Ministerpräsident Christian Wulff erklärt den Streit um seine neue Sozialministerin, die heute im Landtag vereidigt wird, für beendet.
Berlin/Hannover. Ein Stich ins Wespennest hat gereicht. Seit dem Wochenende ist Niedersachsens neue Integrationsministerin Aygül Özkan bundesweit bekannt, obwohl sie erst heute im Landtag von Hannover vereidigt wird. Özkan hat einen Scoop gelandet. Die Schneidertochter aus Hamburg-Altona, die vermutlich immer ein Stück besser sein musste als die anderen und die selbst von sich sagt, dass sie das Berufsleben vor allem unter Wettbewerbsgesichtspunkten betrachtet.
Özkan hat also gewusst, was sie tat, als sie im "Focus" sagte, Kruzifixe hätten in staatlichen Schulen nichts zu suchen. Sie muss es gewusst haben, denn immerhin ist die 38-Jährige Christdemokratin und Juristin - das Getöse, das das sogenannte Kruzifix-Urteil vor ein paar Jahren ausgelöst hat, kann ihr nicht entgangen sein. Tatsächlich musste Aygül Özkan gestern zurückgerudern. Wie "Welt Online" berichtete, hat sie sich vor der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion mit der Begründung entschuldigt, sie habe das "Focus"-Interview "ohne ausreichende Kenntnisse des Landes" gegeben.
Zuvor waren die Wellen der Empörung erwartungsgemäß hochgeschlagen. Der erst kürzlich gegründete Arbeitskreis Engagierter Katholiken in der CDU erklärte, "das Experiment, eine muslimische Politikerin zur Ministerin der Christlich Demokratischen Union in Niedersachsen zu machen", scheine "schon vor seinem Beginn gescheitert zu sein".
In der CSU, in der das Trauma des Bundesverfassungsgerichtsurteils bis heute nachwirkt - in den Klassenzimmern dürfen die Kreuze nur hängen bleiben, wenn kein Schüler dagegen protestiert -, war man noch aufgebrachter. "Mit solchen abstrusen Ideen wird man jedenfalls in Bayern nicht Ministerin", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. "Solche Verunsicherungen unserer Stammwähler sind wirklich überflüssig." Und Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle erklärte, man lasse sich durch solche Vorstöße nicht beirren. "Die Haltung von Frau Özkan ist das völlig falsche Signal an die Gesellschaft", sagte Spaenle dem Abendblatt. Das Kreuz stehe in besonderer Weise für die christlich-abendländische Geschichte und Kultur. Es stehe auch für ein Leben nach christlichen Werten, die sogar eigens in der bayerischen Verfassung verankert seien. "Werteerziehung und Persönlichkeitsbildung sind wichtige Grundpfeiler in unseren Schulen", fügte der Minister hinzu. "Deshalb wird das Kreuz auch künftig in Bayerns Schulen hängen."
Am Ende war die Aufregung so groß, dass Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) gestern persönlich eingreifen und die Debatte um seine designierte Sozial- und Integrationsministerin für beendet erklären musste. Die "Missverständnisse" um Özkans Äußerungen seien am Morgen in einer Sitzung der CDU-Landtagsfraktion ausgeräumt worden, sagte Wulff, der für die "Entdeckung" der Deutschtürkin ein paar Tage zuvor noch gefeiert worden war. Die Debatte um Özkan habe in den vergangenen Tagen "Gefühle wie Ängste und Feindseligkeiten" ausgelöst. Auf die Ängste müsse behutsam eingegangen werden, "aber für Feindseligkeiten gibt es keinen Platz in unserem Land". Im Übrigen wolle er Özkan wegen ihrer Qualifikation in seinem Kabinett haben. "Werder Bremen hat Özil auch nicht in die Mannschaft genommen, weil er aus der Türkei stammt, sondern weil er Fußball spielen kann", sagte Wulff. Özkan werde "ab morgen eine grandiose Ministerin sein". Nach diesem verkappten Rüffel wird es sich Özkan in Zukunft zweimal überlegen, womit sie das Scheinwerferlicht auf sich zieht. Zumal gestern auch noch der Regierungssprecher erklärte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Kreuz-Verbot in Deutschlands Schulen ablehne.