Beim Parteitag in Karlsruhe setzen die Liberalen auf die Inszenierung purer Harmonie. Doch der geplante Befreiungsschlag misslingt dem Vorsitzenden.
Karlsruhe. Wolfgang Kubicki macht Schönwetter. Zwar ist er oft eher unberechenbar, wenn er sich zum Zustand seiner Partei zu Wort meldet, dieses Mal aber sollen die Bilder stimmen, soll alles gut sein und jede Personaldiskussion im Keim erstickt werden. "Seit gestern sagen wir Philipp und Wolfgang zueinander", ruft der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat den 660 Delegierten in Karlsruhe zu - und erntet das erwartete Gelächter. Parteichef Philipp Rösler und Kubicki, bislang in herzlicher Antipathie vereint, sind jetzt also per Du.
Das wirkt schon fast ein bisschen grotesk. Gerade einmal drei Wochen ist es her, dass Kubicki mal wieder richtig losgeholzt hatte gegen die Parteiführung in Berlin. "Unterirdisch" sei die Kommunikation mit den Wählern, wetterte er. Und Röslers Wachstumsbegriff, mit dem könne doch sowieso keiner was anfangen. Gut in Erinnerung ist auch noch der Kubicki-Satz, die FDP habe "als Marke generell verschissen". Doch das alles scheint in Karlsruhe vergessen. Der Parteitag ist die Inszenierung vollkommener Harmonie, Kubicki steht auf dem Podium im Scheinwerferlicht und sagt, man werde "unter Führung des auch von mir gewählten und von uns getragenen Bundesvorsitzenden" die Wahlen gewinnen, und zwar "gemeinsam".
In zwei Wochen wird der Kieler Landtag neu gewählt. Die Nord-FDP hat sich von unten zwar wieder an die fünf Prozent herangearbeitet, muss aber trotzdem weiter um den Einzug ins Parlament bangen. Sie ist deshalb auch nicht mit ganzer Prominenz angereist. Landeschef Heiner Garg ist wegen des Wahlkampfs im Norden geblieben, und auch Kubicki muss kurz nach seiner Rede am frühen Sonnabendnachmittag wieder abreisen. Man tut, was man kann, gerade jetzt auf der Zielgeraden.
Der demonstrierte Zusammenhalt kommt jedoch nicht bei allen gut an. Die neue Einigkeit sei ja schön, sagt etwa der Chef der Jungliberalen, Lasse Becker. Aber das müsse man jetzt auch in die Tat umsetzen. Auch Hamburgs Landeschefin Sylvia Canel sieht das so: "Es ist gut, dass sich Kubicki und Rösler besser verstehen, aber jetzt müssen sie auch gut zusammenarbeiten", sagt sie dem Abendblatt.
Dabei ist der 63. Bundesparteitag der Liberalen eigentlich ein Arbeitsparteitag. Zwei Jahre lang wurde über ein neues Grundsatzprogramm beraten, jetzt wurde es verabschiedet. Es soll der Weg aus der Krise sein. Doch natürlich geht es die ganze Zeit auch um die anstehenden Landtagswahlen: in Schleswig-Holstein am 6. Mai, eine Woche später in Nordrhein-Westfalen. Nur wenige Liberale trauen sich laut zu sagen, wie entscheidend diese beiden Termine für die Zukunft der Partei sind. Kubicki jedenfalls ruft in den Saal, er könne "sicher sagen, dass die Wahl in Schleswig-Holstein ausschließlich über das Schicksal der Menschen in meinem Bundesland entscheidet". Eine Schicksalswahl? Unfug - meint Kubicki.
Dabei steckt Rösler in einem Dilemma: Gehen die Wahlen verloren, ist er endgültig angezählt, eine neue Personaldebatte absehbar. Längst wird hinter vorgehaltener Hand Fraktionschef Rainer Brüderle als Interimsvorsitzender bis 2013 gehandelt - immerhin hat es Rösler nicht geschafft, in seinem ersten Jahr als Parteichef die FPD aus dem Umfragetal herauszuführen. Doch auch wenn die Wahlen gut gehen und vor allem NRW-Spitzenkandidat Christian Lindner ein ordentliches Ergebnis einfährt, steht Rösler schlecht da: Lindner, der im Dezember als Generalsekretär der Bundespartei zurücktrat, würde den Chef überstrahlen. Seine Rede auf dem Parteitag wird lange beklatscht, die ganze Zeit ist Lindner von Kameras umringt, selbst als Rösler oder Kubicki oben auf der Bühne stehen.
+++ Die "Freiheitsthesen" sollen das Image der FDP wieder verbessern +++
Die Partei ist deshalb trotz des schönen Scheins vor allem eines: aufgewühlt. Einerseits schöpfen gerade die Wahlkämpfer Hoffnung. Man verspüre an den Infoständen zwischen Nord- und Ostsee, dass es aufwärtsgehe und der Zuspruch der Bürger wachse, erzählen die Delegierten. Andererseits wird an diesem Wochenende immer wieder deutlich, wie fragil nicht nur die Hoffnung, sondern auch der Frieden ist. Man regt sich auf über den oft offen ausgetragenen Streit, die vielen Lästereien. "In der Parteiführung sollten alle verstehen, dass der öffentliche Streit ein Ende haben muss", sagt Canel, die als Nachfolgerin von Rolf Salo mit 80,2 Prozent in den FDP-Bundesvorstand gewählt wurde. "In Hamburg merkt man, dass es die Parteimitglieder, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich Plakate kleben und Flugblätter verteilen, unglaublich frustriert, wenn in Berlin gleichzeitig wieder die Fetzen fliegen." Die Landtagswahlen seien keine Schicksalswahlen für Rösler, sie seien Schicksalswahlen für die gesamte Partei. In einer aktuellen Emnid-Umfrage für die "Bild am Sonntag" kommt die FDP wieder nur auf vier Prozent.
Und so misslingt auch Rösler bei seiner großen Rede der Befreiungsschlag. Wie sein Vorgänger Guido Westerwelle steht er anfangs fast schreiend und mit den Armen wedelnd am Rednerpult. Ganz weit weg wirkt der ruhige, besonnene Rösler, der vor einem Jahr mit seinem Stil begeistert hatte. Der 39-Jährige wettert gegen die Piraten, die nichts anderes seien als die Linke mit Internetanschluss, und bezeichnet den Koalitionspartner Union mit SPD und Grünen als "Einheitsbrei", von dem sich die FDP abgrenze. Und immer wieder geht es um Wachstum, das neue Motto der Liberalen. Doch die Rede gerät mit 72 Minuten zu lang. Manche Delegierten spielen mit ihren Handys herum. Zum Applaus stehen die meisten eher pflichtschuldig auf. Der neue Generalsekretär Patrick Döring, von Rösler vorgeschlagen, wird mit nur 72 Prozent ins Amt gewählt. Wieder eine Klatsche für den Parteichef.
Am Ende ist es Rainer Brüderle, der die Liberalen am Sonntag wortwörtlich von den Stühlen reißt. "Wer hat's gemacht?", brüllt er bei der Aufzählung von Erfolgen, die er für die FDP reklamiert. "Wir haben's gemacht", rufen die Delegierten enthusiastisch zurück. Das Bild von Harmonie und Geschlossenheit ist wieder da. Die Wahlen in Düsseldorf und Kiel werden entscheiden, wie nachhaltig es ist. Das Gleiche gilt wohl auch für die neue Duz-Freundschaft von Rösler und Kubicki.