Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin über schwarz-grüne Hürden, die Lust am Opponieren und die Gründe, warum die Grünen keine Volkspartei werden.

Berlin. Statt im Fraktionsbüro fand das Interview mit Jürgen Trittin auf der Terrasse eines seiner Lieblingscafés statt, dem Nola's am Weinbergspark in Berlin-Mitte. Er bestellte sich Eis: den Schweden-Becher, "aber bitte ohne Apfelmus". Das Gespräch verlief nicht nur süß.

Hamburger Abendblatt:

Herr Trittin, sind Sie sauer auf Ole von Beust?

Jürgen Trittin:

Ich komme aus der Hansestadt Bremen. Dort sagt man: Wenn der Kapitän in schwerer See von der Brücke flieht, dann ist das keine hanseatische Tugend. Mit anderen Worten: Das macht man nicht.

Alles hat seine Zeit, hat Beust gesagt. Darf er nicht selbst den richtigen Zeitpunkt für den Abgang bestimmen?

Natürlich hat alles seine Zeit. Aber wenn man ein Amt antritt, in das man für vier Jahre gewählt ist, dann ist seine Zeit vier Jahre.

Handeln Politiker verantwortungslos, wenn sie mitten in einer Wahlperiode keine Lust mehr haben?

Ich will nicht Ole von Beust unterstellen, dass er keine Lust mehr hatte. Aber es ist problematisch, wenn er nach zweieinhalb Jahren ein Bündnis verlässt, das für die CDU Neuland war.

Das wichtigste Projekt in Hamburg, die Schulreform, ist gescheitert. Die wichtige Integrationsfigur hört auf. Wäre es nicht ehrlich, jetzt die Wähler an die Urne zu bitten?

Die Hamburger Verfassung sieht eine Wahlperiode von vier Jahren vor. Die Grünen und die CDU in Hamburg müssen nun entscheiden, ob sie noch gemeinsam wie bisher eine liberale, weltoffene Politik für die Großstadt Hamburg machen wollen. Aber die Entscheidung liegt weniger bei den Grünen als bei der CDU.

Warum?

Deren wichtigster Mann ist von Bord gegangen. Die CDU hat dem Bündnis eine Teilkündigung ausgesprochen. Nun muss die CDU begründen, wie sie die Stadt weiter regieren will. Im Moment wissen wir nicht, was die Hamburger CDU will. Will sie weltoffen und tolerant bleiben, oder will sie zurück an den Stammtisch? Daran werden die Grünen festmachen, ob sie am 25. August Christoph Ahlhaus zum Ersten Bürgermeister wählen oder nicht.

Ist Ahlhaus der richtige Mann für das Amt?

In Koalitionen sind Personen wichtig. Aber im Kern geht es darum, was die Parteien wollen. Es ist gute Tradition, dass sich die Koalitionspartner bei ihrer Personalauswahl nicht gegenseitig hineinreden. Wir wollen auch nicht, dass die CDU mitbestimmt, wer grüne Umweltsenatorin ist.

Was sagt uns Beusts Rücktritt über die Zukunft schwarz-grüner Bündnisse?

Im Kern sagt uns der Rücktritt, dass die CDU große, große Probleme hat. Sie steht vor einer Zerreißprobe. Der Streit verschärft sich zwischen den Modernisierern der Partei, die die CDU insbesondere für Frauen in den Großstädten wieder wählbar machen wollen, und denjenigen, die die CDU zurück zu den alten Milieus und Traditionen führen wollen. Dieser Streit hat mit dazu geführt, dass die Basis der CDU den Schulkurs des Bürgermeisters nicht mittragen wollte. Es waren die Kernmilieus der CDU, die beim Volksentscheid gegen den eigenen Senat mobilisiert haben.

Ist eine Koalition mit der CDU außerhalb von Hamburg für die Grünen noch denkbar?

Die CDU entfernt sich von der Mitte der Gesellschaft - in der Sozial- und Haushaltspolitik wie in der Gesundheitspolitik. Eine CDU, die das Elterngeld für Geringverdiener kürzen will, verabschiedet sich von Subsidiarität und Solidarität - und damit von christlichen Werten. Und wer die Atomlaufzeiten für RWE und E.on verlängert und diesen Unternehmen noch längere Steinkohlesubventionen ermöglichen will, der macht den Grünen kein Koalitionsangebot, sondern eine Kampfansage.

Schließen Sie für die Landtagswahlen 2011 Koalitionen mit der Union aus?

Gegenfrage: Können Sie sich vorstellen, dass die Grünen mit jemandem koalieren, der den Schrottreaktor Neckarwestheim länger laufen lassen will?

Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, etwa 2013 im Bund.

Politisch wie arithmetisch eher unrealistisch. In Umfragen haben wir jetzt schon eine rot-grüne Mehrheit. Rot-Grün wird von immer mehr Menschen als echte Alternative zu dieser unglaublich schlechten schwarz-gelben Regierung wahrgenommen. Ich glaube nicht, dass sich dieser Trend bis 2013 wieder umkehrt.

Was muss sich bei der Union tun, damit sie als Partner noch infrage kommt?

Ich bezweifle, dass die Union für die Grünen attraktiver wird. Die Union wird gerade wieder wirtschaftsliberaler, die vorsichtige Öffnung ist vorbei. Der Graben zwischen Union und Grünen ist größer geworden.

Immerhin will Umweltminister Röttgen den Atomausstieg nur kosmetisch verändern und die Laufzeiten geringfügig verlängern. Das müsste Ihnen doch ganz recht sein.

Kosmetik? Norbert Röttgen ist für Laufzeitverlängerungen, scheibchenweise statt auf einen Schlag. Und wir sind gegen jede Laufzeitverlängerung. Herr Röttgen ist also unser Gegner, aber nicht mehr so wichtig.

