Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki rechnet nicht damit, dass sich Bundespräsident Christian Wulff im Amt stabilisieren kann. „Christian Wulff hat die Affäre nicht mehr selbst in der Hand. Das Ermittlungsverfahren gegen seinen Ex-Sprecher Olaf Glaeseker wird ihm noch mehr Schwierigkeiten bereiten, als er das momentan vermutet“. Andrea Nahles bezeichnete Wulff in einem Interview als Pinocchio: Sein Verhalten sei peinlich und schade dem Amt.
Berlin/Hannover. Bekanntwerden neuer Vorwürfe gegen Bundespräsident Christian Wulff hat SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles diesen der Lüge bezichtigt. Offensichtlich sitze ein „Pinocchio“ im Bundespräsidialamt, sagte Nahles am Dienstag dem Sender N24. Dies sei peinlich und schade dem Amt. Sie forderte Wulff auf, Bilanz zu ziehen, „ob er wirklich noch Vorbild sein kann“. Daran gebe es erhebliche Zweifel. Wulff allein habe es jedoch in der Hand, „daraus Konsequenzen zu ziehen“.
Nach Recherchen von tagesschau.de hatte Wulff offenbar weitergehende geschäftliche Beziehungen zu dem Unternehmer Egon Geerkens als bislang eingeräumt. Demnach war Geerkens Mandant und Vermieter der Räume einer Rechtsanwaltskanzlei, für die der frühere niedersächsische Ministerpräsident über Jahre tätig war.
Sein Anwalt bestreitet, dass Wulff nach seinem Ausscheiden aus seiner früheren Kanzlei 1994 noch Honorare bekommen hätte. „Christian Wulff war lediglich damit einverstanden, dass die Kanzlei seinen Namen auf dem Briefkopf führte, ihm die Kammerzulassung ermöglichte und ihn in die Berufshaftpflichtversicherung einbezog“, erklärte Rechtsanwalt Gernot Lehr am Dienstag. So habe sich Wulff die Möglichkeit offengehalten, in den Anwaltsberuf zurückzukehren. „Er hat seit 1994 kein Honorar oder sonstige Vergütungen der Anwaltssozietät erhalten“, schrieb Lehr in der Mitteilung. Wulff war den Angaben zufolge zu keinem Zeitpunkt Partner der Anwaltssozietät Funk, Tenfelde und Partner in Osnabrück. Wulff war 1994 in den niedersächsischen Landtag gewählt worden. Wulff hätte von 1994 bis 2003 noch eigenständig Mandate unter dem Dach der Kanzlei bearbeiten können. „Von dieser Möglichkeit machte er jedoch seit 1994 niemals Gebrauch“, erklärte Lehr. Seit 2004 habe seine Anwaltszulassung geruht. Nach Ansicht von Lehr ist damit klar: Dass der Unternehmer Egon Geerkens Vermieter und Mandant der Sozietät Funk, Tenfelde und Partner war, begründet keine Geschäftsbeziehung von Wulff zu Geerkens. Tagesschau.de hatte zuvor über eine mögliche Verbindung berichtet.
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki rechnet nicht damit, dass sich Bundespräsident Christian Wulff im Amt stabilisieren kann. „Christian Wulff hat die Affäre nicht mehr selbst in der Hand. Das Ermittlungsverfahren gegen seinen Ex-Sprecher Olaf Glaeseker wird ihm noch mehr Schwierigkeiten bereiten, als er das momentan vermutet“, sagte der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Aus seiner 30-jährigen Erfahrung als Strafverteidiger wisse er, dass in beschlagnahmten Unterlagen immer etwas gefunden werde, was heute anders gelesen werde als es zu einem früheren Zeitpunkt gemeint gewesen sei. „Unabhängig davon, ob die sich daraus ergebenden Vorwürfe stimmen oder nicht, wird ihm das aus meiner Sicht zum Verhängnis werden“, sagte Kubicki mit Blick auf Wulff. Aus der Affäre Glaeseker könne zügig eine weitere Belastung des Bundespräsidenten werden, „die er nicht wird tragen können“.
