Finanzminister Schäuble liebt die Provokation, ist für die Kanzlerin aber unverzichtbar. Jetzt könnte er Chef der Euro-Gruppe werden.
Berlin. Wolfgang Schäuble legt die Stirn in Falten. Grimmig sieht er jetzt aus, vor allem weil die zwei senkrechten Furchen zwischen seinen Augenbrauen noch ein bisschen tiefer werden als sonst. Würde man nicht hören, was Schäuble gerade sagt, läge der Eindruck nahe, dass der Bundesfinanzminister schimpft. Der 69-Jährige sieht aus wie ein Großvater, der seinen Enkeln die Leviten liest.
Dabei ist es eigentlich ganz anders. Schäuble hat an diesem Mittwoch gute Nachrichten zu verkünden: Die Schuldenbremse wird mehr als eingehalten, die Neuverschuldung sinkt, und die Wachstumspolitik der Bundesregierung zahlt sich "für die Menschen in unserem Land unmittelbar aus". Es ist Schäubles Sache nicht, aus der Vorstellung seiner Eckpunkte für den Haushalt 2013 und des Finanzplans bis 2016 die große Show zu machen. Nüchtern referiert er Zahlen. Ob seine konzentrierte Miene nun dazu passt oder eben nicht.
Die Wirkung kann Schäuble ohnehin egal sein. Er ist einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Minister im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Er ist ihr Garant für Stabilität in turbulenten Zeiten. Die Finanzkrise hat ihn sogar gestärkt. Eisern wacht Schäuble als Sparkommissar und Ausgabendompteur über die Kassen der Republik - und jettet dabei zwischen Berlin, London, Paris und Brüssel hin und her, um mit der Kanzlerin nicht nur den Haushalt Deutschlands, sondern gleich ganz Europas zusammenzuhalten. Jetzt ist er sogar als Nachfolger von Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker im Gespräch. Es wäre ein neuer Karrieresprung dieses Mannes, der schon ein langes Politikerleben hinter sich hat - und vor einiger Zeit bereits selbst das Ende seiner Karriere hat kommen sehen.
+++ Unanständiger Griff in die Kassen +++
In einem Interview mit dem "Spiegel" hat Schäuble vor einiger Zeit gesagt, dass es viele Klischees über ihn gebe - zum Beispiel, dass er besonders schroff sei oder besonders diszipliniert: "Oha, denken viele, der sitzt im Rollstuhl, das muss ja furchtbar anstrengend sein; der quält und schindet sich und andere. Das stimmt alles überhaupt nicht", befand der Minister. Dabei wird auch an diesem Mittwoch nur allzu deutlich, woher diese Vorurteile kommen. Denn Schäuble wirkt schnell mürrisch, sein Grinsen etwas linkisch und wenn man ihn während Bundestagsdebatten auf der Regierungsbank beobachtet, gibt er sich deutlich weniger Mühe als der Rest der Ministerriege, nicht gelangweilt auszusehen. Symptomatisch war das bei der letzten großen Euro-Rede der Bundeskanzlerin.
Während Merkel am Pult um die Zustimmung der Abgeordneten für das zweite Griechenland-Rettungspaket warb, sich Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) demonstrativ der Chefin zugewandt hatten und bei jedem zweiten Satz anerkennend nickten, spielte Schäuble auf seinem Tablet-PC Sudoku. Spitzfindige Kameraleute hatten des Finanzministers Nebenbeschäftigung eingefangen. Wie sich später herausstellte, löste der CDU-Politiker ein Rätsel auf ziemlich hohem Niveau. Alles andere wäre aber auch verwunderlich gewesen. Schäuble ist es gewöhnt, dass sich Probleme mal eben so klären lassen. Er ist längst Profi darin, mit solchen Sachen umzugehen.
Seit mehr als 40 Jahren sitzt er nun schon im Bundestag - so lange wie kein anderer Parlamentarier, unzählige Höhen und Tiefen inbegriffen. In den 80er-Jahren war er unter anderem Kanzleramtschef von Helmut Kohl, zur Wendezeit Innenminister. In den 90ern wurde der promovierte Jurist, der zeitweise auch in Hamburg studiert hatte, erst Fraktions- und dann auch Parteichef, bis ihm die CDU-Spendenaffäre im Jahr 2000 vorläufig einen Strich durch die Karriererechnung machte. Langfristig geschadet hat ihm das allerdings nicht. 2005 wurde Schäuble wieder Innenminister, seit 2009 ist er Chef des Finanzressorts.
+++ Schäubles Sparpläne vom Kabinett gebilligt +++
Und er fühlt sich wohl in dieser Rolle. Einmal weil er nun auch die Bevölkerung hinter sich weiß. Sein striktes Spardiktat wird in Zeiten knapper Kassen als richtig angesehen. Im Innenministerium hatte sein Ruf nach einem starken Staat die Wut von Bürgerrechtlern entfacht. Noch wichtiger ist aber die Rückendeckung Merkels, die die Euro-Rettung zum Hauptprojekt ihrer Regierungszeit erkoren hat. Dass die FDP mit ihren Steuersenkungsplänen regelmäßig an Schäuble abgeprallt ist, hat ihr einigen Ärger erspart.
Und so war es auch Merkel, die zu ihm gehalten hatte, als es Schäuble im Winter 2010 schlecht ging und er wegen nicht heilender Druckstellen wochenlang das Bett hüten musste. Sogar seinen Rücktritt hat er der Kanzlerin angeboten, bekennt Schäuble später. Doch sie hielt zu ihm - und schwieg auch, als der Minister wegen seines harten Umgangs mit seinem Sprecher Michael Offer in die Kritik geriet. Vor laufenden Kameras hatte ihn Schäuble wegen nicht verteilter Unterlagen runtergeputzt. Offer nahm seinen Hut.
+++ Schäuble will schnell raus aus den Schulden +++
Dass Schäuble wiederum noch lange nicht ans Aufhören denkt, hat er schon öfter klargemacht: "Solange es mir geschenkt ist, politisch tätig zu sein, bleibe ich." Einem Reporter der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" drohte er nach der Frage nach seinem Karriereende jüngst mit dem Abbruch des laufenden Interviews. "Die letzte Station ist der Friedhof", ließ Schäuble ihn angesäuert wissen.
Die SPD forderte unlängst, Schäuble solle seinen Ministerposten räumen, wenn das mit dem Vorsitz Euro-Gruppe klappt. Zwar hält sich der CDU-Politiker zu diesem Thema noch bedeckt, durchaus vorstellbar ist aber, dass ihn das neue Amt reizt - weniger allerdings, dass er der Aufforderung der Sozialdemokraten nachkommen wird. Dazu ist er als Finanzminister zu sehr in seinem Element - und auch die Kanzlerin braucht ihn noch. Vielleicht gibt es aber auch noch einen dritten Grund: Schäubles offensichtliche Lust an der Provokation.