Christian Wulff (CDU) begann den Tag in Hannover, Joachim Gauck ging zur Linksfraktion. Abends wurde schon vorgefeiert
Berlin. Eigentlich war er bereits seit Montag in Berlin, aber für einen Termin kehrte Christian Wulff gestern noch einmal nach Hannover zurück: Niedersachsens Ministerpräsident, der heute in der Bundesversammlung für das höchste Staatsamt kandidiert, gab im Gästehaus seiner Landesregierung einen Empfang zu Ehren seines Amtsvorgängers Ernst Albrecht.
Offiziell wurde Albrechts 80. Geburtstag gefeiert. Doch das Stelldichein der niedersächsischen CDU-Prominenz verwandelte sich zu einer inoffiziellen Abschiedsparty des Ministerpräsidenten - war sie doch höchstwahrscheinlich seine letzte Amtshandlung. Wulff selbst gab sich trotz seines bequemen Stimmenvorsprungs auch in den letzten Stunden vor der Wahl in der Bundesversammlung alles andere als siegesgewiss. Er blieb bei der zurückhaltenden Art, mit der er bereits in den vergangenen Wochen den Sympathiebekundungen für seinen Konkurrenten Joachim Gauck begegnet war. Stattdessen betonte Wulff noch erneut, dass es keinen Fraktionszwang gebe. Es sei zwar zulässig, Empfehlungen abzugeben, aber in der Wahlkabine sei jeder mit seinem Gewissen allein, sagte Wulff der "Leipziger Volkszeitung". Ja, er ging sogar so weit zu sagen, dass er Verständnis dafür habe, wenn auch CDU-Politiker wie Kurt Biedenkopf für seinen Gegenkandidaten werben würden. Joachim Gauck, so Wulff, sei ein überzeugender Sachwalter von Freiheit und Verantwortung. Biedenkopf habe außerdem recht, wenn er darauf hinweise, dass die Wahl des Bundespräsidenten nicht mit dem Fortbestand der Bundesregierung verknüpft werden dürfe.
In Berlin kam das "gegnerische Team" um zehn Uhr zu einer letzten Lagebesprechung im Dietrich-Bonhoeffer-Haus zusammen. Es galt, Gaucks Treffen mit den Mitgliedern der Linken-Fraktion am Nachmittag vorzubereiten, die den ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen nicht unterstützen will. Dieses Treffen begann um 14 Uhr. "Vielleicht komme ich ja ganz schnell raus, weil es gar nicht geht", witzelte Gauck, bevor er neben Fraktionschef Gregor Gysi Platz nahm. Er fügte hinzu, dass er sich über das "freundliche Einladungsschreiben" gefreut und gedacht habe: "Das ist mal etwas Neues, da gehst du hin!"
30 Minuten waren eingeplant, am Ende wurde eine knappe Stunde daraus. Und obwohl das Gespräch, wie Gysi und Gauck anschließend einhellig beteuerten, in "angenehmer" Atmosphäre verlaufen war, überwog am Ende doch die Distanz. Beide Seiten hätten "schon sehr unterschiedliche Auffassungen", sagte Gysi. Und dass er nicht glaube, dass die Wahlleute der Linken ihre Meinung über Gauck geändert hätten. Und zu einem Eklat kam es auch. Gauck sei ein bürgerlicher Kandidat und habe sich gegenüber der Linkspartei unversöhnlich gezeigt, meinte die Kandidatin der Linken, Luc Jochimsen. So habe er die Partei als nicht regierungsfähig bezeichnet. Jochimsen: "Dann sollen wir so jemanden wählen? Das ist zu viel Nutte in der Politik!"
Dabei ist die Linke Gaucks einzige Chance, am Ende doch gegen Wulff zu siegen. Sollte der Kandidat der schwarz-gelben Koalition im ersten und zweiten Wahlgang nicht durchkommen, hätte Gauck eine Chance im dritten Wahlgang, in dem die relative Mehrheit entscheidet. Dann bräuchte er die Unterstützung der Linkspartei. Gysi geht allerdings davon aus, dass sich die Delegierten von Union und FDP spätestens im zweiten Wahlgang diszipliniert verhalten werden, weil sie es "beim besten Willen nicht aushalten würden, wenn die Linke den Bundespräsidenten bestimmt". Sollte es einen dritten Wahlgang geben, "dann bräuchten wir nach dem zweiten mit Sicherheit eine längere Pause", meinte Gysi gestern.
Christian Wulff traf um 17 Uhr mit den Mitgliedern der Unionsfraktion und den Wahlmännern und -frauen der CDU/CSU aus den Ländern zusammen. Anschließend ergab sich die Gelegenheit, auch noch bei den Liberalen vorbeizuschauen, die sich mit ihren Delegierten ebenfalls im Reichstag trafen. "Wir halten unsere Leute zusammen und passen auf sie auf", scherzte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller. Dazu dienten auch die abendlichen Feste. Die Union bat ins Hotel Maritim an der Stauffenbergstraße, die SPD lud ins Haus der Kulturen der Welt ein. Joachim Gauck versprühte schon vorher gute Laune: "It's a great time! Ich hatte die ganze Zeit dieser Kandidatur nicht das Gefühl, dass ich etwas zu verlieren hätte." Die Grünen begaben sich im Anschluss an ihre Fraktionssitzung zum Berliner Hauptbahnhof, wo sie um 20 Uhr ihre Wahlmänner und Wahlfrauen aus den Ländern in Empfang nahmen.