Auf die Frage, ob Wulff zurücktreten solle, sagte Kubicki: „Das ist eine Entscheidung, die nur Christian Wulff selbst treffen kann. Er muss sich fragen, ob er das tatsächlich durchstehen kann oder ob nicht jede weitere öffentliche Beeinträchtigung das Ansehen seines Amtes und seiner Person weiter gefährdet oder gar zerstört.“ Das Vorstandsmitglied der Bundes-FDP hält die Reihen hinter Wulff in der schwarz-gelben Koalition nicht mehr für geschlossen. „Aus meiner Sicht ist bis auf gelegentliche verbale Erklärungen zu Amt und Funktion des Bundespräsidenten, die aus Respekt vor dem Staatsoberhaupt geäußert werden, keine euphorische Unterstützung mehr zu erkennen.“ Auswirkungen auf das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein fürchtet Kubicki durch die Causa Wulff nach eigenen Worten nicht. Die Affäre werde losgelöst von der Parteipolitik gesehen und bestätige viele Menschen eher in ihrer grundsätzlichen Befürchtung, dass Politiker nicht nur das Wohl der Allgemeinheit sondern ihr eigenes im Blick hätten.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel, hatte Wulff zuvor erneut der Lüge bezichtigt. „Es wird immer offensichtlicher, dass Wulff nicht nur die halbe Wahrheit gesagt hat, sondern den Landtag nach Strich und Faden hinters Licht geführt hat“, sagte Wenzel der „Frankfurter Rundschau“. Zuvor hatte tagesschau.de berichtet, dass der Osnabrücker Geschäftsmann Egon Geerkens Mandant und Vermieter einer Rechtsanwaltskanzlei war, für die Wulff über Jahre tätig war. Die Kanzlei wies allerdings am Montag darauf hin, dass Wulff schon seit 1994 nicht mehr für sie tätig gewesen sei, auch wenn sein Name weiter im Briefkopf auftauchte. Zu einem möglichen Mandatsverhältnis zu Geerkens könne die Kanzlei aber keine Angaben machen.
Das heutige Staatsoberhaupt hatte 2008 – damals noch als niedersächsischer Ministerpräsident – 500 000 Euro Privatkredit von der Unternehmergattin Edith Geerkens erhalten. Im Landtag in Hannover hatte Wulff 2010 dieses Darlehen aber nicht angegeben, als er nach geschäftlichen Beziehungen zu Egon Geerkens gefragt wurde – und solche verneint. Wulffs Verbindung mit Geerkens über die Rechtsanwaltskanzlei zeige „eine weitere geschäftliche Beziehung, die dem Landtag verschwiegen wurde“, kritisierte Grünen-Fraktionschef Wenzel. Er hoffe, dass nun auch CDU-Politiker im Bund erkennen, dass es mit Wulff so nicht weitergehe. „Jeder Beamte, der solche Geschäftsbeziehungen verschweigt, muss mit dem Verlust seines Arbeitsverhältnisses rechnen“, sagte Wenzel.
Der Grünen-Politiker hatte Wulff in der Debatte über Beteiligungen der Landesregierung an dem umstrittenen Promi-Treff Nord-Süd-Dialog heftig kritisiert. „Wulff ist ein Lügner, und er sollte seinen Hut nehmen, bevor er Recht und Gesetz und Anstand noch mehr in den Dreck zieht“, hatte der Grünen-Fraktionschef gesagt. Der Vorwurf hat jedoch keine juristischen Konsequenzen. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim kritisierte die Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft im Fall Wulff. „Während sie gegen den früheren Sprecher Olaf Glaeseker ermittelt, wird der Verdacht gegen den Bundespräsidenten in Abrede gestellt. Das ist sehr merkwürdig“, sagte von Arnim der „Passauer Neuen Presse“. „Beim Bundespräsidenten liegt nach allem, was man weiß, mindestens der Anfangsverdacht einer strafbaren Vorteilsannahme vor.“
Als „vordemokratische Ehrfurcht vor dem Staatsoberhaupt“ kritisiert er die Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft im Fall Wulff. Allerdings könne niemand Wulff zwingen, sein Amt aufzugeben. Ein Problem dabei sei, dass er ohne materielle Absicherung dastünde, wenn er jetzt zurücktreten wurde, sagte Arnim. „Nach dem Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten stünde ihm der Ehrensold in Höhe seiner Amtsbezüge nicht zu.“ Für einen Rücktritt aus persönlichen Gründen sei kein Anspruch auf Ehrensold vorgesehen. Auf die Pensionsansprüche aus seiner Tätigkeit als Ministerpräsident müsste Wulff noch bis zu seinem 60. Lebensjahr warten. Der BW-Bank-Kredit an den Bundespräsidenten für den Kauf eines Wohnhauses beschäftigt nach Informationen der „Frankfurter Rundschau“ nun auch die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart. Es seien zwei Beschwerden gegen den Beschluss der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingegangen, kein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Bank und den Bundespräsidenten wegen des Verdachts der Untreue oder der Vorteilsannahme einzuleiten, sagte Staatsanwältin Claudia Krauth der Zeitung. Die Generalstaatsanwaltschaft müsse nun innerhalb von vier Wochen prüfen, ob die Beschwerden begründet seien. (dapd/dpa)