Islamist Arid U. schoss in einem US-Militärbus am Frankfurter Flughafen um sich und tötete zwei Soldaten. Dafür muss er lebenslang in Haft.
Frankfurt/Main. Dass Arid U. die Verbrechen, für die er angeklagt wurde, tatsächlich verübte, stand nicht zur Diskussion in dem Mordprozess. Der 22-Jährige aus Mitrovica im Kosovo, der mit seiner Familie von Kleinkindtagen an in Hessen lebt, hatte Anfang März 2011 zwei US-Soldaten erschossen und zwei weitere schwer verletzt. Nur die Ladehemmung seiner Waffe beim Zielen auf einen fünften Soldaten verhinderte, dass am Frankfurter Flughafen noch mehr Menschen zu Schaden kamen.
Für all das gab es nicht nur Zeugen, der Angeklagte hatte auch gleich am ersten Verhandlungstag umfassend alles gestanden. Er habe die Soldaten, die unbewaffnet im Bus auf ihre Fahrt zur Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz warteten, töten wollen, als er mit einer Waffe und einem Messer im Rucksack zum Flughafen fuhr, sagte Arid U.
Das Attentat vom 2. März 2011 gilt als der erste islamistische Anschlag in Deutschland, der nicht verhindert werden konnte. Eine Terrorzelle von mindestens drei Männern, die Anschläge auf US-Einrichtungen in Deutschland plante, war im September 2007 dingfest gemacht worden. Die Mitglieder der sogenannten Sauerland-Gruppe wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Der junge Mann, der beim Prozessauftakt Ende August schüchtern und bedrückt wirkte, hatte offenbar lange an einer mehrseitigen Erklärung gearbeitet, die er damals stockend und unter Tränen vorlas. Darin distanzierte sich U. von seinen Bluttaten, nannte sie "totalen Schwachsinn" und warnte vor der Nachahmung. Genützt hat das nichts. Das Gericht stellte nicht nur seine Schuld fest, sondern außerdem die besondere Schwere, was eine vorzeitige Haftentlassung bereits nach 15 Jahren praktisch ausschließt. Die Richter folgten damit dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Die Verteidigung kündigte Revision an.
+++Frankfurter Flughafenattentäter muss lebenslang in Haft+++
Die Verhandlung hatte sich vor allem zwei Fragen zu widmen: War U. tatsächlich, wie er es darstellte, ein Einzeltäter, der sich auf eigene Faust im Internet radikalisiert hatte? Zeitweilig hieß es, er sei in einem fundamentalistischen islamischen Sommerlager in Bosnien ausgebildet worden. Und hatte U., wie er ebenfalls behauptete, tatsächlich "wie im Wahn" gehandelt? Mit dieser Darstellung legte der Angeklagte nämlich die Basis für die Strategie der Verteidigung.
Die Bundesanwaltschaft hatte Arid U. in ihrem Plädoyer als einen heimtückischen, grausamen und feigen Mörder dargestellt, der sich von islamistischer Propaganda verblenden ließ. Seine beiden Anwälte dagegen versuchten, den Doppelmord als "simples Tötungsdelikt" einer unreifen, ängstlichen, gehemmten Persönlichkeit auszulegen: Da sei eben ein junger Mann in einen "psychisch bedingten Rausch" geraten, sagte Verteidiger Jens Jörg Hoffmann. Arid U. könne sich an die Tat kaum erinnern, sie sei also "eine Blackout-Situation mit tragischem Ausgang".
Von Vorsatz oder gar einem dschihadistischen Terroranschlag könne keine Rede sein, argumentierte Verteidigerin Michaela Roth. In einem unglücklichen Jungen hätten sich negative Emotionen angestaut und dann auf diese Art entladen.
Dass beide Auslegungen eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen würden, war schon vor der Urteilsverkündung am Freitag klar. Für Mord ist keine andere Strafe möglich. Allerdings kann ein Gericht nach frühestens 15 Jahren überdenken, ob der Verurteilte vorzeitig entlassen werden kann, falls er sich gut führt. Das ist nun im Fall von Arid U. ausgeschlossen. In der Regel sitzen zu "lebenslänglich" Verurteilte zwischen 23 und 25 Jahren in der Justizvollzugsanstalt.
Im Prozess war es zu bewegenden Szenen gekommen, als die Angehörigen der beiden Toten aussagten, und die Soldaten, die der Attentäter U. schwer verletzt hatte. Einer von ihnen, der 26-jährige Christopher S., wurde per Satellit aus den USA zugeschaltet, weil er nicht reisefähig war. Dem Mann fehlt ein großes Stück Kopf, das U. weggeschossen hat. Er hat rasende Kopf- und Augenschmerzen, auf einem Auge ist er blind. Noch darf er Hilfsarbeiten bei der Armee verrichten, doch sein Vertrag ist befristet. Wie der Vater von zwei kleinen Kindern in Zukunft seine Familie ernähren soll, ist ungewiss.
Am Ende seiner Aussage wurde S. gefragt, ob er Arid U. noch einmal sehen wolle. Er sagte Ja, und die Kamera richtete sich in Frankfurt auf den Angeklagten. Der hielt den Blick fest auf den Tisch vor sich geheftet. Seinem Opfer wollte er nicht in die Augen schauen.
Ankläger Jochen Weingartner hatte Arid U. als einen von Hass gegen Andersgläubige getriebenen und verblendeten Einzeltäter bezeichnet, der in den Dschihad, den sogenannten Gotteskrieg, habe ziehen wollen, sich zum "Herrn über Leben und Tod gemacht" und seine Opfer willkürlich ausgesucht habe. Auch das hatte die Verteidigung bestritten. Jemand, der die Taten bereue und vor ihrer Nachahmung warne, könne kein Überzeugungstäter sein, sagte Michaela Roth. Bekannte, Schulfreunde oder Arbeitskollegen hätten Arid U. als höflich, hilfsbereit und gut integriert beschrieben. Er sei nie durch Gewalt aufgefallen und habe Freunde aus mehreren Glaubensrichtungen gehabt, darunter einen Amerikaner.
U. hat sich angeblich durch das Internet selbst radikalisiert und der islamistischen Propaganda geglaubt. Er gab auch vor, als Sechsjähriger sexuell von einem Mann in einem Park belästigt worden zu sein. Als er am Vorabend der Tat ein Propagandavideo mit einem Kinofilmausschnitt sah, in dem die Vergewaltigung einer Muslima gezeigt wurde, sei er plötzlich getrieben worden von dem Wunsch, "irgendetwas zu tun" und weitere Schandtaten zu verhindern. Er habe geglaubt, das erreiche er, wenn er Soldaten umbringe. "Heute verstehe ich das selbst nicht mehr."
Den Urteilsspruch nahm er mit verschränkten Armen und äußerlich regungslos auf. Ihm droht nach der Haft die Abschiebung ins Kosovo, weil er nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Woher die Luger stammte, mit der Arid U. schoss, konnte nie geklärt werden. Der Angeklagte verweigerte jede Angabe darüber.