Statistiker machen Modellrechnungen, Politiker “Tragfähigkeitsstudien“
Köln/Hamburg. Kaum ein Faktor gilt als so entscheidend für ein Land wie die Demografie. Wie viele Kinder geboren werden, wie viele Menschen arbeiten können und wie alt die Menschen werden - das sind Wegweiser für die wirtschaftliche Stärke eines Landes, aber auch für seine Werte und seine politische Kultur. Und in Deutschland nimmt die Dynamik der demografischen Entwicklung ein enormes Tempo an. Der dauerhaft niedrigen Geburtenrate steht ein bemerkenswerter Anstieg der Lebenserwartung
gegenüber. Von den im Jahr 2010 geborenen Mädchen könnte die Hälfte ein Alter von 95 Jahren erreichen. Und 50 Prozent der Jungen immerhin noch ein Alter von 90 Jahren. Über 100 000 der heute 50 Jahre alten Menschen würden danach das Alter von 100 Jahren erreichen. Damit würde sich die Anzahl der Hundertjährigen in 50 Jahren gegenüber heute nahezu verzwanzigfachen - und das, obwohl die Bevölkerung weiter schrumpft.
Das sind die Ergebnisse des Seminars für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Köln. Die Berechnung des Kölner Demografen Eckart Bomsdorf ist allerdings nur eine Modellrechnung - ob es wirklich so kommt, kann niemand mit absoluter Sicherheit sagen. Immerhin erarbeitet jede Bundesregierung eine "Tragfähigkeitsstudie" pro Legislatur, in der die finanziellen Folgen der demografischen Entwicklung abgeschätzt werden. Die vorerst letzte gab es im Sommer 2008, die nächste steht 2012 an.
Denn klar ist: Die Menschen werden immer älter. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Die enorme Geschwindigkeit dieser Entwicklung bestätigen auch andere Institute. Zwischen 1980 und 2000 stieg die Zahl der über Hundertjährigen um beinahe das Sechsfache, im Vergleich zu 1960 sogar um annähernd das Vierzigfache. Das geht aus dem Jahresbericht 2008 des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock hervor.
Europa ist der Fluchtpunkt der alternden Gesellschaft. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hatten schwedische Frauen die weltweit höchste Lebenserwartung von 46 Jahren, heißt es in dem Bericht des Max-Planck-Instituts. 2008 führten japanische Frauen die Rekordstatistik mit etwa 86 Jahren an. Dieser Anstieg der Lebenserwartung um etwa 2,5 Jahre pro Jahrzehnt ist nicht nur charakteristisch für Schweden und Japan, sondern ist in den meisten reichen Staaten in der Welt zu beobachten. Eine Ausnahme macht die Entwicklung in den USA. Die Amerikaner erleben seit 1980 einen viel langsameren Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung als die Europäer. 2008 lag der Wert mit 80,4 Jahren für Frauen und 75,2 Jahren für Männer nur im unteren Mittelfeld und knapp über der Lebenserwartung in den Staaten des ehemaligen Ostblocks.