Der frühere Außenminister hält Entwicklungsminister “vordergründige Inszenierung“ im Nahen Osten vor. Regierung versucht, Wogen zu glätten.
Berlin. Der frühere Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in den Streit um das Einreiseverbot für Entwicklungsminister Dirk Niebel in den Gazastreifen eingeschaltet. Der SPD-Fraktionsvorsitzende äußerte Unverständnis über die harsche Kritik des FDP-Politikers an der Entscheidung der israelischen Behörden. "Im Nahen Osten erreicht man nichts mit Hemdsärmeligkeit und vordergründigen Inszenierungen. So untergräbt die Bundesregierung das Vertrauen, das wir uns in vielen Jahrzehnten bei allen Konfliktparteien erworben haben", sagte Steinmeier dem Hamburger Abendblatt.
"Ich wundere mich, dass man von Herrn Niebel über Wochen und Monate kein Wort zur Lage im Nahen Osten gehört hat - auch nicht nach den Ereignissen vor der Gaza-Küste vor drei Wochen", fügte Steinmeier mit Blick auf die Erstürmung von Hilfsschiffen für Gaza durch das israelische Militär hinzu, bei der mehrere Menschen getötet worden waren. "Jetzt dort hinzufahren und so zu tun, als sei man überrascht, dass die Einreise nicht gewährt wird, mag kurzfristig Beifall bringen, zeugt aber nicht von besonderem diplomatischen Geschick." Langfristig räche sich ein solches Verhalten.
Niebel befindet sich auf einer viertägigen Nahost-Reise. Am Sonnabend wollte er im Gazastreifen unter anderem ein von Deutschland unterstütztes Klärwerk-Projekt besichtigen, doch die israelischen Behörden verwehrten ihm den Zugang. Der Entwicklungsminister zeigte sich daraufhin empört. "Manchmal macht es die israelische Regierung ihren Freunden nicht einfach zu erklären, wieso sie so handelt, wie sie es tut", sagte er. Die Verweigerung seiner Einreise sei ein "großer außenpolitischer Fehler der israelischen Regierung". Niebel, der Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist, sagte auch, dass es für Israel im Nahost-Konflikt "fünf vor zwölf" sei.
Das israelische Außenministerium entgegnete, man lasse seit Langem keine ranghohen Politiker in den Gazastreifen, weil die dort herrschende Hamas-Organisation solche Besuche zu Propagandazwecken ausnutze. Israel sei überrascht von der Reaktion des Entwicklungsministers.
Niebel äußerte mittlerweile Bedauern über die Folgen seiner Kritik. Er sei über die Aufregung, die seine Äußerungen ausgelöst haben, nicht glücklich, sagte er der "Welt". Inhaltlich nehme er aber nichts zurück. Er habe das Vorhaben, in den Gazastreifen zu reisen, mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP) besprochen, sagte Niebel. Den Wortlaut seiner Kritik an Israel hätten beide aber nicht abgestimmt.
Die Bundesregierung war gestern bemüht, die Wogen zu glätten. Eine Beeinträchtigung des Verhältnisses zu Israel "vermag ich nicht zu erkennen", sagte Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedaure, dass Niebel ein von Deutschland gefördertes Projekt nicht habe in Augenschein nehmen können. Sie gehe aber davon aus, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt möglich sei, fügte Steegmans hinzu.
Die Entscheidung der israelischen Regierung, die Blockade des Gazastreifens in Teilen aufzuheben, stieß derweil auf Zustimmung. Die Regierung in Jerusalem hatte angekündigt, die seit drei Jahren geltenden Einschränkungen für Lieferungen würden weitgehend aufgehoben. Künftig sollen bis zu 140 Lastwagen täglich die Grenze zum Gazastreifen passieren dürfen. Nur die Einfuhr militärischer Güter bleibe verboten.
Bundeskanzlerin Merkel sagte, sie sei überzeugt, dass durch eine schnelle Bereitstellung von Hilfsgütern und Baumaterial für den Wiederaufbau die Lage der Menschen in dem Gebiet verbessert werden könne. Westerwelle ging weiter und forderte die vollständige Öffnung des Gazastreifens. Die Lockerung der israelischen Blockade sei ein Schritt in die richtige Richtung. "Aber wir vertreten als Deutsche, Europäer und Völkergemeinschaft unverändert die Auffassung, dass der Gazastreifen komplett wieder geöffnet werden muss."