Das müssen Sie erklären.

Herr Röttgen hat in der Union nichts mehr zu sagen. Seine eigene Fraktion führt ihn am Ring durch die Manege. Bei jedem Konflikt um die Atomkraft stellt sich die Unionsfraktion auf die Seite des FDP-Wirtschaftsministers Rainer Brüderle. Herr Röttgen hat den Kampf um die scheibchenweise Laufzeitverlängerung verloren.

Welche Laufzeitverlängerung wird denn kommen?

Am Ende eher keine. Die Regierung wird eine Verlängerung im zweistelligen Jahresbereich versuchen. Sie wird damit im Bundesrat scheitern und auch vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern.

Ihre Partei kratzt in den Umfragen derzeit an der 20-Prozent-Marke. Wie viel Prozent davon sind schätzungsweise Protestwähler?

Ich glaube, dass wir einen sehr geringen Anteil an Protestwählern haben. Unsere Konzepte sind gefragt, das hat wenig mit Protest zu tun.

Sind Sie eine Volkspartei?

Die Grünen decken zwar ein breites Wählerspektrum ab, aber deswegen sind sie keine Volkspartei. Ich bezweifle überhaupt, dass es in Zukunft noch Volksparteien gibt. Es wird größere und kleinere Parteien geben. Die festen Milieus haben sich aufgelöst. Heute gilt nicht mehr, dass eine katholische Frau auf dem Lande CDU wählt und ein evangelischer Industriearbeiter in der Stadt SPD. Die Zukunft der Parteien sieht so aus, dass einige zwischen zehn und 20 Prozent mobilisieren können und einige zwischen 20 und 30 Prozent. Mehrheiten werden so bunter.

Rot-Grün hätte derzeit die absolute Mehrheit: ein guter Zeitpunkt, jetzt eine Art Koalition in der Opposition zu bilden.

Man koaliert, um zu regieren, in der Opposition gibt es einen munteren Wettbewerb zwischen den Oppositionsparteien darüber, wer Schwarz-Gelb am besten attackiert. Da müssen wir uns nicht verstecken.

In Nordrhein-Westfalen sitzen die Grünen mit der Linkspartei in einem Boot. Bereitet Ihnen das Unbehagen?

So ist es ja nicht. Wir sitzen in einer Minderheitsregierung und so auch in einem Boot mit Herrn Laumann von der CDU und Herrn Pinkwart von der FDP. Und Herr Laumann hat den Mund reichlich voll genommen, als er eine Fundamental-Opposition angekündigt hat. Die Rolle des Oskar Lafontaine der Schwarzen steht ihm nicht sonderlich. Die CDU ist nicht die Linkspartei. Die rot-grüne Minderheitsregierung ist handlungsfähig, wenn sie es schafft zu verhindern, dass sich die Extreme zur Rechten und zur Linken gemeinsam gegen sie verbünden.

Rot-Grün könnte sich im Düsseldorfer Landtag mittelfristig von der Linken tolerieren lassen. Brächte das nicht stabilere Verhältnisse?

Es gibt keinen Bedarf für eine Tolerierung. Ich prophezeie Ihnen, dass es eine Reihe von Fragen - etwa bei den Kommunalfinanzen - geben wird, bei denen sich die CDU höchst realpolitisch verhalten und keine Blockadehaltung einnehmen wird.

Dass die Grüne Sylvia Löhrmann Vize-Regierungschefin ist, hat sie schon mal der Linken zu verdanken.

Nein. Das hat sie allein SPD und Grünen zu verdanken. Die Linke hat sich in der Frage enthalten. In NRW stand nur die Frage zu entscheiden: schwarz-gelbe oder rot-grüne Minderheitenregierung. Und da hatte Rot-Grün zehn Stimmen mehr als Schwarz-Gelb.

Kann die Minderheitsregierung in NRW ein Vorbild für andere Bundesländer werden?

Minderheitsregierungen sind eine Notlösung. Sie haben keinen Modellcharakter. Dass es in Nordrhein-Westfalen so gekommen ist, hat damit zu tun, dass FDP und Linkspartei gegen den Willen ihrer Bundesparteien nicht regieren wollten. Ob es in anderen Bundesländern auch so kommt, ist schwer vorauszusehen. Vielleicht lernen ja die Linken oder die Liberalen aus Nordrhein-Westfalen und merken, dass es klüger ist zu versuchen, seine eigenen Ideen umzusetzen.

Vielleicht gehen auch SPD und Grüne zukünftig entspannter mit der Linken um.

Die Linkspartei bildet sich nur ein, dass wir unentspannt mit ihr umgehen. Wir Grünen behandeln die Linkspartei so wie die FDP oder die CDU. Wir hetzen nicht den Verfassungsschutz auf sie. Aber die Linke kann sich nicht darüber verständigen, ob sie ihre Inhalte auch in Regierungsverantwortung umsetzen will. Wenn die Linke sich langfristig der Verantwortung verweigert, wird man nicht darum herumkommen, mit anderen zu reden. Das ist zwar nicht schön, aber das Leben ist kein Ponyhof.

Die Regierung geht nun in die Sommerpause. Hat sich die Opposition eigentlich die Ferien verdient?

Alle, bis auf die Kanzlerin, die noch einmal nachsitzen sollte. Außer den beiden Rettungsfonds hat sie als einziges bedeutendes Gesetz die Mövenpick-Subvention fürs Hotelgewerbe vorzuweisen. Das ist ziemlich mager. Und was die Grünen angeht: Wir haben diese Regierung gut vor uns hergetrieben. Da machen wir nach der Sommerpause weiter.