Bei der Vorstellung des “Fortschrittsreports Altersgerechte Arbeitswelt“ sieht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) positive Entwicklungen. “Dass sich in zehn Jahren der Anteil der Erwerbstätigen in den Jahrgängen kurz vor dem Renteneintritt mehr als verdoppelt hat, ist ein beachtlicher Erfolg. Wenn der Trend anhält, werden wir in Kürze in dieser Altersgruppe mehr Erwerbstätige als Rentner haben.“
Hamburg/Berlin. Die deutsche Wirtschaft hat eine neue Hausaufgabe: das Schaffen einer "altersgerechten Arbeitswelt". Daurch sollen Unternehmen es ihren Mitarbeitern ermöglichen, möglichst lange, möglichst fit im Job bleiben. Denn die Rente mit 67 stellt nicht nur die Arbeitnehmer vor Probleme, die bis ins hohe Alter möglicherweise noch im Büro sitzen, aber nicht mehr per Leiter aufs Dach klettern oder vor dem Hochofen stehen können. Die Demografiefalle schnappt in den kommenden Jahren zu: Deutschland schrumpft eher, als dass es wächst. Zu wenige junge Arbeitnehmer werden künftig zu viele Rentner finanzieren müssen. Außerdem hat ein regelrechtes Ringen um die besten Fachkräfte begonnen. Und auch da spielt die Gestaltung des Arbeitsplatzes eine Rolle, ebenso die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Bei der Vorstellung des "Fortschrittsreports Altersgerechte Arbeitswelt" sieht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) positive Entwicklungen. "Dass sich in zehn Jahren der Anteil der Erwerbstätigen in den Jahrgängen kurz vor dem Renteneintritt mehr als verdoppelt hat, ist ein beachtlicher Erfolg. Wenn der Trend anhält, werden wir in Kürze in dieser Altersgruppe mehr Erwerbstätige als Rentner haben."
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So sind nach den neuen Zahlen (aus 2010) 40,8 Prozent der 60- bis 64-Jährigen noch im Job, ein leichter Zuwachs zum Jahr davor (38,4 Prozent). Der Anstieg bei den 55- bis 64-Jährigen war in den vergangenen zehn Jahren EU-weit spitze. Nach neuen Zahlen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind allerdings die Schweden bei den arbeitenden Alten weit voraus. Dass in Deutschland wieder mehr Ältere arbeiten, habe vor allem mit den Reformen der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu tun, sagen Experten: "Man sieht deutlich, dass durch die Hartz-Gesetzgebung die Frühverrentungsprogramme beendet wurden. Wir nähern uns für 2011 sogar einer Beschäftigungsquote von 60 Prozent und liegen damit international vorne. Und wir dachten schon, dass Ältere auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben", sagte Hilmar Schneider, Direktor am Institut zur Zukunft der Arbeit, dem Abendblatt.
Doch die Zahlen seien nicht nur rosarot zu sehen, warnte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer. So sei von den 40,8 Prozent erwerbstätigen 60- bis 64-Jährigen nur gut die Hälfte in einem sozialversicherungspflichtigen Job. Die 800 000 Mini-Jobber unter den Älteren dürfe man nicht vergessen. Der DGB hält deshalb die Rente mit 67 nach wie vor für ein Rentenkürzungsprogramm. Von der Leyen ging auf das Argument ein und sagte: "Unser Ziel ist es, dass Arbeit auch für Menschen über 60 der Normalfall wird." Dass immer mehr Ältere arbeiten, könne nur "eine Zwischenetappe sein auf dem langen Weg zur vollen Rente mit 67 im Jahr 2029". Denn: "Nach wie vor schaffen noch viel zu wenige Menschen über 55 den Sprung aus der Arbeitslosigkeit zurück in den Beruf."
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Die Ministerin hat durch eine Studie belegen lassen, dass der Mix von jungen und älteren Arbeitnehmern und vor allem der Anteil der 45- bis 50-Jährigen in einer Firma die Produktivität erhöhe. "Damit ist das Vorurteil widerlegt, dass Jüngere per se leistungsfähiger sind", so von der Leyen. Handwerksverbands-Chef Otto Kentzler erklärte es so: "Die Jüngeren können schneller laufen, aber die Älteren kennen die Abkürzungen."
Von der Leyen will mit neuen Zeitkonten die Arbeitswelt flexibler gestalten. "Wenn wir wollen, dass die Menschen länger arbeiten, dann müssen wir ihnen Flexibilität und Freiraum geben. Bei den Langzeitkonten ist noch deutlich Luft nach oben." Nur 40 000 Betriebe in Deutschland führten echte Langzeitkonten, mit denen Mitarbeiter größere Arbeitszeitguthaben ansparen könnten. Mehr große (über 500 Mitarbeiter) als kleine Unternehmen bieten Arbeitszeitkonten, mehr öffentliche Arbeitgeber als die Privatwirtschaft.
"Je kleiner das Unternehmen, desto geringer ist die Neigung, das Instrument von Arbeitszeitkonten zu nutzen", sagte der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Josef Schlarmann, dem Abendblatt. "Das scheitert oft an einer professionellen Buchhaltung." Wirtschaftsexperte Schlarmann forderte deutlich mehr Flexibilität, um noch mehr Ältere auf dem Arbeitsmarkt zu halten. "Mein Eindruck ist, dass diese Erkenntnis auch bei den Gewerkschaften gewachsen ist."
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Die Arbeitgeber insgesamt beklagen aber: "2009 sind die gesetzlichen Regelungen für die Führung der Lang- und Lebensarbeitszeitkonten so bürokratisch gestaltet worden, dass die Sozialpartner, Betriebe und Arbeitnehmer davor zurückschrecken, sie flächendeckend zu vereinbaren. So meint der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien genau vorgeben zu müssen, wie solche Konten zu führen sind", sagte ein Sprecher der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände dem Abendblatt.
Arbeitsmarktforscher Schneider sagte: "Kleinere Unternehmen haben oft das Problem, dass der Chef alles managen muss. Und was passiert mit einem Arbeitszeitkonto eines Mitarbeiters, wenn das Unternehmen in Konkurs geht? Das ist dann weg." In kleineren Firmen hänge an einem Auftrag oft die Existenz der gesamten Firma. "Da müssen dann alle ran - unabhängig von Arbeitszeitkonten." Schneider warnte: "Wenn Arbeitszeitkonten eine verkappte Form von Altersteilzeit sein sollen, dann funktioniert das nicht. Sie dürfen nicht dazu führen, die Arbeitnehmer früher in die Rente zu schicken. Dann bringen wir uns um ein wichtiges Potenzial, das ältere Mitarbeiter für Unternehmen haben." Die Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Beate Müller-Gemmeke, forderte von Ministerin von der Leyen "mehr Taten statt schöner Worte". Leiharbeit, befristete Beschäftigung und Werkverträge verhinderten "die Anstellung von älteren Beschäftigten und eine Beschäftigung bis zum 67. Lebensjahr".