Was Helmut Schmidt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) ins Schleudern brachte.
Berlin. "Hühnerhaufen", "Tohuwabohu", "Chaostage" - das sind Begriffe, die gerne bemüht werden, wenn eine neue Bundesregierung auf den ersten Metern ins Schleudern gerät. Die Betroffenen selbst bevorzugen allerdings das Wort "Fehlstart" und gehen dann schnell zu "Neustart" oder "durchstarten" über. Das soll dem Wähler gewissermaßen frischen politischen Fahrtwind vermitteln.
Fehlstarts hat es schon mehrere in der bundesrepublikanischen Geschichte gegeben. Dass der von Helmut Schmidt (SPD) nahezu in Vergessenheit geraten ist, muss daran liegen, dass Deutschland am 7. Juli 1974 Fußballweltmeister geworden ist. Als Erhard Eppler (SPD) damals seinen Hut nahm, war das erste Kabinett Schmidt gerade mal 50 Tage im Amt. Anlass waren die geplanten Kürzungen in Epplers Entwicklungshilfeetat, aber im Prinzip stimmte zwischen den beiden Männern die Chemie einfach nicht. Wie auch: In einem Kabinett voller Schmidt-Anhänger trauerte Eppler als Einziger dem zurückgetretenen Willy Brandt nach. Die gegenseitige Abneigung schlug sich in den Zeitungen nieder. Da konnte man nachlesen, dass Hans Apel dem Genossen Eppler vorgeworfen hatte, nicht nur den Kanzler, sondern auch ihn, den Finanzminister, als "bösen Fiskalisten" diffamiert zu haben. Das, so Apel entrüstet, treffe ihn "menschlich tief"!
Die FDP-Minister schauten den Vorgängen entgeistert zu. Er könne den Grund für die Eskalation beim besten Willen nicht begreifen, erklärte Innenminister Werner Maihofer. Und Wirtschaftsminister Hans Friederichs erklärte: "Wenn Eppler mit seiner Rücktrittsdrohung Erfolg hat, dann liegt sofort auch meine auf dem Tisch!" Der Rest ist Bonner Geschichte: Eppler packte seine Sachen, drei Tage später schlug Deutschland Holland 2:1.
1976 wurde die sozial-liberale Koalition im Amt bestätigt. Zu ihren ersten Taten gehörte es, das im Wahlkampf gegebene Rentenerhöhungsversprechen zu brechen und im selben Atemzug die Abgeordnetendiäten zu erhöhen. Da sei es kein Wunder, hieß es in der "Zeit" empört, dass sich die Bürger "verschaukelt" fühlten. Und 1980 lief es nicht besser. Angesichts des erbittert ausgetragenen Streits um die Montan-Mitbestimmung grummelte FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher sieben Wochen nach der Wahl: "Wenn ich alles sagen würde, was mich ärgert, wäre diese Koalition längst am Ende!" Nur "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein zeigte Verständnis. "Dass ein Bundeskanzler nach der Wahl abschlafft, obwohl seine Partei so ziemlich gewonnen hat", schrieb er, "ist nichts Ungewöhnliches und auch nicht einmal etwas Ungutes. Zu viel Unfug, an den er selbst nicht glaubte, hat er im Wahlkampf erzählen, zu viele Probleme verdrängen müssen." Einen "Tatsachen-Menschen", so Augstein, schlauche das besonders.
Dass nicht jedem Anfang ein Zauber innewohnt, wie Hermann Hesse meinte, musste auch Helmut Kohl (CDU) zur Kenntnis nehmen. An ihm, der Schmidt im Herbst 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt und die Bundestagswahl im März 1983 gemeinsam mit der FDP überlegen gewonnen hatte, klebte monatelang wie Pech die Kießling-Affäre. Und als die mit der Rehabilitierung des Generals endlich beendet werden konnte, war schon die Flick-Parteispendenaffäre hochgekocht. Bei seiner Wiederwahl im März 1987 fehlten dem Kanzler 16 Stimmen aus dem schwarz-gelben Lager, aber erst 1991 kam es für Kohl richtig dick: Da war er der "Umfaller". Als er sein Wahlversprechen - "Keine Steuererhöhungen zu Zwecken der deutschen Einheit!" - brach. Brechen musste.
Einen besonders aparten politischen Fehlstart erlebte Deutschland, als 1998 die erste rot-grüne Bundesregierung antrat. Mit einem Kanzler, der Cohibas rauchte und sich in Brioni-Klamotten fotografieren ließ! Gerhard Schröders neureiche Attitüde kam angesichts der umstrittenen Neuregelung der 630-Mark-Jobs und der Abkoppelung der Renten von der Nettolohnentwicklung jedenfalls gar nicht gut an. Richtiggehend ramponiert wirkte Rot-Grün, als Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine nach nicht einmal viereinhalb Monaten seinen Kabinettsjob kündigte und beleidigt ("Schlechtes Mannschaftsspiel!") nach Saarbrücken abbrauste.
Erstaunlicherweise legte das zweite Kabinett Schröder genauso chaotisch los wie das erste. Das Tohuwabohu in der Steuerpolitik erinnere an die Jahreswende 1998/99 schrieb der "Focus", und dass man beim besten Willen keinen roten Faden im Regierungshandeln entdecken könne. Und der "Stern" bezeichnete den Neustart von SPD und Grünen als "Flickschusterei". Er illustrierte seine beißende Kritik mit einer Fotomontage, auf der der Kanzler mit seinem Finanzminister Hans Eichel (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) abgebildet war. Unterschrift: "Die Murks-Brothers" ...
Tatsächlich musste Schröder bereits vier Wochen nach seiner Wiederwahl zu Kreuze kriechen. "Wenn steuerliche Vorschläge auf den Tisch kommen, deren wirtschaftliche Konsequenzen nicht hinreichend abgeklopft sind, kann man das besser machen", sagte er in einem Interview mit der "Zeit". Weitere 14 Tage später sah er sich angesichts des aufgeheizten Klimas bereits veranlasst zu sagen, dass er seinen Rücktritt ausschließe. Aber sogar an den Spitzen der Regierungsparteien tuschelte man sich zu, Schröder sei amtsmüde. Möglicherweise sogar ausgebrannt.
2005 geschah dann, was vorher kaum jemand für möglich gehalten hatte. Die von Angela Merkel (CDU) geführte Große Koalition nahm ihre Arbeit geräuschlos auf. Und die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise meisterten Union und SPD sogar dank eines historisch geradezu denkwürdigen Schulterschlusses. Im Prinzip war es mit der schwarz-roten Harmonie erst vorbei, als die Bundestagswahl 2009 in greifbare Nähe rückte.