Die Landesämter für Verfassungsschutz gaben die Spionage-Informationen an das Bundesamt weiter. Die Opposition ist brüskiert und schimpft.
Hamburg/Berlin. Die Beobachtungs-Maßnahmen des Verfassungsschutzes im Bezug auf die Linkspartei im Bundestag sind offenbar ausufernder als bislang bekannt. Nach einem Bericht des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" habe das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingeräumt, bei einigen Landesämtern würden "nachrichtendienstliche Mittel" eingesetzt, deren Erkenntnisse dann auch in die Personenakten des Bundesamtes gelangen könnten. Die Kritik der Opposition an diesem Vorgehen wird unterstützt von Teilen der Unionsfraktion. Denn auch die Anzahl beobachteter Abgeordneter könnte größer sein, als das bisher bisher bekannt war.
Informationen, die mit Geheimdienst-Methoden beschafft worden sein könnten, fänden sich laut „Spiegel“ beispielsweise in der BfV-Akte von Linke-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi. Mehrere Seiten von Gysis Akte seien für ihn aus diesem Grund nicht einsehbar. Das Innenministerium hatte in der vergangenen Woche mehrfach betont, dass das BfV nur öffentlich zugängliche Quellen zur Linken auswerte und die Abgeordneten nicht etwa durch V-Leute oder Observationen überwachen lasse.
Nach der Einschätzung von Parteichef Klaus Ernst liegt die Zahl der vom Verfassungsschutz beobachteten Bundestagsabgeordneten höher als die bisher bekannten 27 Parlamentarier. Er belegt dies mit angeblichen Aussagen der Landesämter für Verfassungsschutz in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg. Diese drei hätten bereits gestanden, dass auch sie Abgeordnete ausforschten, sagte Ernst dem "Tagesspiegel am Sonntag". Insgesamt stünden dadurch mindestens 42 Bundestagsabgeordnete der Linken im Visier des Geheimdienstes. Das sei mehr als die Hälfte der Fraktion.
Unmut über Verfassungsschutz wächst auch in Union
Unterdessen regt sich auch in der Unionsfraktion Unmut über die Arbeit des Verfassungsschutzes. „Der Weg, auf dem die Linke beobachtet wird, ist nicht in Ordnung“, sagte der Vorsitzende des Rechtsausschuss, Siegfried Kauder (CDU) dem „Spiegel“. Schließlich kontrolliere „das Parlament die Verfassung und nicht der Verfassungsschutz das Parlament“.
Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Johannes Singhammer, zeigte sich skeptisch. Wenn nur öffentliche Quellen benutzt würden, „frage ich mich, welchen Erkenntniswert diese Beobachtung haben soll“, sagte der CSU-Politiker dem Magazin.
+++ Debatte: Warum die Linke beobachtet werden muss +++
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bekräftigte dagegen erneut seine Rückendeckung für das Vorgehen des Geheimdienstes. Teile der Linken hätten kein Problem damit, Straftaten, etwa bei Demonstrationen, zu rechtfertigen, sagte Friedrich dem Nachrichtenmagazin „Focus“.
Opposition zeigt sich empört
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kritisierte Friedrichs Haltung scharf. Der Fall mache deutlich, dass Friedrich „mit seinen Aufgaben überfordert ist“, sagte Oppermann am Sonntag in Berlin. Der Minister hätte die Beobachtung längst eigenständig überprüfen müssen, sagte Oppermann. Friedrich fehle jedoch „die politische Urteilskraft für die notwendigen Schwerpunkte seiner Arbeit.“
+++ Die Linke: Staatsfeinde oder Salon-Bolschewisten? +++
„Ich bin einigermaßen fassungslos: Der Verfassungsschutz überwacht Abgeordnete der Linkspartei, während eine rechtsradikale Mörderbande über ein Jahrzehnt unbehelligt durch Deutschland zieht“, sagte SPD-Parteichef Frank-Walter Steinmeier der „Welt am Sonntag“. Da dürfe man doch Zweifel haben, ob die Prioritäten richtig gesetzt worden seien.
Für die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, ist das Vorgehen von Regierung und Verfassungsschutz „ein richtiger Skandal“. Es könne ja wohl nicht sein, dass „aus parteipolitischem Regierungsinteresse eine missliebige Meinung sozusagen als verfassungsfeindlich hingestellt wird“, sagte Roth am Sonntag im Bayerischen Fernsehen.
Weiterer Zwist in der Koalition
Die Linke-Beobachtung führt derweilen auch zu weiteren Verstimmungen in der schwarz-gelben Regierungskoalition. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) verlangte von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine Erklärung zu ihrer Kritik am Vorgehen des Geheimdienstes. „Wenn die Justizministerin gegen eine Überwachung ist, sollte sie auch sagen, wie sie sich eine Alternative vorstellt“, forderte die CDU-Politikerin in der „Frankfurter Rundschau“. Leutheusser-Schnarrenberger hatte zuvor erklärt, sie empfinde die Abgeordneten-Beobachtung als „unerträglich“.