichnet. Die Zusammenarbeit mit Angela Merkel sei auch "menschlich hervorragend" gewesen, hat er gestern gesagt. Gelinkt hat der gebürtige Münchner - diese Feststellung war ihm gestern wichtig - die Parlamentskorrespondenten im Laufe seiner 328 Auftritte in der Bundespressekonferenz nie. Wenn die Fragen zu heikel wurden, hat sich Wilhelm auf den Satz zurückgezogen: "Das kann ich Ihnen nicht sagen." Als Ulrich Wilhelm sich von der Bundespressekonferenz verabschiedete, haben ihm die Journalisten lange applaudiert. Der Beifall war von freundschaftlichem Respekt getragen. Er sei "gerührt", sagte Wilhelm, als er das Abschiedsgeschenk entgegennahm: ein altes Schiffsfernrohr, das ihm auch bei seiner neuen Aufgabe zum nötigen Weitblick verhelfen soll.
Während er es noch in der Hand wog, lächelte Wilhelm plötzlich. "Ich ringe noch mit mir, ob ich da jetzt tatsächlich durchblicken und mich dabei fotografieren lassen soll", sagte er dann amüsiert, "der Kanzlerin würde ich sagen: 'Tun Sie's nicht!'" Schließlich, so Wilhelm, wisse man ja, was mit solchen Fotos passiere: Die müsse man sich als Betroffener später noch jahrelang in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen angucken, garniert mit irgendwelchen schrägen Schlagzeilen. Apropos: "Die Kanzlerin hat mich in der Früh schon angerufen und mir viel Glück gewünscht", sagte Wilhelm dann noch - und das klang ein bisschen so, als wolle er bekräftigen, dass die Angela Merkel bereit sei, ihn freiwillig ziehen zu lassen.
Ulrich Wilhelm kehrt also nach München zurück, wo seine Frau und die beiden Söhne leben und wo ihn ein neuer attraktiver Posten erwartet. Befreit von 18-Stunden-Tagen und endlosen Arbeitswochenenden. Das Imageproblem, das der schwarz-gelben Koalition von Anfang an anhaftete, hat Wilhelm mit seinem Charme nicht beheben können. Er, der selbst der CSU angehört, hat wohl am besten gewusst, dass der Koalitionsmotor vor allem deshalb stotterte, weil das Verhältnis zwischen der Seehofer-Partei und der FDP so schwierig und von Eifersucht belastet war. Stellungnahmen dazu hat er tunlichst vermieden. Und wenn er doch einmal eine abgab, dann klang sie garantiert so diplomatisch wie gestern: "Dass der Eindruck vielleicht da und dort besteht, dass man über zentrale Fragen nicht so einig ist, wie man's tatsächlich ist, das mag zu den Umfragen beitragen."