Bei einem Festakt der CDU in Schwerin lässt sich die Kanzlerin feiern - und erwähnt ihre schwarz-gelbe Koalition mit keinem Wort.
Schwerin. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest Angela Merkels Welt. Als der CDU-Heimatverband der Bundeskanzlerin gestern im ehrwürdigen Ambiente des Schweriner Staatstheaters seinen 20. Geburtstag feierte, nutzte Angela Merkel den Anlass, auch sich selbst endlich wieder feiern zu lassen. Und das große Lob auf die Kanzlerin blieb natürlich nicht aus. "Danke, Angela", war allenthalben im herrschaftlichen Gemäuer zu hören. Auf so viel Herzlichkeit musste die Kanzlerin zuletzt oft verzichten. Merkels Welt in Berlin ist längst nicht mehr in Ordnung.
Auch ihr Auftritt in Schwerin ließ diesen Schluss zu: In ihrer Festrede ging Merkel ausführlich auf das Jahr 1990 ein, mit keinem Wort aber auf die vergangenen vier Monate. Dann nämlich hätte sie irgendwie auch ihre schwarz-gelbe Regierung erwähnen müssen - ein unangenehmes Thema. "An Festtagen spricht man nicht über die schwierigen Stunden", sagte Merkel stattdessen, und jeder im Saal konnte ahnen, was sie wohl damit gemeint hatte.
Dann durfte Günther Krause reden und sich auch noch einmal erinnern. Es war der erste große Auftritt des skandalumwitterten und affärengebeutelten Ex-Bundesverkehrsministers seit vielen Jahren. Weil Krause der erste CDU-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern nach dem Mauerfall war, wurden ihm immerhin 15 Minuten Redezeit eingeräumt. Merkel und Krause saßen Anfang der 90er-Jahre gut zwei Jahre zusammen mit Helmut Kohl auf der Regierungsbank. Theo Waigel führte damals die CSU, Otto Graf Lambsdorff die FDP. Kohl hatte es da um einiges leichter als Merkel heute.
Jeden Tag muss die Kanzlerin neue Rüpeleien aus ihrer Regierung zur Kenntnis nehmen. Bei jeder Morgenlage im Bundeskanzleramt müssen ihr die Regierungssprecher aufs Neue berichten, wie CSU und FDP einander bekämpfen und beleidigen oder wie die CDU ihren eigenen Umweltminister zur Mäßigung ruft oder wie ihr Vizekanzler trotz deutlicher Distanzierungen von allen Seiten - Merkel inklusive - eine ganz persönliche Sozialstaatsdebatte führt.
In Schwerin war Merkels Berliner Alltag wenigstens für Stunden ganz weit weg. Hier in ihrer Heimat konnte sie sich der uneingeschränkten Bewunderung sicher sein. In der Hauptstadt dagegen wirkt die Kanzlerin beinahe hilflos in diesen Tagen. Ihre Gipfeltreffen mit FDP-Chef Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer verpufften, ohne die erhoffte Wirkung zu erzielen: Ruhe zu schaffen und die Konzentration auf Reformen und nüchterne Regierungspolitik zu richten. Stattdessen gehen die Koalitionäre, allen voran die Generalsekretäre von FDP und CSU, weiter ohne Rücksicht aufeinander los. Merkels bisherigen Machtworte wurden - zumindest bei ihren eigenen Regierungspartnern - als solche gar nicht wahrgenommen. Als die Kanzlerin am vergangenen Wochenende der ARD ein Interview gab, beklagte sie sich, es gebe "zu viel auch unnötige Diskussionen, die eigentlich nicht notwendig wären". Bei einigen Themen gebe es derzeit mehr öffentlichen Schlagabtausch als Lösungen, "und ich werde dafür sorgen, dass wir zu den Lösungen kommen", kündigte sie noch an. Gestern, an Tag drei nach diesen Worten, schien Merkels Warnruf bereits verhallt und vergessen.
Die CSU stritt ausnahmsweise mit sich selbst über die Gesundheitspolitik, die CDU lag mit den Liberalen bei den Vorstellungen über ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung über Kreuz. Und die Wirtschaft griff einmal mehr Merkel und den Rest der Koalition an. Nach BDI-Präsident Hans-Peter Keitel entlud auch der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, seinen Frust über Schwarz-Gelb: "Die Koalition sollte sich endlich an die Arbeit machen, statt sich mit weiteren Kindereien aufzuhalten", sagte er der "Welt". Und der Präsident der Familienunternehmer (ASU), Patrick Adenauer, kritisierte: "Kaum entwickelt ein Regierungsmitglied einen eigenen Gedanken, wird das in der Koalition niedergemacht. So kann man weder der Bevölkerung noch in der Wirtschaft Verlässlichkeit vermitteln." Im Grunde war es gestern - rein von der Tonlage - ein ganz normaler Tag für die Bundesregierung.
Der nächste Konflikt auf höchster Ebene ist schon programmiert: Heute will Guido Westerwelle noch einmal sagen, wofür er steht und was er von der Koalition und seiner Kanzlerin hält. Im ZDF tritt er bei Maybrit Illner auf. Titel der Sendung: "Polemik oder Politik - was will Westerwelle wirklich?". Der Außenminister bekommt ein Einzelgespräch mit der Journalistin. Schon jetzt darf davon ausgegangen werden, dass Merkel keinen Gefallen an diesem Auftritt finden wird. Aber soll sie noch mal ein Machtwort innerhalb so kurzer Zeit sprechen? Vermutlich wird sie schweigend über Westerwelles Aussagen hinweggehen. Weil sie inzwischen gar nicht anders kann.
Aus der einst gefeierten Krisenkanzlerin ist eine Kanzlerin in der Krise geworden. Nur in Schwerin, da durfte diese Krise einmal Pause machen.