Sie hat Pfand-Bons unterschlagen – und schrieb Rechtsgeschichte. Der Fall um die rausgeworfene Kassiererin Emmely wird neu aufgerollt.
Hamburg/Erfurt. Das Bundesarbeitsgericht rollt einen der meistbeachteten Arbeitsrechtsprozesse Deutschlands am Donnerstag erneut auf. Erwartet wird ein Grundsatzurteil zu der seit Jahrzehnten praktizierten strengen Rechtsprechung bei sogenannten Bagatellkündigungen.
Es geht um die Kündigung der Berliner Supermarkt-Kassiererin „Emmely“ wegen zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro.
Bislang gilt der Grundsatz: Auch wer Geringwertiges stiehlt oder unterschlägt, kann wegen des mit der Straftat verbundenen Vertrauensbruchs ohne vorherige Abmahnung gefeuert werden.
Der Fall der als „Emmely“ bekannt gewordenen Kassiererin Barbara E. beschäftigt die Gerichte seit mehr als zwei Jahren. Der 52-jährigen, dreifachen Mutter war im Februar 2008 nach über 30 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen der Unterschlagung der Leergutbons fristlos gekündigt worden. Ihr Arbeitgeber, die Supermarkt-Kette Kaiser's Tengelmann, machte „immensen Vertrauensverlust“ geltend. Das setzt den geltenden Kündigungsschutz außer Kraft.
Das Unternehmen hatte aber offenbar nicht mit der Hartnäckigkeit der gefeuerten Kassiererin und der großen Unterstützung durch die Gewerkschaft Ver.di gerechnet. Sie klagten gegen die fristlose Kündigung. Bundesweit sorgte der Fall für Empörung und Proteste. Das Komitee „Solidarität für Emmely“ sammelte in ganz Europa Unterschriften, organisierte Protestkundgebungen und Gesprächsrunden. Auch für Donnerstag wird vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt zu einer Kundgebung für „Emmely“ aufgerufen.
Ungeachtet der Proteste haben das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht in Berlin die Klage im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung abgewiesen und eine Revision ausgeschlossen. Die Kündigung ist nach Ansicht der Richter rechtens, weil Kassierer „absolute Korrektheit“ zeigen müssen und sich das Unternehmen unbedingt auf sie verlassen muss.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach in einer ersten Reaktion von einem „barbarischen Urteil von asozialer Qualität“. Daraufhin legte „Emmely“ mit ihrem Anwalt Benedikt Hopmann Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein. Im Juli 2009 ließen die Erfurter Richter überraschend Revision zu. Dabei kam die Klägerin mit ihrem Argument durch, dass ihre Falschaussagen aus dem Prozess, bei denen sie eine Mitarbeiterin beschuldigt hatte, um sich selber zu entlasten, nicht ohne weiteres negativ angerechnet werden dürften. Trotzdem prüfen die Erfurter Richter das gesamte Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlins.
Die Rechtsprechung zu Bagatelldelikten orientiert sich seit 1984 am sogenannten „Bienenstich-Urteil“ des BAG. Die Richter bestätigten damals die fristlose Kündigung einer Bäckereifachverkäuferin, die ein Kuchenstück gegessen hatte, ohne dafür zu bezahlen. Nicht der materielle Wert des Diebsgutes sei entscheidend, sondern der mit der Straftat verbundene Vertrauensbruch, hieß es in der Urteilsbegründung.
Die aktuelle öffentliche Diskussion hat aber dazu geführt, dass einige Arbeitsgerichte jetzt anders entscheiden. So endete etwa ein Prozess wegen sechs für den Müll gedachter Maultaschen, die eine Altenpflegerin aus Konstanz gegessen hatte, in einem Vergleich. Der Arbeitgeber hatte der Frau fristlos gekündigt, das Landesarbeitsgericht hob die Kündigung auf.