Intelligenz sei erblich, Förderung armer Kinder sinnlos. Mit diesen Aussagen ging der Bundesbank-Vorstand für viele Genossen zu weit.
Berlin. Thilo Sarrazin kann es nicht lassen. Am Tag, an dem über seine weitere SPD-Mitgliedschaft nach 37 Jahren beraten wird, reizt der Bundesbank-Vorstand erneut die Parteiseele. Punktgenau zur Sitzung der Landesschiedskommission der Berliner SPD bestärkt ihr Ex-Finanzsenator seine provokanten Thesen zu Zuwanderern und Hartz-IV- Empfängern. Und setzt noch eins drauf. Ausführlich können die Genossen in der „Süddeutschen Zeitung“ nachlesen, was sie schon zuvor so in Rage versetzte, dass Teile der SPD Sarrazins Parteiausschluss fordern. Nach knapp siebenstündiger Anhörung wird in der Nacht zu Dienstag eine Entscheidung auf die nächsten drei Wochen vertagt.
In dem Zeitungsbeitrag spricht sich der 65-Jährige erneut gegen höhere Hartz-IV-Sätze und höhere Bildungsausgaben zur Förderung der Unterschichtkinder aus. Alles sinnlos, weil Intelligenz weitgehend erblich sei, findet der Arztsohn. Die sozialdemokratische Grundüberzeugung, Bildung verhelfe zum sozialen Aufstieg, bezeichnet Sarrazin als Illusion. Und schmäht ungewohnt drastisch einen Wissenschaftler in Anspielung auf ein Schopenhauer-Zitat als „Afterwissenschaftler“.
Der Politologe des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam hatte frühere abwertende Äußerungen Sarrazins über Türken und Araber in Berlin, denen er zu großen Teilen die Leistungs- und Integrationsbereitschaft abspricht, als „eindeutig rassistisch“ eingestuft. Dieses Gutachten hält der SPD-Politiker nun intellektuell und moralisch für unsauber und schleimig, gibt ihn die „Süddeutsche Zeitung“ wieder.
Auch für bisherige Gegner der drakonischsten Disziplinarmaßnahme gegen Sarrazin ist das Fass jetzt voll. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky – selbst Freund klarer Worte zu der aus seiner Sicht teils misslungenen Integrations- und Sozialpolitik – kann sich einen Ausschluss Sarrazins nun vorstellen. Mit der „gezielten Provokation“ am Tag der Anhörung habe Sarrazin eine „Grenze überschritten“, wettert Buschkowsky. Seine „kruden Äußerungen“ seien „nackter Rassismus“, den er nicht mittrage.
Sarrazin gibt sich gewohnt ungerührt. Mit unbewegtem Gesicht bahnt er sich am Montagnachmittag kommentarlos einen Weg durch die Journalistenmenge. Der Versuch einer gütlichen Einigung scheitert nach über vier Stunden Verhandlungen an der Unversöhnlichkeit beider Seiten. Auch nach der Marathonsitzung verrät der 65-Jährige nichts über seine Einschätzung, ob er die Schiedskommission von seiner SPD- Zugehörigkeit überzeugt hat. Es sei Vertraulichkeit bis zur Entscheidung vereinbart worden, sagt Sarrazin knapp vor Mitternacht. Doch wie sehr er sich im Recht sieht, verrät der Zusatz. Er trinke jetzt noch ein Bier, lege sich schlafen und fahre am frühen Morgen mit der Bahn an seinen Arbeitsplatz in Frankfurt/Main. Was so viel heißt wie er könne ruhigen Gewissens schlafen.
Die Berliner SPD ist gespalten in der Frage des Ausschlusses. Während die Linke in der SPD den Antrag unterstützt, hat sich der rechte Flügel dagegen ausgesprochen. Parteichef Michael Müller und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit halten sich dazu bedeckt. Die Kreisebene hatte Sarrazin im Dezember bescheinigt, er habe nicht vorsätzlich die Statuten der SPD verletzt. Die Entscheidung der Landesebene ist schwer vorauszusagen. Sollte sie den Querkopf Sarrazin aus der SPD ausschließen, wird dieser voraussichtlich die Bundesschiedskommission anrufen.