Schwarz-Gelb einigt sich mit SPD und Grünen auf Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm. Karlsruhe und der Bundespräsident zögern.
Berlin. Die Zitterpartie um den europäischen Fiskalpakt und den Euro-Rettungsschirm ESM in Deutschland nimmt kein Ende. Nach wochenlangem Ringen verständigten sich Koalition, SPD und Grüne am Donnerstag zwar auf ein Kompromisspaket, mit dem die nötige Mehrheit im Bundestag gesichert sein dürfte. Doch das geplante starke Signal aus Berlin an die verunsicherten Finanzmärkte und die Euro-Partner droht zu verpuffen: Bundespräsident Joachim Gauck wird die Gesetze zu ESM und Fiskalpakt wegen drohender Klagen zunächst wohl nicht unterschreiben.
Gauck entspreche damit einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts, das zunächst über die Anträge auf einstweilige Anordnung gegen diese Gesetze entscheiden will, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“/Freitag) aus Gerichtskreisen. Dem Verfassungsgericht sind unter anderem von der Linkspartei Klagen und Verfassungsbeschwerden angekündigt worden.
Praktische Auswirkungen dürfte dies aber zunächst nicht haben. Die EU-Kommission rechnet ohnehin damit, dass der ESM erst Mitte Juli seine Arbeit aufnehmen kann, da ihn viele Länder noch nicht ratifiziert hätten.
Nach dem „SZ“-Bericht hat Gauck seine Absicht dem Gericht bereits mitgeteilt. Dem sei ein Gezerre hinter den Kulissen vorausgegangen. Angeblich wollte Gauck zunächst auf Drängen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Gesetze und Ratifikationserklärungen unmittelbar nach der Abstimmung im Bundestag und Bundesrat unterzeichnen.
Gerichtssprecherin Judith Blohm sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa mit Blick auf die angekündigten Klagen: „Es entspricht guter verfassungsrechtlicher Praxis, dass sich das Gericht in solchen Fällen mit der Bitte um Aufschub an den Bundespräsidenten wendet.“
Der Bundestag soll die Gesetze am Freitag kommender Woche verabschieden. In der Regierung hieß es, ein Aufschub von Gaucks Unterschrift ändere nichts an der Absicht, dass der Bundestag ESM und Fiskalpakt am 29. Juni ratifiziere. Von anderer Seite war zu hören, man rechne allenfalls mit einer Verzögerung von wenigen Tagen. Bei dem von der Linkspartei angestrebten Eilverfahren gehe es zunächst nur darum, ob eine Klage überhaupt Aussicht auf Erfolg habe.
An diesem Freitag trifft Merkel die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Spanien und Italien in Rom. Auch dabei dürfte es um den Fahrplan für ESM und Fiskalpakt gehen. Am Sonnabend will sie die Spitzen von Koalition und Opposition in einer Telefonkonferenz über den Stand der Gespräche auf internationaler Bühne unterrichten.
Merkel hatte sich vor der Wortmeldung aus Karlsruhe bei einem Treffen im Kanzleramt mit den Spitzen von SPD und Grünen auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa bis Ende 2012 und auf zusätzliche Wachstumsimpulse verständigt. Am Sonntag soll mit den Bundesländern eine Einigung erreicht werden. Damit wäre der Weg für die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat frei.
Der vereinbarte „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ ist zentrale Voraussetzung für ein Ja von SPD und Grünen im Bundestag. Die Regierung sichert zu, sich für die rasche Einführung einer Steuer auf Finanzmarktgeschäfte in Europa einzusetzen. Die Einigung sieht auch Vereinbarungen für Wachstumsimpulse, zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze in Europa vor.
Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler rechnet damit, dass im Ringen um den Fiskalpakt jetzt eine schnelle Verständigung auch mit den Bundesländern erzielt wird. Die Einigung mit der Opposition bezeichnete er als wichtiges Signal. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einem guten Ergebnis. Die Krise in Europa werde aber mit der Einigung nicht gelöst. Besonders die Frage, wie man sich „aus der Erpressungssituation der Finanzmärkte“ befreie, bleibe offen. Die Grünen bescheinigten Schwarz-Gelb einen Kurswechsel.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle wertete die Einigung mit SPD und Grünen als wichtiges Signal an die Märkte. Forderungen nach einem Altschuldentilgungsfonds aller Euro-Länder wies Brüderle wie Kauder und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zurück. Eine Vergemeinschaftung von Schulden wäre eine Fehlentwicklung.
Da eine Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsländer für eine Finanztransaktionssteuer nicht erreichbar ist, will die Regierung beim EU-Gipfel Ende nächste Woche die Einführung einer solchen Steuer in weniger Ländern beantragen. Dafür sind mindestens neun EU-Länder notwendig. Das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene solle „möglichst bis Ende des Jahres 2012 abgeschlossen werden“ können. Negative Folgen für die Altersversorgung, Kleinanleger und Realwirtschaft sollen vermieden werden, ebenso Ausweichreaktionen.